Schweiz-Chef von Worldline
26.02.2020, 15:00 Uhr
«Worldline kann den Konsum in Echtzeit abbilden»
Mit der Übernahme von SIX Payment Services durch Worldline ist Europas grösster Zahlungsdienstleister entstanden. Schweiz-Chef Marc Schluep sieht viel Innovationspotenzial im neuen Konzern.
Marc Schluep leitet seit gut einem Jahr die Worldline-Niederlassung in der Schweiz
(Quelle: Samuel Trümpy)
Seit mehr als einem Jahr gehört die SIX-Sparte Payment Services zum französischen Zahlungsdienstleister Worldline. Das Unternehmen ist damit zum europäischen Marktführer avanciert und öffnet sich neu auch den chinesischen Diensten wie Alipay und WeChat Pay. Die IT-Infrastruktur dafür steht weiterhin auch in der Schweiz, sagt Managing Director Switzerland, Marc Schluep, im Interview mit Computerworld. Für ihn persönlich ist der Zusammenschluss mit Worldline noch nicht einmal der erste grosse Merger.
Computerworld: Die Übernahme von SIX Payment Services durch Worldline ist mehr als ein Jahr her. Welche Bilanz ziehen Sie?
Marc Schluep: Streng genommen ist die Übernahme sogar schon länger her. Bereits im Mai 2018 haben wir zusammen mit dem Management von Worldline begonnen, die neuen Geschäftsstrukturen zu definieren. Dazu zählten die Organisation, das Management und die wichtigsten Prozesse. Weiter ging es darum, die potenziellen Synergien zu identifizieren, auch wenn Worldline zuvor noch gar nicht in der Schweiz aktiv war. Als die Verträge dann im November unterschrieben waren, mussten wir nicht mehr bei null starten, sondern konnten schon diverse Details – wie zum Beispiel die neue Organisationsstruktur und das neue Managementteam – kommunizieren.
Der Integrationsprozess stand dann unter positiven Vorzeichen: Worldline ist uns auf Augenhöhe begegnet. Die neue «Mutter» hatte das Ziel, die besten Elemente aus beiden Welten in der neuen Organisation zu vereinen. Dabei waren die Firmen nicht unbedingt vergleichbar, zählte doch SIX Payment Services «nur» 1400 Angestellte. Worldline hatte vor der Übernahme bereits 10'000 Mitarbeitende.
CW: Konnten Sie dank der Vorarbeiten gleich nach der Übernahme mit der Arbeit starten?
Schluep: Ja. Wir konnten am 1. Dezember 2018 die Geschäftstätigkeit in unserer neuen Struktur aufnehmen. Seitdem steht auch das neue Managementteam, das beispielsweise im Händlergeschäft je zur Hälfte aus früheren SIX-Kollegen und Worldline-Führungskräften besteht. Weiter gab es wenig Wechsel, auch in Bezug auf die Standorte der einzelnen Mitarbeiter. Innerhalb von Worldline sind viele Teams international zusammengesetzt, sodass es praktisch keine Standortwechsel gab, sei es am Hauptsitz von Worldline in Paris oder an anderen Standorten.
CW: Wie häufig sind Sie selbst in Paris?
Schluep: Die Besuchsfrequenz variiert sehr stark. Im Durchschnitt bin ich aber nur alle zwei bis drei Monate mal in der Konzernzentrale in Paris. Die Worldline-Organisation ist gewohnt, via Skype oder Telefonkonferenz zusammenzuarbeiten. Für SIX Payment Services war das neu, obwohl wir ja auch international aufgestellt waren. Hier in Zürich hatten wir ca. 650 Mitarbeiter, alle anderen waren (und sind) verteilt auf grössere Standorte in Österreich, Luxemburg, Polen und Deutschland.
CW: Haben Sie Niederlassungen schliessen müssen?
Schluep: Nein. Wir haben weder Standorte geschlossen noch Personal abgebaut. Dazu wird es auch nicht kommen.
