03.09.2014, 15:26 Uhr

Warum sind Apple, Google und Amazon nicht mehr innovativ?

Grossfirmen wie Apple, Google und Amazon bieten kaum noch echte Neuerungen an - dafür jede Menge «Innovationstheater» ohne Substanz.
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Vor den Augen eines begeisterten Publikums hebt die erste Amazon-Drohne vom Boden ab, schwenkt in 30 Metern Höhe steil nach links, um nun das erste von Millionen zukünftigen Paketen per Direktflug auszuliefern. Applaus von der Menge. Aber nicht alle Zuschauer sind wirklich beeindruckt. Einige ahnen wohl schon, dass hier etwas aufgeführt wird, dass der amerikanische Startup-Guru Steve Blank «Innovationstheater» nennt und eher den Status eines Kleinstadttheaters hat, als tatsächliche Weiterentwicklung.Blank vermutet hinter solchen Shows die Absicht der Konzerne, die eigene Unfähigkeit zur kontinuierlichen Weiterentwicklung von Produkten, Ideen und Business mit Hilfe von innovativen Blendgranaten zu verbergen. Helle Strohfeuer, die davon ablenken, dass alles im Unternehmen nur noch Prozess und Bewahrung des Status Quo ist und nicht raumgreifender, beständiger Wandel. Am Anfang war das Feuer Apple, Google & Co. begannen ihre steilen Unternehmenskarrieren tatsächlich noch in den berühmt-berüchtigten «Garagen» oder in zugigen Lofts, den amerikanischen Ur-Orten innovativer Ideen und glorreichen Erfolgsgeschichten. Aber ob Garage oder nicht, an diesen magischen Orten werkelten stets nur eine Handvoll Menschen und übernahmen die komplette Verantwortung für die Entwicklung neuer Ideen. Hier fand noch direkter und unmittelbarer Kontakt zu Kunden statt und allein deren Bedürfnisse und Wünsche formten die fertigen Produkte. Man kann diese initiale Phase ganz am Anfang des so genannten Igor-Modells lokalisieren. Igor steht dabei für «Invent Grow Organize und Reinvent» und beschreibt den typischen Lebenszyklus eines Unternehmens. Nur in dieser Invent-Phase pflegt man noch den absolut direkten, ergiebigen und meist inspirierenden Austausch von Gedanken, Ideen und Kritik direkt mit Käufern oder Interessenten. Dies ist ein Urknallpunkt, den es danach so nie wieder geben wird. Alles in dieser Phase ist im Fluss und noch maximal variabel. Bei Apple will man zu diesem Zeitpunkt (1976) eigentlich nur einen Computer zum selbst bauen auf den Markt bringen und hat noch längst keine komplette PC-Welt im Sinn, bei HP geht es 1939 lediglich um gute Tonfrequenzer, Bill Gates hat 1975 mit DOS weder schon Windows noch eine X-Box-Spielekonsole vor Augen und Jeff Bezos möchte 1995 zunächst einfach nur gut Bücher verkaufen, keine Waschmaschinen oder Tablet-PCs. Dann sind erste Erfolge da und die Aufträge überschwemmen die jungen Gründer. In der «Grow-Phase», der Wachstums- und Skalierungsphase vergrössert sich das Unternehmen, es werden mehr Mitarbeiter eingestellt, Hierarchien gebildet Zweigstellen aufgemacht. Mit dem Sprung in andere Länder wächst die Zahl der Kunden und der Mitarbeiter. Nächste Seite: Mit dem Wachstum kommen die «Silos» Doch mit dem Wachstum kommen die «Silos» Abteilungen wie Produktmanagement, IT, Marketing oder Vertrieb bilden sich heraus, die sich schnell darstellen wie «Silos», also grosse «Tanks» mit nur einem «Inhaltsstoff», in denen die Mitarbeiter im eigenen Sud so vor sich hin gären. Vor allem schnelles Wachstum fördert eher unangenehme Begleiterscheinungen: Plötzlich tauchen massive Kommunikationsprobleme auf, Gefühle von Entfremdung, es gibt auf einmal Störungen im Ablauf und zum ersten Mal werden Mitarbeiter gefeuert oder trennen sich im Zorn. Meist wird nun auch der eine oder andere unliebsame Gründer, der vielleicht mit dem raschen Wachstum oder den eingeschlagenen Richtungen nicht klar kommt, aus dem Unternehmen gedrängt. Steve Jobs beispielsweise wurde gerade in der Grow-Phase von dem zu mächtig gewordenen Marketing-Chef John Sculley vor die Tür des Konzerns gesetzt.Höchste