10.11.2008, 11:38 Uhr

Masterplan Green IT

Green-IT-Technologien schlagen zwei Fliegen mit einer Klappe: Sie schonen die Umwelt und entlasten signifikant das IT-Budget. Jetzt gibt es keine Ausreden mehr.
Die Studien sind brandaktuell, die Ergebnisse verursachen Alpträume. Das einhellige Urteil aller wissenschaftlichen Experten lautet: Die Welt wird heisser, schmutziger, ungemütlicher - und die IT trägt tagtäglich ihr Schärflein dazu bei. Exemplarisch zwei Expertenmeinungen: Die Informations- und Kommunikationsindustrie sei ein wesentlicher Energiekonsument und erzeuge weltweit CO2-Emissionen von 600 Millionen Tonnen, haben die Marktforscher von A.T. Kearney ausgerechnet (Studie: Von Green IT zu Green Business). Das entspricht in etwa dem Mief von 320 Millionen Kleinwagen oder der CO2-Last des gesamten, weltweiten Flugverkehrs.
Zur Kompensation der für Mensch und Umwelt extrem gefährlichen Schadstoffe wären rund 60 Milliarden Bäume notwendig - und die Server in den Rechenzentren werden immer energiehungriger. Jonathan G. Koomey, Wissenschaftler an der Stanford Universität, hat berechnet, dass der Stromverbrauch aller Server weltweit bis 2010 um 76 Prozent steigt. Für seine Schätzung legte Koomey einen Prognosezeitraum von 2005 bis 2010 zugrunde. Zwar sinkt laut Koomey die Zahl der Midrange- und Highend-Installationen bis 2010 um 20 bis 30 Prozent. Kleinere «Volume Server», also Rechner bis etwa 25000 US-Dollar, legen aber um mehr als die Hälfte zu.
Dass etwas passieren muss, dürfte inzwischen allen klar sein. Nur, welches Unternehmen kann sich Investitionen in grüne Technologien angesichts der angespannten Wirtschaftslage leisten? Falsche Frage. Denn vor dem Hintergrund der stetig steigenden Energiekosten lautet die Frage eher, wer kann es sich leisten, nicht in Green IT zu investieren? Mikroökonomisch gesehen, treten Unternehmen mithilfe grüner Technologien gewaltig auf die Kostenbremse und entlasten damit ihr IT-Gesamtbudget.

Langfristige Roadmap

Wie sieht angesichts dieser Analysen und Prognosen der «Masterplan Green IT» aus? Das «grüne» IT-Konzept besteht im Grunde aus zwei Komponenten.
Erstens: unternehmensintern Ressourcen effizienter, das heisst sparsamer nutzen, den Energieverbrauch senken und gleichzeitig die Agilität erhöhen. Dabei stehen «grüne» Techniken wie Virtualisierung, Business Process Optimization, Outsourcing-/SaaS Strategien und Cloud Computing im Vordergrund. Zweitens: Unternehmen müssen intensiv an nachhaltigen, grünen Wertschöpfungsketten arbeiten, bei denen nicht die Profitmaximierung die Hauptrolle spielt. Sonst präsentiert uns in einer gar nicht mehr so fernen Zukunft die Natur eine Rechnung, die so hoch ausfällt, dass sie keiner mehr begleichen kann.

Kleinster Energiefresser

Fangen wir beim kleinsten Baustein an, dem Herz eines jeden Servers: der CPU. Die noch relativ junge MultiCore-Technologie weist in die richtige Richtung. Untertaktet man zwei Prozessorkerne um jeweils 20 Prozent, dann sinkt der Energieverbrauch jedes Kerns um etwas mehr als die Hälfte.
Zusammen verbrauchen beide Kerne also etwa so viel Energie wie ein normal getakteter Einzelprozessor. Gleichzeitig sinkt die Leistung aber nur auf das 1,7-fache - ein klarer Vorteil. Standby-Modi und Power-Management-Tools, die Serverlandschaften in Latenzzeiten drastisch zurückfahren, verschaffen zusätzliche Energie- und Kostenvorteile.
Auf Server-, Storage- und Applikationsebene helfen ausserdem Virtualisierungstechniken, Ressourcen effizienter auszunutzen und Energiekosten zu drücken. Die Auslastung von Applikationsservern liege in vielen Unternehmen im einstelligen Prozentbereich. Für den Betrieb und die Wartung der Maschinen werde jedoch viel Geld und Arbeitszeit verschwendet, sagt Walter Brenner, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Universität St. Gallen.