CW: Trotz potenzieller Doppelspurigkeit bei den Administrativfunktionen wie Finanz, Personal und IT…
Schluep: Natürlich haben wir wie erwähnt auch Synergien realisieren können. Auch unabhängig von der Übernahme durch Worldline waren und sind wir bestrebt, uns so effizient wie möglich aufzustellen. So hatte SIX Payment Services bereits ein Nearshore-Zentrum in Polen, in das einige Aufgaben ausgelagert wurden. Diese Niederlassung wird neu auch von Worldline genutzt. Wenn Tätigkeiten von Mitarbeitern in der Schweiz durch das Nearshoring übernommen wurden, waren wir immer bestrebt, den Kollegen Opportunitäten in anderen Bereichen des Unternehmens anzubieten. Das ist in den meisten Fällen auch gelungen. Die Fälle von Entlassungen kann ich an einer Hand abzählen.
CW: Auch bei der Informatik dürfte es eine gewisse Doppelspurigkeit gegeben haben…
Schluep: Bei dieser Frage ist zwischen Systemen und IT-Spezialisten zu unterscheiden. Was die Systeme betrifft, so streben wir natürlich – soweit sinnvoll und möglich – eine Konsolidierung an. Beispielsweise wird das Acquiring-Backoffice-System namens «iPass» zukünftig die massgebende Plattform sein und wir migrieren aktuell verschiedene Worldline-Systeme auf iPass. Das erfordert aber – und nun sind wir bei den IT-Spezialisten – zusätzliche Entwicklungskapazitäten. Hier verstärken wir uns mit Kollegen von Worldline, bauen aber zusätzlich auch ganz neue Teams auf, zum Beispiel in Mailand.
Zur Person
Marc Schluep
ist seit der Zusammenführung von SIX Payment Services mit Worldline Ende 2018 Managing Director von Worldline in der Schweiz. Bei SIX hatte er ab 2008 strategische und operative Managementfunktionen inne, zuletzt die Leitung der SIX Payment Services. Von 2004 bis 2007 zeichnete Schluep bei der Schweizer Börse, SWX Group, für die Strategie-Entwicklung verantwortlich. Seine Laufbahn begann er bei der Unternehmensberatung Arthur D. Little.
Umfangreiches Konsolidierungsprojekt
CW: Welchen Umfang hat dieses Konsolidierungsprojekt von SIX Payment Services und Worldline?
Schluep: Wir sprechen von einer Laufzeit von voraussichtlich drei Jahren. Einerseits müssen die IT-Systeme migriert werden, andererseits aber auch die Kunden mit neuer Infrastruktur versorgt und dann an die neue Lösung angeschlossen werden. Wir sprechen von Investitionen von mehreren Millionen Franken.
CW: Wer leitet dieses Projekt?
Schluep: Die operative Leitung des Projekts liegt beim früheren IT-Chef der SIX Payment Services, Daniel von Aesch. Er ist ein ausgewiesener Experte in Migrationsprojekten in den Bereichen Acquiring- und Issuing-Processing. Bis anhin läuft das Projekt plangemäss. Drei bestehende Worldline-Lösungen werden sicher auf die SIX-Plattform migriert, allenfalls noch eine vierte.
CW: Sie haben eine lange berufliche Historie bei SIX. So war die Übernahme durch Worldline vermutlich nicht die erste Firmentransaktion, an der Sie mitgewirkt haben.
Schluep: Das stimmt. Schon 2008 haben die Schweizer Banken ihre drei Gemeinschaftswerke SWX Group, SIS Group und Telekurs in der SIX zusammengelegt. Als Leiter der Strategie-Abteilung der Schweizer Börse war ich sehr stark in die Fusion involviert – respektive hatte die Freude, das Projekt leiten zu dürfen. Diese Aufgabe war sehr reizvoll für mich, da ein Dreifach-Merger nicht gerade ein alltägliches Vorhaben ist. Ich habe nie wieder so viel gearbeitet wie in dieser Zeit, die ich als hoch interessant und sehr intensiv in Erinnerung habe.
CW: Gibt es Lehren aus dem Merger damals, die Ihnen im aktuellen Prozess noch nützlich sind?
Schluep: Hier muss ich vorausschicken, dass ich damals für den Zusammenschluss sowie auch für die Integrationsarbeiten die volle Verantwortung hatte. Diesmal war ich in dem Prozess nicht im Lead. Ausserdem sind die Merger nur schwer vergleichbar: Mit SWX, SIS und Telekurs kamen damals drei ganz unterschiedliche Geschäftsfelder zusammen, während SIX Payment Services und Worldline ein ähnliches Portfolio aufweisen.
