Robert Jeanbart von SIX: «Schon seit zwei Jahren setzen wir auf die KI»
Innovation, Talentgewinnung und IT-Infrastruktur
CW: Woher stammen die Produktideen?
Jeanbart: Der Schlüssel zum Erfolg in der Zukunft ist Innovation. Um innovativ zu sein, erfordert es manchmal «altes» Know-how kombiniert mit neuem Talent. Aber insbesondere das neue Talent ist notwendig, damit Innovation entsteht. Denn das alte Know-how wird alles dafür tun, um seinen Status zu erhalten und sich so unersetzbar zu machen. Also versuchen wir, altes Know-how weitestgehend zu halten und viel neues Talent zu gewinnen.
CW: Wie gewinnen Sie neue Talente?
Jeanbart: Das ist einfach. Wir bieten den Talenten heute sowohl eine Vision als auch ein Versprechen an.
“Menschen arbeiten lieber in erfolgreichen Unternehmen als in Verliererfirmen„
Robert Jeanbart, SIX
CW: Welche?
Jeanbart: Eine Geschäftsvision. Als ich hier vor vier Jahren antrat, stand SIX Financial Information nicht gut da. Wir schrieben rote Zahlen und hatten keine Idee, wie es weitergehen sollte. Unser Produktportfolio bestand aus unübersichtlichen 150 Lösungen und unsere Kundschaft war extrem diversifiziert. In dieser Situation definierten wir zuerst, welches unsere Zielmärkte und unsere Stärken sind. Auf der Basis eines soliden fachlichen Hintergrunds, einer wohl definierten Zielgruppe und der Konzentration auf unsere Stärken schuf ich eine Strategie. Mit der Strategie können wir heute Leute überzeugen, für SIX zu arbeiten. Hinzu kommt noch der Erfolg: Menschen arbeiten lieber in erfolgreichen Unternehmen als in Verliererfirmen. Niemand will in einem Konzern tätig sein, der jedes Jahr Dutzende Leute entlässt, weil er ihr Salär nicht bezahlen kann. Und deshalb das Versprechen: Jeder einzelne Mitarbeiter hat heute die Möglichkeit, sich aktiv in das Geschäft einzubringen und sich innerhalb von SIX weiterzuentwickeln.
CW: Haben Sie Ihren langjährigen Kollegen auch die «neue» Geschäftsvision vermittelt?
Jeanbart: In einer meiner früheren Tätigkeiten war ich selbst ein Produktmanager für Telefone. Ich hatte bei der Entwicklung mitgeholfen und war stolz auf das Produkt, das ich nun verkaufen durfte. Als damals jemand Verbesserungsvorschläge machte, habe ich mein Produkt zunächst verteidigt. Bald erkannte ich aber, dass ich meine Fähigkeiten und Kenntnisse viel besser verwenden kann, um das Produkt weiterzuentwickeln. Damit begann eine Entwicklung auch meiner eigenen Karriere. Der Umgang mit langjährigen Kollegen ist die grösste Herausforderung unserer Zeit. Sie sollten zwar einen gewissen Stolz haben auf das Erreichte, sich aber nicht zu sehr mit den selbst entwickelten Produkten identifizieren. Sie sollten die Bereitschaft haben, ihr Wissen dafür einzusetzen, immer wieder neue Produkte zu entwickeln. «SIX Flex» ist genauso entstanden: Die Lösung basiert auf einem soliden Grundlagenwissen, das mit moderner Technologie kombiniert sowie umgesetzt wurde.
CW: Können Sie mir eine Idee von der IT-Infrastruktur hinter einer Lösung wie «SIX Flex» geben?
Jeanbart: Wenn wir allein die 27 Millionen Datenpunkte multiplizieren mit den 3000 Attributen, dann sind wir bei 81 Milliarden Byte. Diese Menge generieren wir täglich. Sie wird verarbeitet, zum Teil für weitergehende Kalkulationen verwendet und täglich an Kunden übertragen.
CW: Müssen Sie die Daten speichern?
Jeanbart: Ja, wir speichern sämtliche Daten vollumfänglich. Nur so können wir eine lückenlose Historie generieren mit allen finanzrelevanten Ereignissen.
CW: Wie lang ist die Historie bereits? Reicht sie sogar bis zur Ticker AG zurück?
