Zukunftprognosen
17.11.2016, 18:43 Uhr
Nie mehr krank mit App-Food, geniale Body-Chips, Berufswechsel alle 10 Jahre, Rettungsplan für Banken
Zukunftsforscher Jánszky prognostiziert: Digitale Transformation kostet keine Arbeitsplätze - Dank 'Medical Food' und Body-Apps nie mehr krank - mit Gehirn-Implantaten zum Genie - Das müssen Banken/Versicherungen dringend tun.
Sven Gábor Jánszky versammelt jedes Jahr 250 Innovationschefs von Firmen aus dem deutschsprachigen Raum zu einem Zukunftsworkshop. Dort werden bestehende Geschäftsmodelle weiterentwickelt und alternative Zukunftsszenarien durchgespielt. Jánszky leitet den Thinktank 2b Ahead.
Herr Jánszky, wir leben in spannenden, aber auch unsicheren Zeiten. Viele Firmenchefs in der Schweiz und in Deutschland wissen, dass sie ihre Geschäftsmodelle verändern müssen. Aber ist die Rede von der digitalen Disruption, die kein Stein mehr auf dem anderen lässt, nicht ein wenig übertrieben? Was kommt in Zukunft auf uns zu?
Jánszky: Wir neigen dazu, die Auswirkungen des Wandels kurzfristig zu überschätzen und sind dann enttäuscht oder erleichtert, dass alles doch nicht so rasant passiert, wie prognostiziert. Langfristig, das liegt in unserer menschlichen Psyche, werden die Folgen der Digitalisierung aber gerne unterschätzt.
Die renommierte Neue Zürcher Zeitung hat vor einigen Wochen in ihrem Spezial 'Digitalisierung der Arbeitswelt' Arbeitsmarktforscher zu Wort kommen lassen, die prognostizieren, dass in fünf bis zehn Jahren 40 Prozent der heutigen Arbeitsplätze wegfallen werden.
Jánszky: Es gehen keine Jobs verloren. Das ist Quatsch. In den nächsten 20 bis 25 Jahren wird in Zentraleuropa, in Deutschland, der Schweiz und Österreich, Vollbeschäftigung herrschen. Denn in der Demographie, der Bevölkerungsentwicklung, können wir sehr exakt in die Zukunft schauen. Die Menschen, die in den kommenden 20 Jahren aus dem Berufsleben ausscheiden und die neu eintreten werden, die leben heute alle schon.
Ich schätze, dass in den nächsten 10 Jahren als Folge der Digitalisierung in Deutschland etwa 1 Million Arbeitsplätze verloren gehen. Gleichzeitig erreichen aber auch 6,5 Millionen Menschen das Rentenalter,; unterm Strich fehlen 3 bis 4 Millionen. Der Fachkräftemangel wird uns noch eine Weile begleiten. In der Schweiz und in Österreich sieht die demographische Situation proportional ähnlich aus.
Unter der Voraussetzung, dass die Wirtschaft in der Schweiz und in Deutschland ihr hohes Niveau halten kann. Die Konkurrenz aus China oder Indien wird immer stärker.
Jánszky: Unser Wirtschaftsraum könnte an Kraft verlieren, diese Option ist da. Es gibt aber heute keine tatsächlichen Indikatoren, die darauf hinweisen, dass wir den Anschluss verlieren. Nichts deutet auf einen zwingenden, notwendigen Niedergang der DACH-Region hin.
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Nehmen wir die Finanzindustrie: Gartner-Analyst David Furlonger sagt voraus, dass bis 2020 etwa 35 Prozent der heutigen Banker auf der Strasse stehen. Die Schweizer Grossbanken UBS und Credit Suisse entlassen. Für die Banken ist es fünf nach zwölf. Da spürt man momentan wenig vom Fachkräftemangel.
Jánszky: Ich teile diese Einschätzung, für die Banken ist es fünf nach zwölf. Banken haben jetzt zwei Optionen: Entweder sie bleiben eine klassische Bank und akzeptieren die Konsequenzen. Das Geschäft wird kleiner, aber fünf Jahre wird man damit noch Geld verdienen können, bis es zusammenbricht. Das wäre ein Sterben auf Raten.
