Wikipedia-Gründer Wales 08.04.2009, 14:46 Uhr

"Google ist nicht wie Microsoft"

Jimmy "Jimbo" Wales, Gründer und Kopf der Online-Enzyklopädie Wikipedia, fordert im Interview mit Computerworld.ch Social Media als Pflichtfach in Schulen, appelliert an Microsoft und warnt vor Facebook.
Wikipedia-Gründer Jimmy Wales hat Angst vor Facebook.
Jimmy Wales ist eine bekannte Grösse im Internet. Der Gründer und Kopf der Online-Enzyklopädie Wikipedia äussert sich denn auch im Computerworld.ch-Interview pointiert zu aktuellen Trends des Web.
Computerworld: Haben Sie Angst vor Google?
Wales: Nein, ich mag Google sehr. Ich glaube zwar, dass wir wegen seiner Dominanz im Markt alle ein Auge auf den Konzern haben müssen, aber ich denke nicht, dass Google wie Microsoft ist. Wer Windows nutzt, wird in andere Microsoft-Produkte hineingezwungen. Bei Google ist das nicht so, hier bildet sich zunehmend Widerstand im Markt durch alternative Angebote. Viel gefährlicher finde ich dagegen das unaufhaltsame heimliche Social-Media-Monopol Facebook. Da das Unternehmen noch kein Geld verdient, wirkt es bislang kaum furchteinflössend.
CW: Microsoft hat die Entwicklung seiner Encarta-Enzyklopädie eingestellt. Gute Nachrichten?
Wales: Ja, in unserer modernen Zeit sollten Menschen freien Zugang zu grundlegendem Allgemeinwissen haben. Encarta als klassisches kostenpflichtiges Lexikon hat ausgedient. Ich hoffe, dass wir Microsoft ermutigen können, die Inhalte nun unter freien Lizenzen anderswo weiter zu veröffentlichen. Das betrifft aber vor allem die Bilder und nicht den Text.
CW: Damit Wikipedia neue und vor allem lizenzfreie Bilder bekommt?
Wales: Die Veröffentlichung muss nicht unbedingt dort stattfinden, solange Microsoft seine Encarta-Inhalte überhaupt frei zugänglich macht.
CW: Schüler und Studenten lernen anders als früher. Der Leitsatz lautet 'Ich muss nicht alles wissen, ich muss nur wissen, wo ich es nachschlagen kann.' Kann das zum Problem werden?
Wales: Das denke ich nicht. Vor fünfzig Jahren haben wir alles im Brockhaus nachgeschlagen, heute schlagen wir alles bei Wikipedia nach. Der Vorteil heute ist, alles Wissen der Welt in Sekundenschnelle parat zu haben und somit auch ganz andere Möglichkeiten des Lernens aufgezeigt zu bekommen. Schüler und Studenten lernen insgesamt zwar anders, aber im Endeffekt auch viel mehr als früher. Immer mehr Schulen erkennen die Notwendigkeit, Teamarbeit und die gemeinsame Aneignung von Wissen zu fördern. Das kann beispielsweise dadurch geschehen, dass Klassen und Projektgruppen eigene Wikis entwerfen oder Online-Lexika um Fachinformationen ergänzen, die im Unterricht herausgearbeitet wurden.
Objektivität lernen
CW: "Social Media" als neues Pflichtfach?
Wales: Das finde ich sehr wichtig. Nicht nur, um den Nachwuchs auf die Anforderungen der Wissensgesellschaft vorzubereiten, sondern auch, um die Grenzen jedes einzelnen Mediums aufzuzeigen. Die Kinder müssen lernen, verschiedene Medien gegeneinander abwägen zu können. Früher gab es nur Zeitungen, Radio und Fernsehen. Mittlerweile haben wir Milliarden Web-Seiten, Blogs, Wikis, Online-Lexika, Tweets und mehr. Jeder Kanal bringt eigene Informationen und Ansichten von allen Standpunkten aus. Keine ist zu hundert Prozent richtig und vollständig. Das eigene Urteilsvermögen, wie viel ich von welchem Medium in meinen eigenen Wissensschatz übernehmen kann und will, muss immer besser geschult werden.
CW: Dennoch gibt es immer noch riesige Quellen im Web, die nur wenig Beachtung finden. Was halten Sie vom Wikileaks-Projekt?
Wales: Ich finde es sehr interessant, auch wenn die Initiatoren noch viele Fehler machen und sich nicht immer an gesetzliche Bestimmungen halten, was die Veröffentlichung von Inhalten angeht. Sie brauchen Standards, die die Seriösität von anonymen Quellen regeln und die sie gegen juristische Fallstricke schützen - auch bei Wikipedia hatten wir anfangs Probleme, die wir jedoch recht schnell in den Griff bekommen haben, weil wir klare Grenzen gezogen und verbindliche Regeln aufgestellt haben.
CW: Wann wird die Zensur weltweit abgeschafft und alles Wissen für jedermann frei zugänglich?
Wales: Ich bin vorsichtig optimistisch. Ich denke, dass selbst in Ländern wie China über kurz oder lang die Zensur des Internets immer weniger eine tragende Rolle spielen kann. Russland ist da schon eher gefährdet, auch wenn es derzeit kaum Probleme gibt. Je mehr Menschen dort jedoch verarmen und ihrem Ärger im Netz Luft machen, desto eher wird die Regierung in Versuchung geführt werden, Massnahmen zu ergreifen.



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