Jeanbart: Offen gesagt weiss ich das nicht so genau. Wir haben einige Migrationen unserer IT-Systeme hinter uns, sodass allenfalls nicht mehr alle Datensätze verfügbar sind. Aber trotzdem ist der Datenbestand sehr gross. Spannend ist, wie die Daten entstehen: Ich habe die 80 Prozent automatische und 20 Prozent manuelle Erfassung erwähnt. Um den Anteil der manuellen Arbeiten zu verringern, setzen wir seit zwei Jahren in einem Schweizer Pilotprojekt auf Machine Learning und künstliche Intelligenz. Die Computerintelligenz erreicht heute einen Automatisierungsgrad von 75 Prozent bei den manuellen Tätigkeiten. Denn der Rechner kann selbstverständlich beispielsweise Jahresbilanzen, Webseiten oder Zeitungen genauso zuverlässig studieren wie ein Mensch.
CW: Bei Security kooperiert SIX mit IBM. Bei den Finanzdaten ebenfalls?
Jeanbart: Wir sind eines der weltweit grössten Datenverarbeitungsunternehmen im Finanzsektor. Deshalb haben wir einen Partner gewählt, der in diesem Bereich spezialisiert ist und über eine Präsenz in der Schweiz verfügt. Es ist weniger ein Verhältnis zwischen Kunde und Lieferant als eine Partnerschaft. Wir wollen experimentieren, sie ebenfalls. Die Antwort lautet somit: Nein.
CW: Welches wäre nach Ihrer Meinung ein ideales Einsatzgebiet für künstliche Intelligenz?
Jeanbart: Eine exzellente Anwendung für künstliche Intelligenz wären Schutzmassnahmen im Wertpapierhandel. Wenn eine Aktie typischerweise für 15 Franken gehandelt wird, können Anleger definieren, dass der Wert zum Beispiel nicht unter 11 Franken fallen und über 18 Franken steigen darf. Alle anderen Veränderungen in diesem Bereich sind akzeptabel. Als im Januar 2015 die Schweizerische Nationalbank SNB den Mindestkurs von Franken und Euro aufhob, stoppten alle Datenvendoren – sowohl Bloomberg, Thomson Reuters als auch wir – die Informationsübermittlung. Denn die Märkte spielten plötzlich verrückt. Dabei gab es überhaupt keine wirtschaftliche Grundlage für die Kursausschläge, sondern lediglich eine Ankündigung der SNB. Als die Ausschläge nach dem SNB-Entscheid während einer definierten Anzahl Sekunden und mit einer bestimmten Toleranz zu gross wurden, griffen die Schutzmassnahmen. Der Handel betroffener Wertschriften wurde automatisch gestoppt und die Experten gewarnt. Sie unterbrachen das Trading manuell und verschafften sich anschliessend einen Überblick über die Situation. Heute könnten Maschinen mit moderner Technologie und künstlicher Intelligenz innerhalb von Millisekunden Millionen von Finanzdaten gleichzeitig verarbeiten. Anhand dieser Informationen wäre der Computer in der Lage zu erkennen, dass es sich um eine «normale» Marktentwicklung handelt, bei der ein Handel weiterhin möglich ist.
CW: Wäre SIX heute besser vorbereitet für ein vergleichbares Szenario?
Jeanbart: Ja, wären wir. Mittlerweile haben wir ausgeklügeltere Eskalationsprozesse implementiert, die in einem vergleichbaren Fall viel schneller warnen würden. Ausserdem sind die Systeme heute noch besser örtlich verteilt, sodass von Anfang an mehr Informationen zur Verfügung stehen würden. Aber der letztendliche Entscheid, ob der Handel tatsächlich gestoppt wird oder nicht, liegt damals wie heute beim Menschen. Dieser Entscheid bleibt der schwierigste – aber auch der wichtigste.
Zur Firma
SIX
ist eine zentrale Infrastrukturanbieterin für Finanzdienstleistungen. Das Unternehmen beschäftigt in 23 Ländern rund 4000 Mitarbeiter und befindet sich im Besitz seiner Nutzer: der rund 130 Banken. SIX besteht aus fünf Geschäftseinheiten: Securities & Exchanges, Banking Services, Financial Information Innovation & Digital und Cards.