Der Zusammenschluss wurde damals seitens der Mitarbeiter nicht auf Augenhöhe wahrgenommen – jeder hatte das Gefühl, vom anderen Unternehmen übernommen zu werden, und es kam an allen Ecken zu teilweise irrationalen Abwehrreflexen gegen das neue Konstrukt. Im aktuellen Fall standen wir einander als gleichwertige Partner gegenüber und wir haben eine viel höhere Akzeptanz bei den Mitarbeitern erreicht.
CW: War allenfalls die Kommunikation ein Knackpunkt bei den Fusionen?
Schluep: Gut, sprechen Sie es an. In der Kommunikation gab es tatsächlich einen grundlegenden Unterschied zwischen den beiden Mergern: Die Fusion zur SIX vor elf Jahren war ein Geheimprojekt. Wir hatten damals keine Chance, die Mitarbeiter mitzunehmen auf die Reise in das neue Unternehmen. Die letztendliche Ankündigung des Mergers war dann auch für sämtliche Angestellten eine relativ grosse Überraschung – für einige sogar ein Schock.
Bei dem Deal mit Worldline lagen die Karten ab dem Entscheid des SIX-Verwaltungsrats offen auf dem Tisch. Also gut ein halbes Jahr vor dem tatsächlichen Zusammenschluss. Als Geschäftsleitung von SIX Payment Services haben wir ausserdem der offenen Kommunikation die höchste Priorität eingeräumt. So haben wir alle Kollegen über jeden Schritt auf dem Weg zum Merger vollkommen transparent informiert. So konnten wir in der Belegschaft Vertrauen in unser Handeln gewinnen. Und die Mitarbeiter haben sich frühzeitig mit der Tatsache anfreunden können, dass SIX Payment Services einen neuen Eigentümer erhalten wird. Den Erfolg der transparenten Kommunikation können wir an der konstanten Fluktuationsrate ablesen.
“Der SIX-Merger war ein Geheimprojekt. Diesmal kommunizierten wir offen„
Marc Schluep
CW: Sie haben die Mitarbeiter auf eine «Reise» mitgenommen. Können Sie bitte erklären, wie diese «Reise» organisiert war?
Schluep: Für alle Mitarbeiter haben wir Townhall Meetings organisiert, an denen wir über die grossen Ankündigungen informiert haben. Parallel gab es Einzelgespräche und einen kontinuierlichen Informationsfluss via Intranet. Um die «Reise» zu visualisieren, haben wir immer einen Koffer dabeigehabt – sowohl einen echten als auch ein Symbolbild. Die Angestellten haben wir gebeten, dass sie selbst ihre Koffer packen sollen, um für die Reise bereit zu sein. Die Informationsflyer waren als Tickets gestaltet, auf denen die nächsten Stationen aufgedruckt waren. Inhaltlich haben wir zu den Fakten auch immer eine Begründung mitgeliefert, damit die Mitarbeiter verstehen konnten, warum die Massnahmen erforderlich waren. Die Transparenz war uns sehr wichtig.
Herausforderungen im Schweizer Zahlungsverkehr
CW: Nach dem Zusammenschluss ist Worldline einer der grössten Zahlungsdienstleister in Europa. Wird Grösse zum Alleinstellungsmerkmal?
Schluep: Worldline ist in Kontinentaleuropa sogar der grösste Zahlungsdienstleister überhaupt. In unserem Geschäft ist die Grösse vorteilhaft aufgrund der möglichen Skaleneffekte. Im Hinblick auf den herrschenden Margendruck sind die Skaleneffekte notwendig, um dem Markt kompetitive Preise anbieten zu können. Weiter ist die grosse geografische Präsenz ein gutes Verkaufsargument für international tätige Kunden wie Burger King, Swarovski oder Victorinox, die Zahlungsdienstleistungen gerne aus einer Hand beziehen möchten. Dann ist es von Vorteil, wenn ein Unternehmen wie Worldline in ganz Kontinentaleuropa, in Amerika, Asien und Afrika zu Hause ist.
CW: Welches sind die grössten Herausforderungen im Zahlungsverkehr in der Schweiz?
Schluep: Im Retail wird noch zu 50 Prozent mit Bargeld bezahlt, wenn man die Anzahl Transaktionen zählt. Beim Volumen sind es rund 30 Prozent, da grössere Beträge eher mit der Karte gezahlt werden. Die Schweiz ist relativ weit entwickelt beim Zahlungsverkehr. Interbanken-Zahlungen, die elektronische Rechnung und auch die Kartenzahlungen sind solide ausgebaut respektive verbreitet. Sogar eher exotische Dienste wie Alipay oder WeChat Pay werden unterstützt.
