23.04.2010, 15:30 Uhr

Das Amazon-Kindle-Tagebuch

Eine Woche mit dem eBook-Reader Amazon Kindle DX - wie bewährt sich das Gerät im Alltag? Ein Erfahrungsbericht.
Tag 1
Ich freue mich wie ein kleines Kind auf Weihnachten. Endlich ist es angekommen: das Paket mit Amazons Kindle DX. Kann der E-Reader wirklich ein Buch aus Papier ersetzen? Das «Schneuggen» in Magazinartikeln? Die gemeinsame Zeitungslektüre? Die Eigenschaften des Geräts sind jedenfalls beeindruckend: Speicherplatz für 3500 Bücher, 9,7-Zoll-Display (ca. 25 cm Durchmesser), Download aus dem Amazon-Shop jederzeit und überall via Handy-Netz.
Doch beim Öffnen des Pakets wartet die erste Enttäuschung: Weil der Kindle DX direkt aus den USA verschickt wird, ist im Lieferumfang nur ein US-Stromadapter enthalten. Wenigstens lässt sich der E-Reader mit dem beigelegten USB-Kabel auch via PC oder Notebook aufladen.
Ansonsten gefällt der elektronische Buchersatz; er liegt trotz seiner Grösse sehr gut in der Hand. Ein stabiler, eleganter Ledereinband schützt ihn unterwegs. Nach nur fünf Sekunden ist der Kindle DX betriebsbereit. Die Bedienung ist teils etwas träge, aber intuitiv. Das Lesen der englischen Anleitung kann man sich sparen. Texte und Bilder werden dank E-Ink-Technik (elektronische Tinte) aus jedem Blickwinkel gestochen scharf dargestellt - leider nur in Graustufen.
Tag 2
Amazon, was denkst du dir dabei? Ich habe mein Benutzerkonto eröffnet und möchte «Herztier» von Herta Müller kaufen - aber ich finde kein einziges deutschsprachiges Buch. Bislang sind im Kindle-Shop nur englische Werke verfügbar. Toll für ein Produkt, das man im deutschsprachigen Raum verkauft.
Zum Glück kann ich Englisch; gebe ich mich eben mit «The lost symbol» von Dan Brown zufrieden. Ich weiss: Das ist sicher nicht Nobelpreis-verdächtig. Aber ich habe zum Lesen nur knapp sieben Tage Zeit. Das geht mit Easy-Reading-Lektüre besser.
Dan Browns neuster Roman ist nach wenigen Klicks gekauft und auf dem Kindle DX. Kostenpunkt: schlappe $ 11.60. Da müssen sich die Buchhändler warm anziehen, denn dies ist der Durchschnittspreis für Kindle-Bücher.
An den PC muss ich das Gerät für den Kauf und Download nicht anschliessen. Das klappt direkt per Handy-Netz vom Bürostuhl aus - ohne Datentransfergebühren. Weil das so viel Spass macht, lege ich mir gleich noch ein kostenloses, 14-tägiges Abo der Frankfurter Allgemeine zu. Deutschsprachige Zeitungen gibt es im Kindle-Shop, aber leider keine aus der Schweiz.
Tag 3
Lesen, lesen, lesen: Ich starre sicher schon seit zwei Stunden auf den Kindle-Bildschirm; zuerst stehend und einhändig auf der Heimfahrt im vollen Tram und jetzt gemütlich zu Hause im Sessel. Kompliment: Ich merke mittlerweile gar nicht mehr, dass ich kein richtiges Buch in der Hand halte.
Das Blättern per Taste ist komfortabel, das Display ermüdet die Augen nicht. Der E-Reader wird etwas schwer, wenn man ihn längere Zeit in einer Hand hält. Aber das ist bei grossen Büchern genauso. Das wichtigste Ziel hat Amazon erreicht: Lesen macht auch auf dem Kindle DX Spass.
Tag 4
Die «20 Minuten» lasse ich links liegen. Stattdessen greife ich auf der Tramfahrt zur Arbeit zum Kindle DX und zur Frankfurter Allgemeine. Staunende Blicke oder Kommentare von anderen Fahrgästen ernte ich deswegen keine. Heutzutage gucken so viele Pendler in ihr Handy oder Notebook, dass ein E-Reader nicht mehr auffällt.
