«Eine Bank ist heute ein Tech-Unternehmen»
So ist die IT der Migros Bank aufgestellt
CW: Wie ist die IT der Migros Bank vom System und von der Manpower her aufgestellt?
Wick: Wir verfolgen zwei Ziele mit der Informatik. Bei «Run the Bank», im Tagesgeschäft, arbeiten wir eng mit Partnern zusammen. Wir müssen schliesslich nicht alles selbst tun. Beispielsweise betreibt Inventx unser Kernsystem Finnova und Econis betreut unsere Netzwerke. Anderes betreiben wir selbst, etwa die elektronischen Arbeitsplätze, wo die Notebooks und anderen Endgeräte laufen. Dann gibt es «Change the Bank», wo es vor allem darum geht, die Kundenschnittstellen laufend zu verbessern. In diesem Bereich sind wir in agilen Scrum-Teams aufgestellt, die cross-funktional zusammengesetzt sind. Das Ziel ist, möglichst rasch und möglichst gezielt bessere Angebote für die Kundschaft zu entwickeln. Auch im Betriebsteil sind wir agil aufgestellt – dort setzen wir Kanban ein, damit die Priorisierung vereinfacht und transparent wird. Intern reden wir von 150 bis 200 IT-Fachkräften.
CW: Wie viele machen «Run» und wie viele «Change»?
Wick: Manche machen beides. Wenn wir den Frankenbetrag anschauen, sind es etwa zwei Drittel «Run» und etwa ein Drittel «Change». Unser Ziel ist, dass der «Change»-Anteil weiter steigt, aber das müssen wir uns verdienen, indem wir sehr gut auf den «Run»-Teil aufpassen, technische Schulden vermeiden und konsequent modernisieren.
CW: Repräsentiert diese Verteilung die Manpower?
Wick: Ja, das sind die Kosten und Investitionen inklusive Outsourcing.
Kunzelmann: Eine Bank ist heute ein Tech-Unternehmen. Die Zeiten von dedizierter Banken-IT sind vorbei. Selbst die Vertriebseinheiten denken heute immer mehr techorientiert: Sie werden von Expertensystemen unterstützt und können gar nicht mehr ohne IT oder Tech arbeiten. Sie sind sich dessen bewusst und äussern auch immer mehr Anforderungen. Bei der IT geht es insbesondere darum, in der Geschäftsleitung und im Geschäft nach Lösungen zu suchen, die möglichst hohe Skalen erreichen. Wenn die IT bei knappen Ressourcen nicht zur Verfügung steht, entwickelt man betriebliche Alternativen, um das Geschäftsziel trotzdem möglichst umfassend zu erreichen. Tech ist die präferierte Ressource, doch da es sie nicht immer gibt, muss in Alternativen gedacht werden. Aber der erste Gedanke der gesamten Organisation geht Richtung Tech. Bei der Hochrechnung hat «Change» einen zunehmend höheren Anteil, weil eben ein grösserer Apparat mitdenkt. Wenn ich die ganze Entwicklung ansehe, ist das für mich die grösste Veränderung: Das Verständnis, dass Tech eine integrale betriebliche Rolle spielt, nimmt immer mehr zu.
CW: Woran lässt sich diese Veränderung festmachen?
Kunzelmann: Ich denke, das lässt sich am Thema Sprachfähigkeit ziemlich gut feststellen. Im Bereich Kundendaten, Aufträge, Reporting, Positionen und Buchungen spielt die IT schon seit langer Zeit eine wichtige Rolle. Heute gehen wir aber auch in die Peripherie: Wir reden über Kundenschnittstellen, Expertensysteme oder Distanzvertrieb und das ist Tech-aufgeladen ohne Ende. Zum Beispiel im Asset Liability Management wurden einfache Berechnungen gemacht. Heute geht das nicht mehr: Heute werden sophistizierte Statistikprogramme genutzt, da ist Tech so zentral, dass der Mensch plausibilisiert. Das sind für mich die Musterbrüche, die in den letzten 20 Jahren stattgefunden haben.
Wick: IT ist im Unterschied zu anderen Branchen für Banken schon lange sehr wichtig. Es gab schon 1990 eine elektronische Buchhaltung und Buchhaltungsautomatisierungen. Ab 1990 ging es vor allem um Backoffice-Automatisierung. Dann kam das iPhone und löste einen riesigen Wandel in der Gesellschaft aus: Die IT kam viel näher zum Menschen. Das veränderte die Erwartungen an die Banken: Heute reden wir von der End-to-End-Digitalisierung aller Prozesse bis hin zum Kunden, bis zur App. Das wäre früher oder später so oder so gekommen, aber die Erfindung des iPhones hat dies extrem beschleunigt.
CW: Die Migros Bank dürfte, wie alle Banken, auch Kundinnen und Kunden haben, welche die Digitalisierung verweigern. Wird es weiterhin Bankfilialen mit direktem Kundenkontakt geben?
Kunzelmann: Ja, das hat mit zwei Umständen zu tun: Unsere profitabelste Klientel ist älter als in vielen anderen Industrien. Beispielsweise die Telkos oder die Reisebranche haben eine viel bessere Verteilung der ertragsbringenden Kundschaft. Im Private Banking dagegen sind die jüngsten Kundinnen und Kunden 65 Jahre alt. Der Generationensprung, den man sich im Private Banking immer gewünscht hat, hat nie stattgefunden. Das ist bei einer Retailbank wie unserer zwar weniger akzentuiert, doch bei der Profitabilität in der Einzelkundenbetrachtung ist es fast gleich: Dort sind die jüngsten Kundinnen und Kunden zwar nicht über 65, aber immerhin Mitte vierzig. Entsprechend haben viele davon unterschiedliche Anforderungen an die Kanäle. Ein weiterer wichtiger Grund ist, dass die Selbstbedienung mit empfundenen hohen Suchkosten verbunden ist und das ist für viele mühsam. Banking ist nicht wie das Buchen einer Reise oder der Kauf von Consumer Electronic, sondern es handelt sich um ein Dienstleistungsgeschäft zwischen Menschen, das Wissen voraussetzt respektive immer an ein bestimmtes Wissen anknüpft. Die Menschen müssen sich spüren und reagieren können, und zwar immer in der Interaktion rund um das Wissen, das schon besteht oder eben nicht. Die Selbstbedienung stösst hier an ihre Grenzen, weshalb wir das Filialgeschäft aufrechterhalten wollen. Deshalb wollen wir die Ressourcen zunehmend in Richtung umfassender Finanzberatung verschieben. Manche Dienstleistungen funktionieren aber genauso gut per Distanzvertrieb. Wir glauben deshalb an einen Mittelweg von Finanzberatung in den Filialen, die menschliche Intelligenz erfordert, und Distanzvertrieb in Verbindung mit «rich media». Da gibt es sehr viele Möglichkeiten, die wir heute als Bank noch wenig einsetzen, wie Video, Co-Browsing, Online-Kollaboration, Simulationen und so weiter. Wir glauben, dass das der nächste grosse Schritt ist, weshalb wir hier bewusst investieren.