Arbeit der Zukunft 13.01.2017, 16:35 Uhr

Weniger, freier, bestimmter

Wissensarbeiter brauchen Freiheit und Mitbestimmungsrechte. Wer das bietet, hat im Zeitalter der Digitalisierung alle Chancen auf die besten Talente. Best-Practice-Beispiele gibt es zur Genüge, die Unternehmen müssen aber den Mut haben, aktiv zu werden.
Thomas Vollmoeller musste mal weg. Drei Monate lang. Sidney. Sonne. Strand. Meer. Urlaub. Vollmoeller ist nicht irgendwer, sondern der Vorstandsvorsitzende und CEO der Xing AG. Jahresgehalt: knapp eine Million Schweizer Franken. Der 56-Jährige ist auch nicht desillusioniert oder depressiv, im Gegenteil. «Ich geniesse meinen Job regelrecht, es ist der beste, den ich je hatte», erzählt er. Das Unternehmen ist gesund, die aktuellen Quartalszahlen überzeugten die Anleger. Warum also das Sabbatical? «Aus demselben Grund, aus dem immer mehr Menschen das Bedürfnis haben, eine Auszeit zu nehmen. Ich will mich bewusst für einen begrenzten Zeitraum aus dem Tagesgeschäft herausziehen. Zeit mit meinen Lieben verbringen. Reisen und neue Eindrücke gewinnen. Dem Teil des Lebens Raum geben, der im Alltag fast immer zu kurz kommt: nachzudenken, Bücher zu lesen, Abstand zu bekommen, Vertrautes aus der Distanz neu zu betrachten, sich selbst zu hinterfragen, eine andere Sicht auf die Dinge zu entwickeln.» Mit anderen Worten: Vollmoeller will nicht nur arbeiten, sondern auch leben. Für seinen Entscheid wird Vollmoeller derzeit von verschiedenen Seiten gelobt, Unternehmensberater gratulieren zum «mutigen Schritt», Firmenchefs wünschten sich, sie könnten das auch. Vollmoeller bezeichnet sich aber nicht als mutig, für ihn ist es ein logischer Schritt: «Ich bin davon überzeugt: Wer reife, autonome und innovative Mitarbeiter haben möchte, muss ihnen auch auf Augenhöhe begegnen.» Unternehmen würden stets Flexibilität erwarten, aber selber nicht gewähren. «Querdenkertum wird in Sonntagsreden gefordert, einstellen tut man dann aber die immer gleichen Klone. Demokratie beschränkt sich auf die sogenannte Mitbestimmung, die durch entsprechende Gremien erledigt wird, die alltäglichen Entscheidungen aber strikt top-down getroffen.» In einer Gesellschaft, die Auszeiten als Schwäche interpretiert, Burn-outs zur Modekrankheit erklärt und arbeitende Mütter als Oxymoron empfindet, sticht Vollmoeller heraus. Seine Message: Es ist okay, ein Privatleben zu haben. Für die Zukunft der Unternehmen ist entscheidend, dass sie diese Kultur verinnerlichen.

Fortschritt bedeutet Zeit für Ideen

Die Industrie 4.0 wird, wenigstens das ist bei ihr sicher, diejenigen begünstigen, die flexibel und agil agieren. Wie es die letzten industriellen Revolutionen gezeigt haben. Die «Spinning Jenny» des Engländers James Hargreaves war im Jahr 1764 die erste industrielle Spinnmaschine der Welt und in der Lage, acht Spinner und einen Weber zu ersetzen. Fortan war nur konkurrenzfähig, wer Hargreaves Erfindung oder eine Weiterentwicklung davon einsetzte und die Mitarbeiter vom Weber zum Maschinentechniker umschulte.
Es folgten weitere Erfindungen wie die Dampfmaschine, weitere Automatisierungen, immer mehr Fabrikarbeit, Massenproduktion, Fliessbandarbeit. Der allgemeine Wohlstand stieg, obwohl die Arbeitszeit abnahm und Altersbeschränkungen eingeführt wurden. Als ab Ende der 1970er- Jahre die von Erfindungen in der Mikroelektronik und Computertechnik getriebene digitale Revolution und mit ihr vollautomatisierte Produktionsweisen und Fertigungsroboter Einzug hielten, hatten die Menschen noch einmal wesentlich mehr Zeit zur Verfügung und konnten sie nutzen, um eigene Ideen zu entwickeln. Die Folge war eine Explosion des Dienstleistungssektors. Arbeiteten im Jahr 1800 erst 8 Prozent der Beschäftigten im Tertiärsektor, sind es heute 75 Prozent. Den umgekehrten Weg gingen die Land- und Forstwirtschaft sowie die Industrie und das Gewerbe, die immer mehr an Bedeutung einbüssten. Allein seit 2008 ist in der Schweiz der Anteil derjenigen, die in wissensintensiven Bereichen arbeiten, von 1,7 Millionen auf 1,9 Millionen Personen gestiegen. Doch diese Mitarbeiter müssen anders geführt werden als diejenigen, die mehrheitlich repetitive Tätigkeiten ausführen. Sie brauchen Freiheiten, um Ideen entwickeln und umsetzen zu können. Ortsgebunden sind sie seit dem Siegeszug der mobilen Geräte ohnehin nicht mehr. Rund 30 Prozent der Schweizer Arbeitnehmer arbeiten derzeit mindestens einen halben Tag pro Woche von zu Hause aus, das Potenzial liegt bei rund 50 Prozent der arbeitenden Bevölkerung. Die Umsetzung flexibler Arbeitsplatzmodelle bietet auch den Unternehmen Chancen, die Arbeitsplätze und Büroflächen effizienter nutzen zu können. Nebst Home Office gibt es weitere Modelle, die sich rasch verbreiten: Allen voran Teilzeitarbeit, die von immer mehr Angestellten gewünscht und von Unternehmen angeboten wird.
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Ideen brauchen Freiheiten

