10.02.2006, 18:48 Uhr

«Nanobots sind die Computer der Zukunft»

Der Erfinder und Techno-Tüftler Ray Kurzweil glaubt, dass in baldiger Zukunft menschliche und künstliche Intelligenz verschmelzen und Computer von der Bildfläche ­verschwinden werden.
Computerworld: Herr Kurzweil, Ihre Idee, das menschliche Gehirn einem Re-Engineering zu unterziehen, wirkt ziemlich weit hergeholt.
Ray Kurzweil: Erst seit kurzem haben wir die Möglichkeit, das menschliche Gehirn in genügend grosser Auflösung zu scannen. Inzwischen gibt es fünf, sechs neuartige Scan-Techniken, und nun können wir zum ersten Mal sehen, wie in unserem Gehirn Gedanken entstehen. Die Daten, die wir dabei sammeln, verdoppeln sich jährlich. Da sich die Daten bestimmten Gehirnbereichen zuordnen lassen, können wir es bald in mathematischen Modellen nachbauen. Ende der 2020-er Jahre werden wir sehr exakte, detaillierte Simulationen aller Gehirnregionen zustande bringen - und das ist eine konservative Zeitschätzung. Zehn Billiarden Rechenvorgänge pro Sekunde reichen aus, um alle Gehirnregionen zu simulieren. In Japan stehen bereits zwei Superrechner, die diese Leistung bis 2010 erreicht haben werden. Damit stellt sich die Frage: Sind wir intelligent genug, um unsere eigene Intelligenz zu verstehen? Vielleicht ist ja das ein Merkmal komplexer Systeme - dass sie nicht komplex genug sind, um sich selbst zu verstehen.
Computerworld: Warum sollte man das Gehirn in Software nachbilden, wenn es bereits als Wetware vorliegt?
Ray Kurzweil: Wir werden in der Lage sein, die Vorteile menschlicher Intelligenz, insbesondere unsere Fähigkeit zur Mustererkennung, mit Prozessen zu kombinieren, in denen uns die Maschinen überlegen sind. Beides zusammen ergibt enorme Leistung.
Computerworld: Wie geht es mit Computern in Zukunft weiter?
Ray Kurzweil: Wenn wir das Moore"sche Gesetz erst einmal überwunden haben, werden wir molekulare 3D-Rechner haben. Ende der 2040-er Jahre wird ein Quadratzoll Schaltkreise aus Nanoröhren hundertmal mehr Power haben als das menschliche Gehirn. Softwareseitig werden die Geräte in den 2030-er Jahren auf ihren eigenen Quellcode zugreifen und ihn mittels immer schnellerer, iterativer Designzyklen optimieren können. So gesehen sind diese Systeme erheblich intelligenter als Menschen, und sie kombinieren die Vorteile biologischer und nicht-biologischer Intelligenz. Verstehen Sie mich richtig, ich setze solche Maschinen nicht gleich mit einer Invasion Ausserirdischer, denn sie entstehen aus unserer Zivilisation heraus.Sehr viel früher noch werden Computer aus einem weltweiten Netz von Rechenelementen bestehen, so dass jeder jederzeit zum Beispiel 400 Millisekunden lang auf eine Million Rechner zugreifen kann. Und ab Anfang des kommenden Jahrzehnts werden Bilder direkt auf unserer Netzhaut abgebildet werden. Wie lassen sich Bildschirme winzig klein und gleichzeitig riesig konstruieren? Indem man sie in Brillengläser integriert und die Bilder direkt auf die Netzhaut sendet.
Computerworld: Sie sagen, dass Computer verschwinden werden. Wie muss man sich das konkret vorstellen?
Ray Kurzweil: Computer werden in Kleidung und überall in der Umgebung integriert werden, und sie werden winzig klein sein. Wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, dass ein Computer nur ein beliebiges, aber kein tragendes Element eines Netzwerks sei. Vielmehr wird jedes Gerät einen Knoten im Netz darstellen. Sie als User verschicken also nicht bloss Ihre eigenen Messages, sondern transportieren die Messages Dritter. Ein solches Netz organisiert sich permanent selbst, so dass alle Kommunikationswege ständig optimiert werden.
Computerworld: Was meinen Sie genau, wenn Sie prophezeien, dass Menschen und ihre Technologien fusionieren werden?
Ray Kurzweil: Wir werden intelligente Maschinen, so genannte Nanobots, in den Blutkreislauf einschleusen. Ende der 2020-er Jahre wird diese Hardware beachtliche Rechen-, Kommunikations- und Robotikfähigkeiten haben. Zum Beispiel könnten Nanobot- Blutkörperchen Software gegen einen bestimmten Krankheitserreger herunterladen und ihn in Sekunden zerstören - viel schneller als biologische weisse Blutkörperchen. Milliarden solcher Nanobots könnten durch die Kapillaren in das Gehirn gelangen und unsere kognitiven Funktionen und damit auch die menschliche Intelligenz erweitern. Wir werden also die jetzigen biologischen Grenzen des «menschlichen Körpers Version 1.0» überschreiten. Die Upgrade-Version 2.0 wird das Leben dramatisch erweitern.
Computerworld: Was kann Version 2.0, was heute noch nicht möglich ist?
Ray Kurzweil: Ein mögliches Szenario ist die virtuelle Realität innerhalb des Nervensystems. Nanobots könnten die genuinen Signale der eigenen Sinnesorgane ausschalten und durch Signale aus einer virtuellen Umgebung ersetzen. Dann könnten Sie Ihren virtuellen Körper in eine virtuelle Umgebung versetzen, dabei alle fünf Sinne benutzen und zusätzlich die entsprechenden neurologischen Gefühle. Sie könnten so mit anderen Personen zusammentreffen. Sie könnten beispielsweise Erfahrungen aus der Vergangenheit machen.
Computerworld: Also wird unsere biologische Intelligenz unwichtig?
Ray Kurzweil: Der nicht-biologische Anteil wird mit dem Faktor 1000 pro Jahrzehnt schwinden, und schlussendlich wird die biologische Intelligenz unbedeutend sein. Die Leute sind alarmiert, wenn sie solche Aussagen hören, weil sie fürchten, dass sie zu Maschinen werden sollen. Aber sie denken an heutige, also plumpe Maschinen.
Computerworld: Was wird aus den IT-Fachleuten?
Ray Kurzweil: IT wird immer wichtiger, das ist die gute Nachricht. Alles, was irgendwie von Bedeutung ist, wird IT in sich tragen. Der Trend geht zur Spezialisierung, daher empfehle ich den IT-Fachleuten, sich in ausgesuchten Bereichen Detailkenntnisse anzueignen, sich mit ihresgleichen auszutauschen - und ihre Computer miteinander kommunizieren zu lassen.
Computerworld: Was sind die Kehrseiten Ihrer Visionen?
Ray Kurzweil: Darüber mache ich mir in der Tat viele Gedanken. Schon heute gibt es existenzielle Risiken, etwa die Gefahr, die Menschheit mit Atomwaffen auszulöschen. Oder biologische Viren: Das Know-how, wie man diese erschafft und die nötigen Hilfsmittel dafür sind weiter verbreitet als das Wissen um Atombomben, doch die Wirkung könnte noch desaströser sein. Das Genom gefährlicher Viren ins Netz zu stellen ist das allerletzte, was wir wollen - aber genau das tut das US-Gesundheitsministerium mit dem Grippevirus von 1918.
Catharina Bujnoch



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