Eisenbahn also, um Strukturen in das Unternehmen einzuziehen, mit denen man hofft, die unangenehmen Begleiterscheinungen des Wachstums in den Griff zu bekommen. Es werden nun Prozesse definiert, Abläufe festgelegt und Qualitätskontrollen eingeführt werden. In dieser Optimize-Phase (Das O im Igor-Modell) wird ein nicht unerheblicher Aufwand betrieben, die zuvor verloren gegangene Kommunikation wieder in Gang zu bringen oder zu systematisieren. Gibt es in der Startup-Phase noch eine Menge Gelegenheit, sich zwischen Tür und Angel zusammenzusetzen, muss jetzt ein strukturierter «Workshop» her, streng eingefasst in Vorbereitung, Agenda, Meeting-Disziplin und Nachbereitung. Nächste Seite: Das Ende der Fahnenstange Das Ende der Fahnenstange Das vorläufige Ende des Lebenszyklus ist erreicht, wenn nun in diesem durchorganisiertem System auffällt, dass der verlorene Unternehmensgeist des Startups auch dazu führt, dass man nur sehr schwer neue Innovationen schaffen kann. Sich neu zu erfinden, sich Freiräume für neue Ideen zu geben, wird fast unmöglich. Es beginnt die Phase des so genannten Innovators-Dilemma, bei der das Unternehmen sich ernsthafte Gedanken über seine ideelle Weiterentwicklung machen muss. Im so genannten Igor-Modell der Unternehmensentwicklung nennt man diese Phase Re-Invent, also das «sich neu erfinden». Aber die Silos, die geschlossenen Abteilungen, die sich im Laufe der Entwicklungsphase der Firma beinahe zwangsläufig entwickelt haben, verhindern eine freie und unkomplizierte Innovation. Nokia – der Klassiker des Innovation-Dilemmas Ein imposant-trauriges Beispiel für dieses Innovations-Dilemma ist der Technologiekonzern und Handyhersteller Nokia, der sich nach einer intensiven Invent, Grow und Optimierungsphase sozusagen zu Tode optimiert hatte. 2007, genau in dem Moment, in dem praktisch alles stimmte, als man sich am Gipfel des Erfolgs wähnte, überholte ein anderer Konzern mit einer belächelten und disruptiven Idee den skandinavischen Musterschüler und bremste ihn gnadenlos aus. Das war ein Konzern, der seinen Spiritus Rector wieder eingestellt hatte, es war Steve Jobs von der Firma Apple mit seinem iPhone. Lösungen des Innovator-Dilemmas Das Igor-Modell zeigt, dass sich Unternehmen immer in das Innovators-Dilemma begeben, auch jene, die am Anfang extrem innovativ, zukunftsorientiert und agil dahergekommen sind wie Google. Aufmerksamen Lesern wird nicht entgangen sein, dass es aber ebenfalls ein Konzern war, der trotzdem mit innovativen Lösungen Nokia aus dem Handymarkt geworfen hat, nämlich Apple mit seinem charismatischen Gründer Steve Jobs. Ein Widerspruch? Nein. Apple war ein typischer Top-Down-Innovator. Das heisst, ein kongenialer Erfinder, ein Vordenker sitzt an der Spitze und nutzt seine Möglichkeit des direkten Zugriffs auf alle Silos und schafft so mehr oder weniger kontinuierliche, kreativ-disruptive Eingriffe in die Märkte. So ähnlich funktioniert auch Amazon heute noch. Erst vor kurzem stoppte Jeff Bezos einen firmeninternen Hickhack um die Einbindung der Amazon-Tochter Lovefilm mit einer seiner üblichen, radikalen Entscheidungen. Heraus kam das deutlich erfolgreiche «Instant-Video»-Programm in seiner genialen Verbindung zum Amazon-Prime Konzept. Diese Form der Top-Down-Innovation hat den entscheidenden Nachteil, dass Organisationen komplett auf diesen «Inventor» ausgerichtet werden. Stirbt so ein charismatischer Erneuerer wie Steve Jobs oder scheidet er aus dem Unternehmen aus wie Bill Gates bei Microsoft, dann schlägt die Silostruktur zu. Nach dem Tod von Jobs, scheint Apple nur noch Trends hinterher zu rennen und keine Trends mehr zu setzen.Neben diesen Top-Down-Innovationen haben Konzerne in den letzten Jahren weitere Methoden eingesetzt, um der Silo-Falle zu entgehen. Dazu gehört die Einrichtung von Querschnitts-Abteilungen über alle Silos hinweg, Incentive-Vergabe für kreative Ideen von Mitarbeitern, der Einsatz