Um ihren Mitarbeitern die Arbeit so angenehm wie möglich zu gestalten, haben verschiedene Schweizer Unternehmen im Sommer 2015 die Work-Smart-Initiative gestartet, die flexibles Arbeiten fördern will. Bis heute haben 90 Unternehmen die Charta der Initiative unterzeichnet und sich damit verpflichtet, dazu beizutragen, motivierende Rahmenbedingungen für Mitarbeiter zu schaffen, Ressourcen und Infrastrukturen smarter zu nutzen und den Arbeitsmarkt besser zu erschliessen. Erstunterzeichnerin und Mitgründerin der Charta ist Microsoft Schweiz. Dort teilen die Mitarbeiter ihre Arbeit ein, wie es ihnen passt, gearbeitet wird ergebnisorientiert. Eine Präsenzkultur kennt auch Xing Schweiz nicht, dafür Vertrauensarbeitszeit. Der Mitarbeiter verwaltet seine geleisteten Stunden selber, muss sie jedoch nicht mit Präsenzzeit belegen. Bei Zurich Schweiz arbeitet man zwar nach wie vor 41,25 Stunden/Woche, die Mitarbeiter können ihre Arbeitszeit aber individuell einteilen. Bei der Mobiliar arbeiten bereits rund 30 Prozent der Angestellten Teilzeit, dabei werden sie von einer modernen Bürolandschaft unterstützt, die interdisziplinäres Zusammenarbeiten fördert. In sogenannten Coworking Spaces bieten darauf spezialisierte Unternehmen Arbeitsplätze für Personen an, die eine Büroumgebung brauchen. Die AXA Winterthur erlaubt ihren Mitarbeitern beispielsweise nicht nur Home Office, sondern auch das Arbeiten in Coworking Spaces. Einzelne Firmen vermieten bereits flexible Arbeitsplätze an Externe. Bestes Beispiel ist das «Büro Züri» der Zürcher Kantonalbank an der Bahnhofstrasse, das externe Arbeitsplätze sogar kostenlos zur Verfügung stellt. Daneben gibt es auch sogenanntes Job-Sharing. Dies bietet beispielsweise Zurich Schweiz an, die überdies den Angestellten auch Sabbaticals, eine verlängerte Elternzeit oder einen längeren Urlaub gewähren. Die Entwicklung verschiedener flexibler Arbeitsplatzmodelle führt letztlich dazu, dass auch die Arbeitszeit individuell gestaltet werden muss. Von Wissensmitarbeitern kann nicht verlangt werden, dass sie acht Stunden im Büro sitzen und in der Zeit die besten Einfälle haben. Entscheidend wird in Zukunft deshalb sein, dass Mitarbeiter über ihre Zeit ? bis zu einem gewissen Grad ? frei verfügen können.