Die Herausforderungen sind auf der regulatorischen Ebene: Zum Beispiel die Umsetzung der europäischen PSD2-Richtlinie [Payment Services Directive 2; Anmerkung der Redaktion], die einen standardisierten Zugang zum Bankkonto für Dritte erlaubt. Das Stichwort ist hier «Open Banking», das für die Banken auch neue Konkurrenz bedeuten kann, indem Drittanbieter mit der Einwilligung des Kontoinhabers auf dessen Konto zugreifen und zum Beispiel Zahlungen auslösen oder Kontoinformationen verschiedener Banken in einem Portal konsolidieren können. Auf dem Papier gilt die Richtlinie nur für Institute in der EU. Über kurz oder lang wird sich ihr aber auch der Bankenplatz Schweiz nicht gänzlich entziehen können.
Ein weiterer neuer Aspekt im Zahlungsverkehr sind alternative Bezahlmethoden: Sie können für Banken ebenfalls zur Herausforderung werden, da sie nicht mehr die volle Kontrolle über die Kundenschnittstelle haben. Bei digitalen Wallets wie Apple Pay oder Samsung Pay werden seitens des Konsumenten die Handy-Hersteller als Zahlungsdienstleister wahrgenommen, obwohl das Zahlungsmittel nach wie vor durch die Banken herausgegeben wird. Bei den erwähnten Alipay oder WeChat Pay sind es Software-Häuser. Die Bank wird reduziert auf eine Kontoführungsinstanz, mit der ein Kunde so gut wie keine Interaktion mehr hat. So werden Banken austauschbar und das durchaus lukrative Zahlungsverkehrsgeschäft Apple oder reinen Online-Banken wie beispielsweise N26 überlassen.
CW: Wie könnte Ihrer Meinung nach die Zukunft des Zahlungsverkehrs aussehen?
Schluep: Es ist durchaus vorstellbar, dass Newcomer wie die britische Revolut in Zukunft eine ganze Palette an Bankdienstleistungen anbietet. Wie das aussehen könnte, lässt sich heute schon in China studieren: Das
Unternehmen hinter Alipay, Ant Financial, ist schon jetzt einer der grössten Bankdienstleistungsanbieter Chinas. Via Alipay bezahlen die Konsumenten nicht nur, sondern können auf der Plattform auch Aktienkäufe tätigen, Hypotheken beantragen, Kleinkredite aufnehmen und Versicherungsverträge abschliessen.
Unternehmen hinter Alipay, Ant Financial, ist schon jetzt einer der grössten Bankdienstleistungsanbieter Chinas. Via Alipay bezahlen die Konsumenten nicht nur, sondern können auf der Plattform auch Aktienkäufe tätigen, Hypotheken beantragen, Kleinkredite aufnehmen und Versicherungsverträge abschliessen.
Ausländische Anbieter und Twint
CW: Welche Gefahr geht von ausländischen Anbietern für den Bankenplatz Schweiz aus?
Schluep: Ich würde hier eine kurz- respektive mittelfristige Perspektive sowie eine langfristige Sicht unterscheiden wollen. Kurz- und allenfalls mittelfristig werden Anbieter wie Ant Financial ihrer einheimischen Klientel ermöglichen, mit den gewohnten Zahlungsmethoden auch im Ausland zu zahlen. So ist die Akzeptanz auf der Händlerseite derzeit im Fokus von Alipay. Worldline hat das System schon länger im Portfolio, neu auch WeChat Pay und andere – auch europäische – Zahlungsmethoden.
Langfristig rechne ich damit, dass Ant Financial nicht nur die Akzeptanz von Alipay im Ausland anstrebt, sondern dass sie auch das Ökosystem in anderen Märkten replizieren will. Das Geschäftsmodell sowohl von Ant Financial als auch von Tencent als Betreiber von WeChat basiert auf der Monetarisierung von Kundendaten. Hierfür genügt es nicht, ausschliesslich die Zahlungsinformationen zu sammeln und auszuwerten. Die personenbezogenen Daten werden dann attraktiv, wenn auf einer Plattform wie WeChat auch noch das Taxi gerufen, eine Ferienreise gebucht und der tägliche Einkauf erledigt wird. Für die Schweizer Banken stellen aus meiner Sicht nicht die kleinen Fintechs eine Bedrohung dar. Vielmehr sind die grossen Technologiekonzerne wie Alibaba, Apple, Google oder Tencent die neuen Herausforderer.
