18.06.2012, 17:10 Uhr

Das Internet der Zukunft liegt in China

An der Tsinghua-Universität in Beijing wird im Auftrag der chinesischen Regierung am Internet der Zukunft geforscht. Dem Volk geht es mitunter wie zu Kaisers Zeiten: Wie damals zur Verbotenen Stadt wird ihm heute der Zutritt ins Web mehrheitlich verwehrt.
Kommandozentrale beim CERNET2-Projekt an der Tsinghua-Universität in Beijing
«Nicht viele Leute wissen etwas über IPV6, deshalb haben wir kaum Ausländer hier», antwortet Chong Li von der Tsinghua-Universität in Beijing auf unsere Frage nach ausländischen IT-Studenten. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass die auf Ingenieurswissenschaften spezialisierte technische Universität, die von ihren Lehrkräften gern einmal mit dem renommierten MIT (Institute of Technology) in Massachusetts verglichen wird, mit rund 70'000 Studierenden genügend chinesischen Nachwuchs zur Verfügung hat. Li, der für das Forschungszentrum der Uni zuständig ist, kann nicht sagen, wie viele Studenten es im Bereich IT sind, geht aber von einem Viertel bis einem Drittel aus. Chong Li kommuniziert auf Chinesisch mit uns, seine Übersetzerin ist aussprachetechnisch eher schlecht zu verstehen. Wie sich später herausstellen wird, spricht Li ein ausgezeichnetes Englisch, will wohl aber, im Falle eines Fehlers nicht sein Gesicht verlieren. Vielleicht wurde er auch angehalten, uns Schweizer Journalisten - derzeit mit Huawei unterwegs - zu verwirren. Immerhin sind wir seit Beginn unserer Chinareise jeweils von mindestens zwei Schatten begleitet, die leicht unmotiviert im Hintergrund herumstehen und möglicherweise später rapportieren müssen, was wir alles wissen wollten. Lesen Sie auf der nächsten Seite: 30 000 Kilometer Glasfaser

Die Universität sei die beliebteste und berühmteste Science- & Technology-Universität Chinas, heisst es und gilt als die erste Adresse wenn es um die Erforschung des China Next Generation Internets (CNGI) geht. So steht beispielsweise das IPV4-Netz CERNET (China Education and Research Network), was landesweit über 2000 Universitäten und Schulen vernetzt, unter Tsinghuas operativer Leitung. Es ist von der chinesischen Regierung finanziert und soll das grösste akademische Forschungsnetzwerk überhaupt sein. Mit dem 30'000 Kilometer langen Glasfaser-Backbone werde hier Internetforschung auf höchstem Niveau betrieben, so Li. Angesichts der Tatsache, dass in China das Internet für die breite Masse oft mehr oder weniger gesperrt ist, Versuche, sich in Facebook und Co. einzuloggen ins Nichts führen und das Projekt von der Regierung vorgegeben, also auch kontrolliert wird, mutet diese Aussage schon fast ein wenig zynisch an. Trotz allem wird eifrig geforscht, um später weltweit mitmischen zu können: Neben renommierten chinesischen Konzernen seien als Partner auch Grössen wie Google, IBM oder Microsoft mit von der Partie.

Beim Folgeprojekt CERNET2 schliesslich handelt es sich laut Li um das erste und einzige IPV6-Netzwerk Chinas und um ein weltweites Pionierprojekt in der Erforschung des Internets der Zukunft. «In drei bis fünf Jahren werden alle wissen, wir müssen aufs Next Generation Internet wechseln", so Chong Li. «Und keiner wird um IPV6 herumkommen.» Als Antwort auf unser Anliegen ihn fotografieren zu dürfen sagt er lächelnd «No, thank you», dreht sich um und verschwindet grusslos auf Nimmerwiedersehen. In Beijing beginnt unterdessen die Rush Hour: 20 Millionen Einwohner versuchen in 5 Millionen Autos ihren Weg von A nach B zu finden. Auch wir werden heute wieder geduldig, ohne zu murren im Stau stehen. Denn wie lautet gemäss unserem Reiseführer David das Motto der Tsinghua-Studenten: Selbstdisziplin. Er selbst muss da noch etwas üben. Die meiste Zeit schläft er nämlich.

Susann Klossek, Beijing



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