Praktisch: Während der Nacht hat der Kindle DX automatisch die neuste Ausgabe der Zeitung heruntergeladen. Gar nicht überzeugend ist die Umsetzung: Bilder werden keine dargestellt, sondern nur Text. Eine Zeitung ohne Fotos - und ohne täglichen Kurzcomic? Nicht mit mir. Zudem nervt die Navigation: Das Hüpfen durch die Artikel und Herauspicken von interessanten Meldungen ist ein Eiertanz.
Tag 5
Heute höre ich Musik - auf dem Kindle DX. Amazon hat seinem Gerät mehrere nützliche Zusatzfunktionen spendiert. Wird der E-Reader per USB-Kabel an den PC angeschlossen, erscheint er als eigenes Laufwerk. Darauf lassen sich PDF-Dateien, Hörbücher und MP3-Songs kopieren. Das geht genauso einfach, wie es klingt.
Die Tonqualität ist gut, aber nicht überragend. Was stört: Beim Blättern gerät der Ton teilweise ins Stottern. Ausserdem fehlt ein virtueller Musik-Player. Songs lassen sich nur umständlich per Tastatur stoppen, starten und überspringen.
Wenigstens gibt Amazon zu, dass die MP3-Funktion noch im Versuchsstadium ist - genauso wie das automatische Vorlesen. Erlaubt der Herausgeber eines Buches dieses Feature, wird der Text wahlweise von einer Frauen- oder Männerstimme rezitiert - und zwar erstaunlich gut. Was überhaupt nicht will, ist die Surffunktion. Diese ist ausserhalb der USA gesperrt.
Tag 6
Härtetest: Der Kindle DX wirkt nicht nur robust, er ist es auch. Zuerst gehts mit ihm und meiner Freundin auf den Flumserberg zum Skifahren. Übrigens: Auch sie lobt, wie handlich der E-Reader ist. Die Schlepperei im Rucksack macht das Gerät ohne Schäden mit.
Am Abend ist Entspannen in der Badewanne angesagt. Weder Hitze noch Dampf stören den Kindle DX. Das Display bleibt klar lesbar.
Tag 7
Scheiden tut weh! Zumindest dem Kindle DX. Er beachtet mich nicht mehr. Während ich die letzten Zeilen dieses Textes tippe, stürzt das Gerät zum ersten Mal ab. Kein Mucks, keine Reaktion. Zum Glück lässt sich der E-Reader nach einer kurzen Internetrecherche zurücksetzen (den Einschalter für 15 Sekunden nach rechts drücken). Hätte ich warten müssen, bis die Batterie leer ist, wäre dieser Artikel nicht rechtzeitig fertig geworden. Während der ganzen Woche musste ich das Gerät nur ein einziges Mal aufladen.
Wie geht es mir? Vermisse ich den Kindle DX? Nicht gross - obwohl ich ihn äusserst liebgewonnen habe. Das Lesen hat genauso viel Spass gemacht, wie mit einem «richtigen» Buch. Grund ist, dass Amazon keine deutschsprachigen Bücher anbietet und Funktionen im europäischen Raum sperrt. Zudem ist die Zeitungsfunktion unbrauchbar. Legt der Kindle DX diese Macken ab, darf er bei mir einziehen.
Die wichtigsten technischen Infos zum Kindle DX finden Sie auf der nächsten Seite.
Amazon Kindle DX in Kürze
Positiv: Akkulaufzeit, robust, E-Ink-Display, überall Bücher-Download möglich, Buchpreise
Negativ: Zeitungsfunktion, keine deutschsprachigen Bücher, gewisse Funktionen in Europa gesperrt, nur Bücherkauf bei Amazon möglich, teils träge Navigation
Fakten: 9,7-Zoll-Display (Graustufen, ohne Touchscreen), 535 g, 3,3 GB Speicherplatz, USB-Kabel, US-Stromadapter, Lederumschlag, Anzeigemöglichkeit für PDF-Dateien, E-Books lassen sich ohne Zusatzgebühr per Handy-Netz herunterladen, Akku: mit Drahtlosfunktion ca. 7 Tage, ohne ca. 2 Wochen
Preis: $ 489.-



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