Worldlines Marc Schluep hatte schon vor zehn Jahren die Vision von «Naked Payments»
Quelle: Samuel Trümpy
Schluep: Diese Frage muss sich in erster Linie Twint und nicht Worldline als Acquirer stellen. Aber mit der im September von Twint und sechs weiteren europäischen mobilen Zahlungsanbietern ins Leben gerufenen European Mobile Payment Systems Association (EMPSA) ist das Thema aktueller denn je. Das Ziel von EMPSA ist die Interoperabilität zwischen ihren Mitgliedern, damit man zum Beispiel ein Schweizer Twint auch in Schweden einsetzen kann, wo Swish als mobile Methode weitverbreitet ist. Für die Interoperabilität respektive Internationalität eines «Schemes» wie Twint gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Erstens, wie soeben dargestellt, die Interoperabilität mit anderen lokalen Bezahlsystemen. Oder zweitens den Export inandere Märkte.
Den zweiten Weg erachte ich persönlich als extrem schwierig. Denn in vielen europäischen Märkten gibt es bereits lokale Bezahlmethoden, die zum Teil fest etabliert sind. Ausserdem müssten sowohl die Händler als auch die Konsumenten für das neue System gewonnen werden, was eine enorme Herausforderung darstellt. Um einer Lösung wie Twint zu europaweiter Akzeptanz zu verhelfen, erachte ich die Interoperabilität mit anderen lokalen Systemen als einzig gangbaren Weg. Das Abwickeln der internationalen Zahlungen könnte Worldline dann selbstverständlich unterstützen.
CW: Welche Perspektive sehen Sie für Twint?
Schluep: In der heutigen Situation sehe ich für lokale «Schemes» wie Twint oder auch die Postcard durchaus noch einen Markt. Denn die Mehrzahl der Zahlungen erfolgt national und nicht über Grenzen hinweg. Bei Twint konnte erreicht werden, dass die Lösung sowohl von den Händlern als auch den Konsumenten in der Schweiz angenommen wird. SIX Payment Services hat dabei als Anbieter von Bezahlterminals eine wichtige Rolle gespielt, die Banken mit ihren Millionen von Kunden ebenfalls. Das Alleinstellungsmerkmal P2P-Zahlungen, neu auch der Münz-Ersatz an Parkuhren oder das einfache Bezahlen auf Bauernhöfen, tragen ihr Übriges zur Verbreitung von Twint bei. Langfristig muss sich der Dienst aber nun gegen globale Anbieter wie Apple oder Google beweisen.
“Bei ‚Smile to pay‘ genügt ein Lächeln im Laden für die Bezahlung„
Marc Schluep
CW: Ich gebe Ihnen etwas Zeit zum Träumen: Wie sieht für Sie der ideale Bezahldienst aus?
Schluep: Es mag schon bald zehn Jahre her sein, als wir bei SIX einen Managementworkshop zu Innovation veranstaltet haben. Ich nahm an der Arbeitsgruppe zum Zahlungsverkehr teil, in dem wir uns über die Zukunft der Bezahlsysteme ausgetauscht haben.
Schluep: Es mag schon bald zehn Jahre her sein, als wir bei SIX einen Managementworkshop zu Innovation veranstaltet haben. Ich nahm an der Arbeitsgruppe zum Zahlungsverkehr teil, in dem wir uns über die Zukunft der Bezahlsysteme ausgetauscht haben.
Wir entwickelten unter anderem eine Idee mit der Arbeitsbezeichnung «Naked Payments» [schmunzelt]. Es ging tatsächlich um die Nacktheit. Konsumenten sollten nackt ein Bekleidungsgeschäft betreten, sich dort einkleiden und den Laden anschliessend wieder verlassen können. Was damals noch fantastisch tönte, lässt sich mit der heutigen Technologie durchaus realisieren. Denn es braucht mittlerweile weder ein Bezahlmedium noch einen eigentlichen Check-out-Prozess.