von Innovationsbeauftragten bis hin zu aussergewöhnlichen Schritten wie dem Umzug eines Konzerns oder die Zerschlagung von Unternehmensteilen in der Hoffnung, sich durch solche drastische Massnahmen selbst zu verjüngen. Nächste Seite: Innovationen kaufen Innovation kaufen Die schnellste und einfachste Möglichkeit, an Innovationen zu kommen, ist der permanente Einkauf von spannenden Startups. Bei Google zählt man mittlerweile bis zu drei Zukäufe im Monat und diese selten nur zum Schnäppchenpreis. Dabei hilft es, Steuerschlupflöcher bis an die Grenzen auszuloten. Milliarden Dollar stehen dadurch zur Verfügung und können für derartige Innovation investiert werden. Jüngstes Beispiel ist die Übernahmeschlacht zwischen Google und Amazon um die Video-Website Twitch. Eine Milliarde Dollar legte Amazon dabei auf den Tisch. Europäische Unternehmen verfügen meist über eine geringere Kapitalisierung. Sie können nicht mal locker eine Milliarde auf den Tisch legen. Gibt es für sie andere Möglichkeiten, um durch die starren Silos hindurch Innovation in das Unternehmen hineinzutragen? Kann man sich in einem kompetitiven Umfeld mit hausgemachten Innovationen neues Terrain erobern? Die Rückkehr des Startup-Feelings Erfolgreiche Startups haben nicht immer das Produkt eindeutig vor Augen, vielmehr bildete es sich im Zusammenspiel mit Kunden und deren Interessen heraus. Nichts wurde als gegeben vorausgesetzt. Wie kann man dieses Startup-Feeling zurückholen, das Feuer neu entfachen? Wie lässt es sich auf hochkomplexe, riesige Unternehmen übertragen, die in ihren Silos gefangen sind? Eine Antwort darauf beruht auf Steve Blanks Theorien. Blank ist der Spezialist für das Thema Entrepreneurship in den USA. Vor seiner Lehrtätigkeit an der Stanford-University in Kalifornien hat er jahrelang selbst Startups entwickelt und erfolgreich in Märkten etabliert. In seiner Lean-Startup-These hat sich Blank zunächst mit ursprünglichen Startups beschäftigt und herausgefunden, dass sie besonders erfolgreich sind, wenn deren Investoren verstehen, dass ein Startup keinesfalls eine kleine Version eines grossen Unternehmens ist, sondern eine Organisation, die sich ausschliesslich mit der Suche nach einem Business-Modell beschäftigt. In dieser Phase sollte man vermeiden, das Startup mit typischen Unternehmenskennzahlen zu gängeln. Erst wenn in dieser Phase (Die Search-Phase) ein skalierbares, wertschöpfendes Modell gefunden ist, wird aus dem Startup eine Organisation mit Prozessen. Sie erreicht die Execution-Phase und wird zu einer richtigen Firma. Das Geheimnis liegt in der Trennung von Suche und Erwartung Blank empfiehlt Konzernen eine strikte Trennung von Suche (Search) und den zu erwartenden Ergebnissen und Prozessen (Execute), wenn es um Innovationen geht. Zum anderen rät er dazu, die Arbeit mit Hypothesen, die ganz konkret und im Rohzustand sind, mit realen Kunden deutlich schneller zu verproben als bisher. Klingt logisch, ist aber in den monolithischen Konzernumgebungen enorm schwierig umzusetzen Viel zu oft werden den Neuentwicklungen Business-Pläne übergestülpt, gigantische Erwartungssysteme aufgebaut und Massstäbe einer Execution-Phase in die Search-Phase gedrückt. Damit ist das Scheitern von Innovationen praktisch vorprogrammiert. Sobald man die Innovatoren von der Last des Businessplans befreien kann, hat man wieder den Duft der Freiheit in der Nase, nähert sich dem Startup-Feeling, das man auf der Reise vom kleinen Unternehmen zum Konzern einst verloren hat. Über den Autor: Matthias Henrici entwickelt seit Ende der neunziger Jahre wertschöpfende eCommerce-Projekte u.a. für deutsche als auch internationale Unternehmen. Seit 14 Jahren lehrt er als Dozent für Usability und Neuro-Marketing an deutschen Hochschulen und arbeitet als Marketing-Spezialist und Innovationssberater für Safari-Consulting sowie als freier Autor.



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