29.06.2009, 11:33 Uhr

Ins Internet ganz ohne Kabel

In ungefähr fünf bis acht Jahren werden Kunden über das Mobilnetz ähnliche Bandbreiten nutzen können wie über einen festen Glasfasernetz-Anschluss. Dank LTE wird die kabellose Übertragung dann so schnell wie das Festnetz.
Jörg Behrend ist Vice President Technical, Orange Schweiz
Mittlerweile ist die Anzahl HandyBenutzer doppelt so gross wie die Anzahl Festnetzanschlüsse. Die gleiche Revolution steht beim mobilen Internetzugang noch aus. Aber mit LTE (Long Term Evolution) wird sich das ändern. Denn auch für den Internetzugang zu Hause wird die neue Technologie den Festnetzanschluss und den WLAN-Router ersetzen können. In fünf bis acht Jahren sind einige 100 Mbit/s Downstream möglich. In einem Feldtest des grössten japanischen Mobilfunkanbieters NTT DoCoMo waren es im März 2008 sogar eindrucksvolle 250 Mbit/s. Erwartungsgemäss wird Japan das erste kommerzielle LTE-Netz einsetzen. Im Uplink rechnet man mit bis zu 50 Mbit/s. 2010 sollen die ersten Netze aufgebaut und in Betrieb genommen werden.
Die Analysten nehmen die Versprechungen von LTE ernst. ABI Research beispielsweise sieht in einer Studie von 2008 LTE als direkte Konkurrenz für die Festnetz-Internetanschlüsse. Der Vorsprung des Kabels verkleinert sich massgeblich. Schon heute zeigt die Erfahrung mit HSPA-Angeboten, dass sich die Nutzer schnell und gerne an die kabellose Alternative gewöhnen. USB-Modems für Laptops haben Anklang und reissenden Absatz gefunden.

Schweiz: Glasfaser dauert noch

Es dürfte in der Schweiz allerdings noch fast ein Jahrzehnt dauern, bis das Glasfasernetz den Grossteil der Haushalte erreicht. Dann erst werden auch die Breitbanddienste wie digitales HDTV und Ultra High Speed Internet und deren Inhalte breit verfügbar und im Massenmarkt etabliert sein.
Das mobile Breitband zieht also etwa gleichzeitig oder kurz nach dem Glasfasernetz in den Markt ein. Auch für die LTE-Einführung ist ausschlaggebend, wann Dienste und Anwendungen und somit eine Nachfrage für solch hohe Datenraten bestehen.

Was LTE ausmacht

LTE scheint als Nachfolger der heutigen Mobilfunkstandards gesetzt, bedeutet aber eine grössere Umstellung, als von GSM/GPRS zu UMTS oder HSPA, und rückwärtskompatibel ist der Standard nicht. Der wichtigste Unterschied zu UMTS ist das Kanalzugriffverfahren OFDMA (Orthogonal Frequency Division Multiple Access), dank dem Mobilfunksysteme mehrere Trägersignale nutzen können. So sind die Bandbreiten je nach angebotenem Dienst einfach skalierbar. Ausserdem kann LTE rundfunkartige Dienste wie beispielsweise HDTV so übertragen, wie das DVB-T heute tut. Dies dank des Gleichwellenfunks oder SFN (Single Frequency Network). Durch die massiv geringeren Latenzzeiten werden auch Echtzeit-Sprachdienste wie Voice over IP ein Thema. Auch für die Betreiber hat LTE Vorteile: Mehr Anwender können die gleiche Frequenz nutzen, und die Netzarchitektur wird deutlich einfacher, da die Signale von den Antennen nun direkt zum Switch gelangen. Obwohl der Standard als Bote der vierten Mobilfunkgeneration gehandelt wird und einen markanten Sprung in der Datenrate bedeutet, ist LTE nur eine Weiterentwicklung von 3G in seiner 3,9ten Version.

Beim Kunden zählen die Dienste

Kunden interessiert das alles nicht. Kunden interessieren die Dienste. Mit LTE können TV- und Radioprogramme ausgestrahlt werden, sogar 3D-TV. Auch hoch aufgelöste, interaktive Spiele, virtuelle Arbeitsplätze, Telemedizin, Multimediabibliotheken sind allesamt Dienste mit einer potenziell hohen Nutzerakzeptanz. Dabei könnte grundsätzlich jedes Gerät zum LTE-Empfänger werden. Statt mit Antennen würden TV- und Radiogeräte dann mit SIM-Karten ausgerüstet. Genau so Internetterminals, PCs, Laptops, sogar Unternehmensserver. Jegliche Geräte, Dienste oder Inhalte können in Zukunft drahtlos oder mobil genutzt werden. Die Funkschnittstelle ist für die Mobilität bei 0 bis 15 km/h optimiert, funktioniert aber auch bei Geschwindigkeiten von bis zu 500 km/h. Die Auswirkungen auf Internetinhalte, Software-Entwicklung, Medien- und Unterhaltungsformate können nicht hoch genug eingeschätzt werden. Wenn die Branche von Konvergenz redet, geschieht das mit LTE auf einer neuen Ebene.
Da das Kundenbedürfnis letztlich ausschlaggebend dafür ist, wie schnell LTE flächendeckend eingeführt ist, nochmals ein Blick auf die gegenwärtigen Trends: Das letzte Jahr war ein Boomjahr für den mobilen Internetzugang. 2008 markiert aber auch den Durchbruch für Smartphones und PDAs. Endlich sind die Alleskönner auch bei Privatnutzern richtig beliebt geworden - nicht zuletzt dank des iPhones. Trotz des im Vergleich zu normalen Handys höheren Preises ist die Nachfrage so stark gestiegen, dass nicht selten Lieferengpässe entstanden sind. Da das Surfen auf dem mobilen Endgerät endlich Spass macht, erhöhte sich auch der Datenverkehr via UMTS/HSDPA deutlich. Es wird auf jeden Fall spannend sein, die Weiterentwicklung der Endgeräte zu beobachten, wenn die Hersteller Aussicht auf eine LTE-Datenrate haben. Für sie ist LTE ebenfalls eine wichtige Wachstumschance. Das Nutzerbedürfnis ist eindeutig geweckt. Schon heute, ohne 100 Mbit/s, werden immer wieder neue Dienste eingeführt, und, sowohl in der Geschäftskommunikation als auch bei Privatnutzern, immer beliebter. Dieser Trend wird sich auch in den nächsten paar Jahren fortsetzen.
Langfristig aber, das steht fest, werden wir den Internetanschluss nicht mehr mit einem Kabelanschluss in Verbindung setzen und auf Dienste zugreifen können, die wir noch nicht einmal kennen. Die Aussicht: nur noch ein einziges Kabel. Für den Strom. Und selbst das nicht mehr so regelmässig, denn für den LTE-Empfang wird weniger Energie benötigt.
Jörg Behrend



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