Braucht die Schweiz ihre eigene Cloud?
Pro: Gerhard Andrey (Grüne)
Computerworld: Weshalb benötigt die Schweiz eine eigene umfassende Cloud-Infrastruktur?
Gerhard Andrey: Eine Schweizer Cloud ist ein Mittel zum Zweck. Und der Zweck ist eine zeitgemässe, sichere und selbstbestimmte Infrastruktur für Daten und Dienste, die das Land nicht verlassen dürfen. Gerade im behördlichen Kontext ist besondere Vorsicht geboten. Zudem sind viele Gemeinden, aber auch kleine Kantone mit der zunehmenden Komplexität der Digitalisierung überfordert, wie zum Beispiel gravierende Hackerangriffe in der Westschweiz vergangenes Jahr zeigten. Eine Schweizer Cloud, welche die Kräfte bündelt und dazu Skaleneffekte generiert, kann da Abhilfe schaffen.
CW: Die Minderheit der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats (SIK-N) sieht es als keine Staatsaufgabe an, eine digitale Infrastruktur zu schaffen. Weshalb sind Sie anderer Meinung?
Andrey: Behördliche Aufgaben nimmt der Staat immer öfter digital wahr. Es ist keine Option, sich dieser Veränderung zu verschliessen oder alles vollständig an Private zu delegieren. So hat in der physischen Welt die Nationalbank ihre Banknoten auch immer weiterentwickelt oder der Bund Identitätskarte und Reisepass den technischen Neuerungen angepasst. Dabei haben diese öffentlichen Institutionen auf dem Markt innovative Technologien und Dienstleistungen beschafft, die Kontrolle über das Ganze aber nie abgegeben. Ich sehe nicht, weshalb dies in der Digitalisierung anders sein sollte. Das war überdies auch eines der zentralen Argumente beim gescheiterten E-ID- Gesetz: Die öffentliche Hand muss ihre digitale Fitness frisch halten und weiterentwickeln, um ihre hoheitlichen Aufgaben auch im 21. Jahrhundert wahrnehmen zu können.
CW: Auch der Bundesrat hat sich Ende 2020 gegen «Swiss Cloud» geäussert. Hat sich seither die Ausgangslage geändert?
Andrey: Hackerangriffe haben in jüngster Vergangenheit massiv zugenommen. Es ist mittlerweile eine veritable Erpressungs-Dienstleistungsindustrie entstanden, brandbeschleunigt durch Kryptowährungen.
Daneben nimmt die Abhängigkeit von amerikanischer Plattformökonomie und chinesischer Netzwerktechnologie weiter zu. Das gilt übrigens nicht nur für die Schweiz, sondern für ganz Europa. Ich sehe das Projekt einer «Swiss Cloud» als wichtigen Schritt hin zu einer besseren Cybersicherheit und insgesamt zu mehr digitaler Souveränität.
CW: Wer soll die «Swiss Cloud» nutzen können?
Andrey: Am dringlichsten finde ich sie für Gemeinden und Kantone. Aber auch in der Schweiz beheimatete internationale Organisationen könnten Interesse an einer von geopolitisch stark exponierten Ländern unabhängigen Infrastruktur haben. Ob hingegen auch staatliche Angebote für Privatpersonen und Unternehmen nötig sind, wage ich zu bezweifeln. Da spielt der Markt schon recht gut.
CW: Welche Dimensionen und Services wären wünschbar?
Andrey: Der Bund betreibt heute bereits eine private Cloud-Infrastruktur mit rund 13 000 Prozessorkernen und 360 Terabyte Arbeitsspeicher, wie mir die Verwaltung berichtet hat. Das ist doch schon beachtlich. Es ist also nicht so, dass der Bund bei Null beginnen müsste. Wie viel grösser diese Cloud sein müsste, kann ich nicht aus dem Stand beurteilen. Das ist aber auch nicht sonderlich relevant, weil eben genau das das Schöne an der Cloud-Technologie ist, dass sie sich relativ einfach skalieren lässt.