Trotzdem muss die Lösung einerseits hinsichtlich Betrug und andererseits bezüglich Datenschutz sicher sein. Das sind für mich die Merkmale eines perfekten Bezahldiensts. Dass sich dieser realisieren lässt, haben die Beispiele Avec Box und Amazon Go eindrucksvoll demonstriert. Hier wird zwar noch das Handy zum Check-in verwendet, doch gibt es mit «Smile to Pay» in China bereits Methoden, die gänzlich ohne Bezahlmedium auskommen. Ein Lächeln reicht und es ist bezahlt.
Datenanalyse bei Worldline
CW: Der Zahlungsverkehr ist streng genommen ein Datengeschäft. Wie viel Analytik kommt bei Worldline zum Einsatz? Können Ihre Kunden beispielsweise auf einem Dashboard ablesen, wie viel Umsatz sie voraussichtlich in der nächsten Stunde machen werden?
Schluep: Prädiktive Analytik bieten wir bis anhin noch nicht an. Den angeschlossenen Händlern steht aber unser «MyPaments»-Portal zur Verfügung, in dem sie Zugriff auf die Transaktionshistorie haben und auch Auswertungen machen können. An der Integration von künstlicher Intelligenz und fortgeschrittener Analytik arbeiten wir noch.
Weiter werden wir von Kunden aus dem Finanzsektor mit Anfragen nach «Alternative Data» konfrontiert. Die Banken besitzen riesige Mengen an Finanzdaten, seien es Börsenwerte, Devisenkurse, Fonds oder Zertifikate. Diese wollen sie mit «Alternative Data» kombinieren, um durch ausgeklügelte Algorithmen und schlaue Auswertungen beispielsweise bessere Investitionsentscheide treffen zu können. Unsere Zahlungsdaten lassen sich hier durchaus verwenden. Stand heute sind wir aber noch nicht so weit, die Transaktionsdaten zu monetarisieren.
CW: Dabei könnten Sie die Daten aufgrund der schieren Masse durchaus auch anonymisiert auswerten…
Schluep: Richtig. Beispielsweise liessen sich mit den Transaktionsdaten auch Indikatoren für den Konsum bilden. Sie werden heute vom Bundesamt für Statistik oder der Konjunkturforschungsstelle der ETH ausgeliefert – jedoch mit erheblicher zeitlicher Verzögerung. Wir könnten nahezu in Echtzeit liefern – selbstverständlich nur für den Retail, den wir aber immerhin grösstenteils abdecken. Die Händler könnten dann, bezogen auf ihre Branche, einzelne Kundensegmente oder eine geografische Region, Antworten bekommen, ob bei Regenwetter der Konsum sinkt oder ob an einem typischen Dienstagmorgen mehr umgesetzt wird als am Mittwochvormittag. Hier muss ich allerdings gestehen, dass wir die Daten zwar besitzen, die Auswertungen aber heute noch nicht anbieten können.
CW: Woran fehlt es?
Schluep: Es sind immer die gleichen limitierenden Faktoren: die fehlenden Ressourcen und die fehlende Zeit.
CW: Danke für das Stichwort: Hat der Zusammenschluss mit Worldline das Fachkräfteproblem verkleinert?
Schluep: Leider ist das Fachkräfteproblem durch den Merger nicht kleiner geworden. Dafür gibt es aber mehrere Gründe. Erstens limitiert uns das Budget: Wir würden gerne noch Hunderte Applikationsentwickler für die Umsetzung ebenso vieler Ideen einstellen, müssen hier aber selbstverständlich priorisieren.
Zweitens gibt es nur wenige gute Fachleute. Durch den Merger ist der Pool zweifellos grösser geworden, aber genügend Spezialisten gibt es nie. So müssen wir heute auch weiterhin gewisse Projekte hintanstellen.Das ist aber keine neue Situation für Worldline – und Worldline ist nicht die einzige Firma mit diesem Problem. Die Kunden und auch wir haben genügend Ideen, wie sich der Markt und auch wir uns weiterentwickeln könnten.
Zur Firma
Worldline
ist der europäische Marktführer bei Zahlungsverkehrs- und Transaktionsdienstleistungen. Das Portfolio umfasst das Commercial Acquiring für den Handel, die Abwicklung von Zahlungsverkehrstransaktionen für Finanzinstitute sowie Transaktionsdienstleistungen im Bereich E-Ticketing. In über 30 Ländern beschäftigt Worldline rund 11'000 Mitarbeiter und erwirtschaftete 2018 einen Umsatz von rund 2,2 Milliarden Euro.