31.07.2013, 11:30 Uhr
eGovernment zwischen eCH und Insieme
Der neue eCH-Vorstand und Geschäftsführer von Soreco Publica, Markus Fischer, berichtet im Interview von Plänen für eGovernment-Standards und den Nebenwirkungen des Insieme-Skandals.
Markus Fischer von Soreco Publica ist neu Vorstandsmitglied des eGovernment-Vereins eCH. Im Gespräch mit Computerworld blickt Fischer auf zehn Jahre eCH-Standards zurück und definiert Ziele für sein neues Amt. Ausserdem skizziert er als Geschäftsführer eines eGovernment-Anbieters die aktuellen Herausforderungen im Spannungsfeld zwischen WTO-Beschaffungen und dem Insieme-Skandal des vergangenen Jahres. Computerworld: Demnächst wird der Verein eCH zehn Jahre alt. Welches Resümee ziehen Sie? Markus Fischer: Da ich erst seit vier Jahren dabei bin, kann ich nur von meinen Erfahrungen berichten und will dabei zwei Aspekte hervorheben: eCH beweist, wie erfolgreich Public-Private-Partnerships sein können. Die Fachgruppenmitglieder von der öffentlichen Hand, aus Unternehmen und der Wissenschaft haben eine Vielzahl unterschiedlicher Standards erarbeitet, mit denen heute in der Praxis grossflächig gearbeitet wird. Darüber hinaus bemerkenswert: eCH ist ein Milizsystem. Nur ganz wenige Vorhaben werden finanziert. Vielmehr wendet die Mehrheit der beteiligten Experten ihre Arbeitskraft freiwillig und kostenlos auf – zum Wohle des eGovernment. Was haben Sie sich als Vorstand von eCH für Ziele gesteckt? Die Hauptaufgabe des Vorstands ist die Definition und Umsetzung der Vereinsstrategie auf der Basis der eGovernment-Strategie Schweiz. Als technisch weniger versierter Vertreter habe ich mir in Abstimmung mit dem Vorstandsvorsitzenden Peter Fischer vorgenommen, die Bekanntheit von eCH zu steigern. Allen Beteiligen – das heisst Lieferanten, Unternehmen und Verwaltungen – sollen eCH und die verabschiedeten Standards geläufig sein, so mein Ziel. Dabei wird auch das zweite Ziel helfen: Aktuell befindet sich eine Austauschplattform für eGovernment-Prozesse im Aufbau. Die Plattform soll erreichen, dass das berühmte Rad nicht dutzendmal neu erfunden wird. Will zum Beispiel eine Gemeinde einen Geschäftsprozess für ein Baugesuch definieren, kann sie sich künftig auf der Plattform bedienen statt selbst Geld in die Entwicklung zu stecken. Für dieses Projekt – ich will es Geschäftsprozesse als Basis für die Modernisierung der Verwaltung nennen – und die Akzeptanz unter den Kantonen sowie Gemeinden will ich werben. Nächste Seite: Vergabestau durch Insieme Die Prozessaustauschplattform tönt nach einem guten Vorhaben. Trotzdem tritt eGovernment scheinbar auf der Stelle. Wo geht es wirklich voran, wo nicht und warum?
Ein gutes Beispiel für den Fortschritt ist die Volkszählung, die seit dem Jahr 2010 nur noch als Registererhebung stattfindet. Voraussetzung war hier, dass die Einwohnerregister ihre Daten aufbereitet haben und im korrekten Format an das Bundesamt für Statistik (BFS) liefern. Dies ist heute Realität, so dass das BFS mit minimalem Aufwand von zuvor vierjährlichen Zählungen auf nun jährliche verkürzen konnte. Diese Projekt war zugegeben ein Idealfall: Der Bundesrat hatte die neue Volkszählung beschlossen, der Zeitplan war fest vorgegeben und Geld war gesprochen. Andere Projekte stossen sich teilweise am föderalen System: Dieses hat viele Vorteile, erfordert aber auch enormen Abstimmungsaufwand. Deshalb ist eine stramme Vorwärts-Strategie im eGovernment nicht möglich, wie sie oftmals in der Privatwirtschaft an der Tagesordnung ist. Die Privatwirtschaft ist ein gutes Stichwort. Die öffentliche Hand ist ein wichtiger Geldgeber für die ICT-Industrie. Aktuell ist von einem Vergabestau zu hören, denn offenbar hat Insieme mehr Schaden angerichtet als er auf dem Papier steht. Was haben Sie beobachtet? Die Verantwortlichen in den Behörden sind nach Insieme sehr vorsichtig geworden. Im Herbst letzten Jahres gab es so gut wie keine Aufträge der öffentlichen Hand. Allerorten wurden die Juristen konsultiert, die sämtliche Ausschreibungsunterlagen bis ins Detail prüfen mussten. Mittlerweile hat sich die Situation verbessert, allerdings gab es auch in diesem Jahr vor der Sommerpause nicht die übliche grosse Welle an Ausschreibungen. In den Vorjahren haben die Ämter die Ferien für viele Offerten genutzt, um den Unternehmen mehr Zeit für Angebote zu geben. Aber auch uns Anbietern hat Insieme nicht gut getan. Jenseits der fehlenden Aufträge sind wir heute angehalten, die Ausschreibungen besonders penibel zu prüfen. Teilweise sind in den Unterlagen doppelte und dreifache Absicherungen enthalten, da die ausschreibende Stelle unbedingt Fehler vermeiden will. Das treibt den Prüfungsaufwand auf der Anbieterseite zusätzlich in die Höhe. Allenfalls würden eCH-Standards die Ausschreibungen vereinfachen. Wie häufig sind eCH-Definitionen heute in den Kriterien enthalten? Aktuell liefert die Suche auf simap.ch (Informationssystem über das öffentlichen Beschaffungswesen in der Schweiz) erst wenige Treffer zu eCH. Das Ziel wäre natürlich, dass die Standards in Ausschreibungen berücksichtigt sind, wenn es eine entsprechende eCH-Definition gibt. Die Entwicklung geht ganz klar in diese Richtung.