Dann finde ich, dass eine solche Infrastruktur Cloud-Dienste bis auf die Ebene Software as Service (SaaS) anbieten sollte. Also nicht nur Infrastruktur (IaaS) oder Plattform (PaaS). Eine Rundum-sorglos-Open-Source-Office-Anwendungsumgebung für die Gemeinden wäre toll. Die Schweizer Anbieter zeigen schon heute, dass das geht und dass sich solche Lösungen mitnichten hinter jenen der grossen Player verstecken müssen. Ich verwende nun seit einigen Jahren sehr zufrieden ein solches Schweizer SaaS-Produkt.
“Der langfristige Betrieb muss nicht zwingend teurer sein„
Gerhard Andrey
CW: Wer soll das entsprechende Rechenzentrum konzipieren, bauen und betreiben?
Andrey: Wie gesagt, der Bund respektive das Bundesamt für Informatik tut dies schon heute und wie ich meine, doch insgesamt ganz gut. Darauf lässt sich aufbauen, um anderen Staatsebenen Zugang ermöglichen zu können. Eine gesetzliche Grundlage dafür steht nun mit einer von meiner Nationalratskollegin Isabelle Moret eingereichten parlamentarischen Initiative zur Debatte.
CW: Kritiker stellen das Kosten-Nutzen-Verhältnis einer «Swiss Cloud» infrage. Wie sehen Sie das?
Andrey: Gratis gibt es das sicher nicht. Und ja: Mehr Souveränität kostet unter Umständen auch mehr, als vermeintlich finanziell vorteilhafte Angebote, bei denen der Kontrollverlust über Daten eigentlich eingerechnet werden müsste. Ich sehe einen solchen Ausbau aber auch als Zukunftsinvestition in wichtige Fertigkeiten der öffentlichen Hand. Der langfristige Betrieb muss nicht zwingend teurer sein. Gerade wenn vermehrt auf Open Source gesetzt wird. Verstehen Sie mich aber nicht falsch: Ich habe überhaupt kein Problem damit, wenn der Bund unsensible Daten, die sowieso offen sind – wie beispielsweise das Kartenmaterial von Swisstopo –, über einen internationalen Hyperscaler ausliefert. Das braucht das Bundesamt für Informatik nun wirklich nicht nachzubauen. Hier sehe ich ein anderes Thema, auf das der Bund schauen muss: nämlich den ökologischen Fussabdruck der verschiedenen Anbieter. Das wurde bei der Vergabe an vier amerikanische und einen chinesischen Anbieter, die vergangenen Sommer medial Wellen geschlagen hat, leider überhaupt nicht berücksichtigt.
CW: Wäre statt einer rein staatlichen auch eine private Lösung oder eine Public-Private Partnership (PPP) denkbar?
Andrey: Der Bund unterscheidet zwischen Beschaffungs- und Aufgabenerfüllungs-PPP. Bei der Konzeption, dem Bau und dem Betrieb wird wohl an unterschiedlichsten Stellen mal das eine und dann mal das andere angewendet werden müssen. Zentral ist, dass der Bund bedarfsgerecht auf Lösungen des Markts zugreifen kann, ohne dabei die Kontrolle über die Gesamtheit der Infrastruktur abgeben zu müssen.
CW: Wie geht es nun politisch weiter bezüglich der «Swiss Cloud»?
Andrey: Das Parlament wird sich jetzt damit beschäftigen müssen. Ich erwarte eine spannende Diskussion, weil das Thema nicht so leicht schwarz und weiss abgehandelt werden kann. Es dürfte auch zu interessanten Allianzen kommen, wenn ich sehe, wer in der SIK-N dem Geschäft zugestimmt hat: Mitglieder aus allen Fraktionen haben den Vorstoss unterschrieben.