20 bis 45 Prozent mehr Effizienz

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Studie der Experton Group. Die normale Serverauslastung liegt während der Betriebszeit bei 15 bis 30 Prozent, bezogen auf das Gesamtjahr sogar nur bei spärlichen 3,9 Prozent. Virtualisierungstechnologien hingegen können die Auslastung der Server während der Betriebszeit auf 50 bis 60 Prozent und in der Jahresbilanz immerhin auf 15,8 Prozent anheben. Steigerungen in dieser Grössenordnung seien möglich und realistisch, sagt Andreas Zilch, Senior Vice President bei Experton.
Unternehmen, die Virtualisierung nicht nutzen, werfen also buchstäblich Geld zum Fenster hinaus.
Auch die Klimatisierung in Schweizer Unternehmen ist alles andere als cool, denn die Kühlung des Rechnerparks frisst je nach Ausgestaltung zwischen 20 und 60 Prozent der Gesamtenergiekosten.
Schon durch relativ einfache Massnahmen wie eine strömungsoptimierte Raumaufteilung und Rechneraufstellung lassen sich jedoch die Kosten für die Kühlung senken. Die Zürcher Kantonalbank führte in ihrem Rechenzentrum Temperatur- und Luftströmungsmessungen durch und wechselte daraufhin die perforierten Bodenplatten aus, welche die Luftzirkulation behinderten. Zusätzliche Trennwände leiten die Luft um und verschaffen weitere Vorteile. So einfach lassen sich Kosteneffizienz und Umweltschutz miteinander verbinden.

Abwärme heizt Gebäude

Die Zürcher Kantonalbanker sparen durch verbesserte unterbrechungsfreie Stromversorgungsanlagen (USV) ein bis drei Prozent Energie ein (vgl. auch die Bitkom-Studie «Energieeffizienz im Rechenzentrum»). Zusätzlich treibt das Finanzhaus die Virtualisierung auf Speicher- und Serverebene voran. Die Abluft der Rechner verwenden die Kantonalbanker in den Wintermonaten zur Heizung der Gebäude. «Das Gebäude an der Zürcher Hardbrücke wird fast ausschliesslich über Abluft geheizt», betont Markus Arnet, Leiter der Fachstelle Umweltmanagement bei der Zürcher Kantonalbank. An besonders kalten Tagen kommt zusätzlich Fernwärme zum Einsatz. Allerdings liege die Temperatur der Abluft nur zwischen 30 und 45 Grad Celsius, was es schwer mache, einen kommerziellen Abnehmer zu finden, erklärt Arnet.
Ähnlich nutzt das von der IBM Schweiz realisierte Rechenzentrum der GIB-Services die Abwärme seiner Rechner. Über einen Wärmeaustauscher beheizt es das Hallenbad der Gemeinde Uitikon; der Anschluss an eine Wohnüberbauung wird zurzeit geprüft. Bei Vollleistung könnten bis zu 80 Einfamilienhäuser ein Jahr lang geheizt und mit Warmwasser versorgt werden.

Big-Picture-Blick lebenswichtig

Erste Ansätze, nachhaltige grüne Wertschöpfungsketten zu konzipieren, sind also vorhanden. Es wäre aber naiv zu glauben, IT allein könne im globalen, makroökonomischen Kontext einen signifikanten Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz leisten. Denn weltweit tragen Rechenzentren nur etwa ein Prozent zum
Gesamtstromverbrauch bei. Als Enabler aber kann IT helfen, Produktion, Fertigung, Dienstleistung, Transport und Verkehr ein wenig grüner zu gestalten. Wie geht es also weiter?
Die grösste Herausforderung bestehe zurzeit darin, dass es keinen Königsweg gebe. Nachhaltigkeit erfordere einen Big-Picture-Blick auf das komplexe Kosten-Nutzen-System, resümiert ein Autorenkollektiv des Management-Dienstleisters Industry Insights in seiner 26-seitigen Studie «Leveraging IT in Building Green Businesses».
Unternehmen sollten ihre auf Fertigung und Kosten fixierte Perspektive, die oft mit Auslagerung in Niedriglohnländer einhergeht, überdenken und auch lange, die Umwelt belastende Transportwege in die Kosten-Nutzen-Rechnung einbeziehen (Supply Network Optimization), empfehlen die Industry-Insight-Experten. Zudem gelte es, Synergieeffekte in den Lebenszyklen von Produkten für grüneres Wirtschaften zu nutzen. Vor allem kommt es darauf an, grüne Kriterien in den Leistungsbilanzen von Unternehmen zu verankern. Denn die Natur gibt uns seit Jahrzehnten Kredit, den wir ungedeckt in Anspruch nehmen. Er taucht bisher in keiner Unternehmensbilanz auf. Ist das nach der Finanzkrise die nächste Blase, die platz?



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