Falsche Regularien

Heute kennen in der Schweiz die meisten Betriebe die 40-Stunden- oder 42-Stunden-Woche, eine wirkliche Zukunft hat diese starre Struktur aber nicht. Die Höchstarbeitszeit beträgt gesetzlich 45 Stunden für Arbeitnehmende in industriellen Betrieben, Büropersonal, technische und andere Angestellte sowie Verkaufspersonal in Grossbetrieben des Detailhandels. Alles, was darüber hinaus - geht, gilt als Überzeit und darf nicht mehr als 170 Stunden pro Jahr betragen. Überzeit muss mit einem Lohnzuschlag von 25 Prozent entschädigt und darf nur ausnahmsweise gewährt werden. Natürlich, das ist für den Schutz der Mitarbeiter gedacht und in gewissen Bereichen sinnvoll, beispielsweise auf dem Bau. Aber Wissensarbeiter richten ihr Pensum an der Situation aus. Mal sind es 60 Stunden, mal 30. Deshalb muss hier die Legislative eingreifen und das Arbeitsgesetz anpassen. Dieses basiert noch auf seinem Vorgänger, dem Fabrikgesetz, das einst 16-Stunden-Tage und Kinderarbeit eindämmen wollte. Eingeführt vor über 50 Jahren, wurde das Arbeitsgesetz seit 1998 nicht mehr revidiert, obschon die Gesellschaft seither einen enormen Wandel durchgemacht hat. Heute bricht theoretisch das Gesetz, wer das Büro ein paar Stunden früher verlässt, um die Kinder von der Krippe abzuholen, und dafür abends von zu Hause aus bis Mitternacht noch E-Mails erledigt, um am nächsten Morgen um 8 Uhr mit dem aktuellen Tagesgeschäft weiterfahren zu können. Das ist realitätsfremd.
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Vorbild Silicon Valley

Im Silicon Valley, das (zu Recht) oft als Exempel für innovationsbegünstigende Rahmenbedingungen herhält, gehören Stempeluhren und dergleichen schon länger der Vergangenheit an. Mitarbeiter können dort auf Arbeitszeiterfassung verzichten, einige Unternehmen wollen von ihren Angestellten nicht einmal wissen, wie viel sie arbeiten. Beim Streaming-Dienst Netflix kann jeder Ferien nehmen, so viel er will, solange er nur seinen Job macht. Die Firma wertet auch nicht aus, wie die Mitarbeiter mit dieser Regelung umgehen. Netflix sagt dazu: «Wir haben auch keine Kleidungsvorschrift. Trotzdem kommt keiner nackt.» Wer als Unternehmer Angst hat, dass die Mitarbeiter das System ausnutzen, dem sei das Beispiel des webbasierten Notizdienstes Evernote vor Augen geführt: Auch dort kann jeder Mitarbeiter so viele freie Tage nehmen, wie er will. Das nutzt kaum jemand aus, im Gegenteil: Weil die Angestellten viel zu wenig Urlaub machen, zahlt Evernote jedem Mitarbeiter, der mindestens fünf Tage Urlaub macht, einen Bonus von 1000 Dollar. Natürlich sind die Unternehmen im Silicon Valley viel sozialer im Umgang mit ihren Angestellten als andernorts: Firmeninterne Shuttle-Busse, die einen zu Hause abholen, bezahlte Putzfrauen oder Gratismahlzeiten vom Caterer sind nur einige der Lockmittel, mit denen Unternehmen in Kalifornien Talente rekrutieren und abwerben wollen. Diese Spendierfreude hat mit dem im Vergleich zur Schweiz ungleich höheren Konkurrenzkampf um Talente zu tun; bei uns liesse sich eine solche Situation derzeit aber schon aus regulatorischer Sicht nicht herbeiführen. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) verlangt, dass Unternehmen die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter protokollieren und den Behörden auf Wunsch vorweisen müssen. Das macht für viele Angestellte schlichtweg keinen Sinn. Zwar können leitende Mitarbeiter von dieser Pflicht entbunden werden, doch Wissensarbeiter finden sich nicht nur in den oberen Hierarchiestufen. Viele Unternehmen umgehen deshalb die Seco-Weisungen bewusst, lassen die Mitarbeiter acht Stunden in ein Excel-Sheet eintragen oder machen das sogar selbst, nur um keinen Ärger zu bekommen. Das Seco hat in den letzten Monaten die Vorschriften angepasst, wirklich zufrieden sind bisher aber weder Arbeitgeber noch Gewerkschaften. Statt das Gesetz zu revidieren, ergänzt man in Bern lieber die Verordnung 2 zum Arbeitsgesetz, die alle möglichen Sonderregeln beinhaltet. Ausnahmen gibt es immer mehr, den Überblick haben immer weniger. Schuld an der Situation trägt nicht das Seco, bei dem man sich durchaus bewusst ist, dass Theorie und Praxis auseinanderklaffen, sondern das Parlament, das nicht gewillt ist, die Regulierungen zu lockern.
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Die Leistung zählt, nicht die Arbeitszeit

