Revolutionäres Virtual Centre
Aufbau Virtual Centre
CW: Ergibt diese Teilung heute noch Sinn?
Meier: Absolut nicht. Die Distanz zwischen Zürich und Genf entspricht nicht einmal dem Abstand zwischen Boston und New York und dort gibt es weder zwei FSZ, noch einen geteilten Luftraum. Aufgrund der Teilung gibt es auch kulturelle Unterschiede zwischen unseren beiden Standorten: Das Luftraummanagement in der Westschweiz ist stärker französisch geprägt, im östlichen Teil der Schweiz eher deutsch. Das gilt auch für die Procedures. Hinzu kommt, dass die beiden FSZ über zwei unterschiedliche und komplett getrennte IT-Systeme verfügen, obwohl die Distanz keine 300 Kilometer beträgt. Dabei könnte der Schweizer Luftraum für den Überflug problemlos von einem Ort aus gemanagt werden, ja sogar vom Ausland aus, gäbe es kein nationales Mandat. Die komplexen Handovers innerhalb des Schweizer Luftraums wären eigentlich unnötig. Würden wir heute auf der grünen Wiese bauen, würden wir wohl ein FSZ in die Mitte des Landes legen und den ganzen Luftraum als einen managen.
CW: Skyguide will aber in diese Richtung gehen.
Meier: Richtig, mit unserem neuen Virtual Centre. Wir wollen die Prozesse zwischen Zürich und Genf harmonisieren, damit es keine Rolle mehr spielt, ob ein Flieger aus dem Osten oder Westen in die Schweiz hineinfliegt. Auch ergibt es keinen Sinn, zwei Data Center mit zwei unterschiedlichen Systemen zu betreiben. Das braucht entsprechend viel Know-how und Personal für den Unterhalt. Ein Data Center mit nur einem System würde ausreichen. Hinzu kommt, dass wir immer auf Vollkapazität planen müssen: Es braucht stets genügend Fluglotsen im Dienst, damit alle Flüge, die reinkommen, bewirtschaftet werden können. Zu geringe Kapazitäten aufseiten der Flugüberwachung können schnell zu Verspätungen führen, was einen Welleneffekt auf die Airlines hat. Und das wird sehr schnell sehr teuer – teurer als wenn wir zeitweise zu viele Flugverkehrsleitende im Einsatz haben. Um auch wirklich alle Eventualitäten abfangen zu können, muss ein FSZ sogar immer auf über 100 Prozent planen. Und das ist in der Schweiz zweimal und in Europa 68-mal der Fall, was einen doppelten respektive 68-fachen Puffer ergibt.
CW: Mit dem Virtual Centre kann dieser Puffer reduziert werden?
Meier: Bei einer «logischen Verknüpfung» von mehreren FSZ können wir die verschiedenen Puffer reduzieren oder unter gewissen Umständen sogar unter 100 Prozent planen. Doch das geht nur, wenn die Prozesse und Systeme ortsunabhängig, also nicht an den jeweiligen Luftraum gebunden sind. Das lösen wir mit einem virtuellen FSZ, dem Virtual Centre, mit dem der ganze Schweizer Luftraum über ein System – aber von zwei Standorten aus – betreut wird. Das Ziel davon ist, dass wir mit gleich viel Personal mehr oder weniger das Gleiche mit weniger Leuten tun können. Wir können beispielsweise die Puffer reduzieren oder in der Nacht eines der Zentren schliessen, um den Luftraum nur von einem aus zu managen.
CW: Warum werden die FSZ nicht gleich komplett zusammengelegt?
Meier: Dank des Virtual Centres stellt sich die Frage, wo die Fluglotsen sind, nur sekundär. Deshalb ist unsere Idee eines Virtual Centres auch so attraktiv für Europa. Sollte es künftig statt 68 FSZ vielleicht nur noch deren 12 geben, stellt sich die Frage, welche abgeschaltet werden. Das kann schnell sehr politisch werden. Wenn aber so operiert wird, als gäbe es «logisch» nur noch einen einzigen europäischen Luftraum, wird es nebensächlich, wo die Fluglotsen sitzen oder wo sich das System befindet.
CW: Wie ist Skyguide bei der Entwicklung des Virtual Centres vorgegangen?
Meier: In der ersten Phase haben wir die Prozesse der beiden FSZ harmonisiert und Technologien eingeführt, die auf einem modernen, offenen System beruhen, statt auf alten, geschlossenen Systemen. Das bringt Vorteile. Nun können mittels Mausklick Standardinformationen direkt in den Bordcomputer des Flugzeugs gepusht werden, ohne dass der Funk benutzt werden muss. Allein schon dadurch mussten wir in der Wachstumsphase des Flugverkehrs in den letzten sieben Jahren 30 Flugverkehrsleitende weniger einstellen.
CW: Apropos Personal – gibt es Fachkräftemangel bei den Fluglotsen?
Meier: Der ist regional unterschiedlich. Wir haben in der Deutschschweiz weniger Probleme als in der Romandie, wo es tatsächlich schwieriger ist, genügend Flugverkehrsleitende zu finden. Ein Mitgrund ist sicherlich das komplexe Ausbildungskonzept. Aufgrund der Sicherheitsanforderungen ist die Ausbildung sehr langwierig und teuer: Sie dauert drei bis vier Jahre und kostet durchschnittlich 800 000 bis 900 000 Franken – die von Skyguide getragen werden. Kommt es plötzlich zu einer Zunahme des Luftverkehrs oder etwa einer Wirtschaftskrise, die zu Verkehrsrückgang führt, können wir den Bestand an Flugverkehrsleitenden nicht einfach kurzfristig hoch- oder runterfahren. Wir müssen auf fünf Jahre hinaus planen und haben deshalb kaum flexible variable Kosten. Das ist bei allen Flugsicherungsunternehmen in Europa so. Hier kann das Virtual Centre helfen, Nachfragefluktuationen über einen höheren Grad an Automatisierung abzufangen und die Abhängigkeit von der Anzahl Flugverkehrsleitender zu verringern.