MP3
02.12.2005, 16:00 Uhr
Ein Algorithmus erobert die Welt
Die Musikindustrie steht vor einer entscheidenden Wende mit dem Ende der physischen Datenträger und dem Aufkommen des nicht-physischen Internet-Downloads. An der ETH Zürich führte Karlheinz Brandenburg in die Geschichte und Hintergründe des dabei wegweisenden Musikdateiformats MP3 ein.
Die Musikindustrie steht vor einer entscheidenden Wende mit dem Ende der physischen Datenträger und dem Aufkommen des nicht-physischen Internet-Downloads. Wie schnell die schon lange vorausgesagte Verschmelzung der PC-Welt mit der Unterhaltungselektronik vorankommen wird, hängt hauptsächlich davon ab, wie einfach die Handhabung der Musikauswahl und wie unaufdringlich der Kopierschutz wird. 150 Teilnehmer, mehrheitlich Studenten und Studentinnen, besuchten die zweite Soirée électrique - eine Gemeinschaftsveranstaltung von AMIV und Electrosuisse - an der ETH Zürich, an welcher Karlheinz Brandenburg in die Geschichte und Hintergründe des Musikdateiformates MP3 führte. 1977 hatte Dieter Seitzer, damals an der Universität Erlangen-Nürnberg, beim Aufkommen der neuen Kommunikationstechnologie ISDN die Idee, Musik über die Telefonleitung zu transportieren. Doch das Patentamt akzeptierte seine Patenteingabe nicht, weil die Umsetzung nicht möglich sei. So bekam Karlheinz Brandenburg 1982 von Seitzer den Auftrag zu beweisen, dass dies doch möglich ist.
Nach 10 Jahren hatten es Brandenburg und sein Forschungsteam vom Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS in Erlangen geschafft. Sie entwickelten eine Codierung, welche die Musik um die noch gerade hörbare Ruhehör-Schwelle maskierte (diskrete Kosinus-Transformation). Mit dieser Technologie konnte der Musikstrom auf 192 kBit/s reduziert werden anstelle der 1440 kBit/s bei einer normalen CD. Bald darauf kamen die ersten Decoder und Encoder auf den Markt und ab 1994 konnte die komprimierte Musik erstmals auf handelsüblichen PCs abgespielt werden. Mit der Taufe des Dateikürzels ,,.mp3" rollte am 14. Juli 1995 die Lawine endgültig an: legale FTP-Dienste und Websites mit Decodern und Encodern verbreiteten sich und schnell war die auf CDs erhältliche Musik auf MP3 digitalisiert, selbstverständlich ohne Kopierschutz. 1996 begann der erste illegale Handel zu florieren und 1998, gar nicht zum Gefallen der Musikindustrie, kam der erste MP3-Player RIO PMP300 gerade rechtzeitig zu Weihnachten auf den Markt. 5 Jahre später eröffnete Apple 2003 den ersten Apple iTunes Musikshop.
Heute sind bereits Audiocodiersysteme wie das von Apple und der Mobiltelefonindustrie unterstützte Format AAC auf dem Markt, welche mit nur 48 kBit/s noch bessere Hörresultate erzielen. Auch dieses Format wurde vom Erlangener Team mitentwickelt. Doch weil es nicht überall abspielbar ist, hat es sich noch nicht so gut wie MP3 durchgesetzt. Karlheinz Brandenburg stellte ausserdem das von seinem Ilmenauer Team entwickelte neuartige Soundsystem für Kino-, Theater- und Konzertsäle sowie für Open-Air Livebeschallungen und Planetarien vor, welches unter dem Namen IOSONO vermarktet wird. Basierend auf dem Prinzip der Wellenfeldsynthese wird durch die ringförmige Anordnung von Lautsprecherpanels eine vollkommen realistische und räumliche Klangwiedergabe möglich. IOSONO ist auch für solvente Heimkinobesitzer interessant da es für jede Raumgröße skalierbar ist. Der Höreindruck setzt neue Standards in der Beschallung. Einziger Stolperstein: auch die Aufnahme setzt eine komplexe Technik voraus.