Noch immer ist man im Bundeshaus der Meinung, dass der Arbeitsvertrag darauf beruht, dass der Arbeitnehmer Arbeitszeit und der Arbeitgeber Lohn zur Verfügung stellt. Dabei ist die heutige Formel eine andere: Lohn für Leistung. Ein Journalist muss eine bestimmte Zahl von Artikeln pro Tag schreiben, wenn diese fertig sind, geht er nach Hause. Ein Informatiker muss den Programmierungsfehler in einer Software finden. Das dauert mal vier Stunden, mal sechs, mal zehn. Halt so lange, wie es dauert. Unternehmen wollen am Ende keine Büroroboter, sie wollen ihre Ziele erreichen. Deshalb brauchen sie auch keine Angst zu haben, dass mit Abschaffung der Stempeluhr der Schlendrian Einzug hält: Wer seine Leistungsziele nicht erreicht beziehungsweise im Vergleich mit den Kollegen underperformed, fliegt. Wer aber effizienter arbeitet als der Rest, wird mit Freizeit belohnt. Wenn die Leistung den Lohn definiert, kann auch aus einem anderen Grund aufgehört werden, Mitarbeiter zu Überstunden zu zwingen: Weil lange Arbeitszeiten und mehr Produktivität nicht korrelieren. Es gibt diverse Studien, die belegen, dass die Produktivität bei überlangen Arbeitszeiten (60 Stunden und mehr pro Woche) abnimmt, ab einem gewissen Punkt sogar negativ wird und am Ende kein Produktivitätsunterschied zwischen einer 40-Stunden-Woche und einer 60-Stunden-Woche festgestellt werden kann. Dies gilt natürlich nicht für alle Arbeitnehmer und es wird auch Gegenstudien zu dieser These geben. Das Gedankenspiel, mit weniger Arbeitszeit eine Win-win-Situation für Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu kreieren, ist dennoch interessant. Nicht zuletzt, weil es der Unsitte im Bank- und Beratungsgeschäft ein Ende setzen würde, die vorsieht, dass jeder seine Chance auf eine Beförderung verliert, der vor dem Chef nach Hause geht.

30-Stunden-Woche in Skandinavien

Um Alternativen zu testen, arbeiten in der schwedischen Stadt Göteborg kommunale Angestellte im Gesundheitswesen seit rund zwei Jahren 30 statt 40 Stunden pro Woche. Sie haben also zwei Stunden pro Tag mehr Freizeit zur Verfügung. Die bisherigen Ergebnisse: Das Personal ist zufriedener, aber die Kosten für die Organisationen steigen. Die Orthopädiestation im Sahlgrenska-Universitätsklinikum musste 15 neue Mitarbeiter einstellen, seit die bis dahin 89 Ärzte und Schwestern nur noch 6-Stunden-Schichten schieben. Unter dem Strich sind dennoch beide Parteien zufrieden: Der Krankenstand der Angestellten ging zurück, die Wartezeiten für Patienten wurden kürzer, die Produktivität stieg. Von beeindruckenden Produktivitätssteigerungen berichten auch Unternehmen unweit von Göteborg hinter der norwegischen Grenze: In Hemdal widmen sich Unternehmen und Gewerkschaften seit 2007 dem Projekt für verkürzte Arbeitszeiten bei gleichbleibendem Lohn. Die Grossmolkerei Tine verzeichnet seither Produktionssteigerungen von 50 Prozent. Noch gibt es zu wenige solche harten Daten, um den Sinn von 30-Stunden-Wochen zu belegen. Rechtsparteien kommen stets mit dem Kostenargument daher, während die Linken von tieferen Arbeitslosenquoten schwärmen. Sicher ist, dass die Arbeitszeitreduktion nur bis zu einem gewissen Punkt sinnvoll ist. Der Buchautor Timothy Ferriss behauptet in seinem Buch «Die 4-Stunden-Woche», dass er durch Rationalisierung und Automatisierung in vier Stunden mehr schafft als vorher in einer Woche Büroarbeit. Die gewonnene Freiheit nutzt Ferriss, um Dinge zu tun, wovon andere nur träumen, beispielsweise verschiedene Weltrekorde in unterschiedlichen Disziplinen aufstellen. Das Buch wird oft an Manager-Seminaren empfohlen, doch eine Tatsache wird gern verschwiegen: Ferriss bezieht sich auf Menschen die einer Arbeit unfreiwillig und ungern nachgehen. Das Ziel der modernen Unternehmen muss aber genau das Gegenteil sein: Jedem Mitarbeiter das Gefühl zu geben, dass Arbeit Spass macht. Dann wird die Arbeitszeit nebensächlich. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Spass an der Mitsprache

Spass an der Mitsprache

Um Spass an der Arbeit zu haben, verlangen Mitarbeiter mehr Mitspracherecht. Die Führung soll sich wie bis anhin auf die strategischen Ziele konzentrieren, doch je eingebundener die Angestellten in Entscheidungsfindungen sind, desto stärker wird ihre Identifikation mit dem Unternehmen. Ein Best-Practice-Beispiel kommt dabei überraschenderweise aus der Baubranche: Sacac AG, ein Betonelementhersteller aus dem eher biederen Lenzburg/AG macht vor, wie die Mitarbeiteridentifikation auch in klassischen Industriebetrieben hochgehalten werden kann: Alle zwei Wochen stellt die Firma für einen halben Tag den Betrieb ein. Die Mitarbeiter präsentieren dann in Teams, welche Prozesse ihrer Meinung nach verbessert werden können. Übersteigen die nötigen Anpassungen einen gewissen Betrag nicht, können die Fachverantwortlichen die Innovationen selbst vornehmen, ansonsten müssen sie von der Geschäftsleitung abgesegnet werden. Die Vorschläge werden direkt umgesetzt und die Prozessbeschriebe angepasst. Durch einen Mitarbeitervorschlag sind beispielsweise sogenannte Expressstützen entstanden. Kunden wählen im Onlineshop Stützentypen nach Bedarf aus, Sacac fertigt sie auf das benötigte Mass an. 48 Stunden später sind die Stützen beim Kunden. Früher dauerte ein solcher Prozess bei Sacac und den Konkurrenten vier bis sechs Wochen. Eine andere Mitarbeiterinnovation: Spiegel bei der Kiesgrube. Zuvor mussten die Lastwagenfahrer vor der Leerung prüfen, ob noch Altkies herumlag. Dazu mussten sie den Lastwagen verlassen, was einige Zeit in Anspruch nahm, da rund zehnmal an Tag Kies angeliefert wird. Heute genügt ein einfacher Blick in den Spiegel. Klingt simpel und kostete ungefähr 200 Franken, ist gemäss CEO Jan Kottucz aber für eine «riesige Effizienzsteigerung» verantwortlich. Auch ansonsten gibt sich Sacac sehr fortschrittlich, hat bisher rund 2,5 Millionen Franken in eigene Software investiert, um Prozesse zu vereinfachen und zu automatisieren. Damit wird einerseits die Konkurrenz auf Distanz, andererseits die Mitarbeiter bei Laune gehalten. Wer freut sich schon nicht darüber, wenn die eigene Arbeit plötzlich in 80 Prozent der Zeit erledigt und Leerlaufzeiten reduziert werden. Oder in den Worten von Jan Kottucz: «Im Zeitalter der Digitalisierung überlebt nicht zwingend die Firma mit der besten IT, sondern diejenige mit den besten, motiviertesten Mitarbeitern.»

Bewegen oder verlieren

Kein Zweifel: Wer weiter an starren Strukturen festhält, verliert über kurz oder lang den Kampf um Talente und damit auch den Kampf um die Existenz. Denn die Zukunft der Arbeit hat bereits vor einiger Zeit begonnen. Home Office, Teilzeitarbeit, Job-Sharing, Vertrauensarbeitszeit, Fringe-Benefits, Mitspracherecht: Unternehmen können aussuchen, welche Modelle sie anwenden möchten, im Weg steht einzig der eigene Wagemut. Doch am gefährlichsten ist die Mutlosigkeit. Thomas Vollmoeller gewinnt der Situation viel Positives ab: «Ich finde, die Buntheit, Vielfalt, Diversität in der sich verändernden Arbeitswelt toll. Sie ist ehrlicher, denn die früher verlangte Totalaufgabe seiner selbst für die Firma hat ohnehin nie jemand geleistet, sondern lediglich gespielt. Sie bietet mehr Chancen, wenn stromlinienförmige Lebensläufe nicht mehr das zentrale Kriterium dafür sind, ob jemand ein geeigneter Kandidat für einen bestimmten Job ist oder nicht. Sie ist menschlicher, denn New Work fördert und fordert die Kreativität und den Spass an dem, was ich tue.»



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