Die Zukunft der Banken sehe ich dennoch positiv : Finanzakteure sitzen auf einem Datenschatz, über den kein anderer Akteur, weder Facebook noch Twitter und auch nicht Google, verfügt. Banken wissen, dass Sie vor drei Jahren ihren letzten Wintermantel gekauft haben und jetzt einen neuen brauchen, welche Lebensmittel Sie bevorzugen, wohin Sie gerne reisen. Ein Payment-Anbieter hat deshalb die Möglichkeit, praktisch alles zu verkaufen. Die Bank der Zukunft ist ein Broker.
Bargeld wird zum Luxus für diejenigen, die bereit sind, dafür auch mehr zu bezahlen. Mit kostenfreien Kreditkarten und Handy-Zahlungen werden Finanzakteure das Recht erwerben, die Daten ihrer Kunden auszuwerten. Das traditionelle Bankgeschäft, also zum Beispiel Kreditvergaben an Privatkunden und an Unternehmen, ist zwar immer noch da, aber nur noch als ein Revenue Stream unter vielen. Das Geschäftsmodell der Banken wird sich grundlegend verändern.
Dass 35 Prozent der Banker in fünf Jahren auf der Strasse stehen werden, halte ich deshalb für eine totale Fehlinterpretation. Im Gegenteil, wir werden zu wenig Banker haben und wir werden auch in anderen Wirtschaftssektoren Mühe haben, qualifizierte Mitarbeiter zu finden.
Wie heisst die Lösung des Fachkräftemangels? Immigration?
Jánszky: Entweder wir werben qualifizierte Mitarbeiter aus dem Ausland an oder machen älteren, erfahrenen Fachkräften das Weiterarbeiten schmackhaft. Eins ist sicher: Das Renteneintrittsalter wird weiter steigen.
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Was raten Sie jungen Menschen? Wie bereitet man sich optimal auf die neue Arbeitswelt vor?
Jánszky: Ich würde nicht so viel Wert darauf legen, Fachwissen zu erwerben, denn das veraltet schnell. Junge Menschen können nicht davon ausgehen, ihr Leben lang den gleichen Job zu machen oder auch nur in der gleichen Branche zu arbeiten. Das halte ich für völlig ausgeschlossen. Sie werden alle 10 Jahre nicht nur den Job wechseln, sondern einen kompletten Neustart hinlegen. Also etwas ganz anderes tun als auch schon.
Nehmen wir das Gesundheitswesen. Ein Medizinstudium schliessen Sie, wenn Sie zügig studieren, in fünf Jahren ab. Darauf folgt ein praktisches Jahr und dann eventuell noch eine Ausbildung zum Facharzt. Sie können nicht so einfach auf Mediziner oder Ingenieur umsatteln.
Jánszky: In der Krebsforschung verdoppelt sich das Wissen etwa alle zwei Jahre. Kein Krebsforscher kann da noch mithalten, spezialisierte Mediziner werden aussterben. Oder nehmen Sie IBM Watson oder SAP Hana. Diese digitalen Systeme werten zehntausende von Patientendaten aus und schlagen dann eine auf den Einzelfall zugeschnittene individuelle Therapie vor.
Wir gehen in eine Welt, in der Maschinen viel mehr wissen werden als Menschen, und sie werden die besseren Entscheidungen fällen. Den Arzt der Zukunft stelle ich mir als Coach vor, der Patienten motiviert, sozial interagiert und den Heilungsprozess begleitet. Ärzte werden nicht überflüssig, aber ihre Rolle im Gesundheitswesen wird sich ändern.
Was machen wir mit Menschen, die zu alt oder weder willens noch in der Lage sind, alle zehn Jahre einen kompletten Neuanfang zu machen? Wäre ein bedingungsloses Grundeinkommen ein gangbarer Weg?
Jánszky: Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein gangbarer Weg, aber noch nicht heute, und auch nicht in fünf Jahren. Heute schlagen smarte Maschinen den Menschen im Go, im Schach oder bei der Auswertung riesiger Datenmengen, bei sehr fachspezifischen Entscheidungsprozessen.
In 20 oder 30 Jahren werden Maschinen auch die allgemeine menschliche Intelligenz überflügeln. Dann werden sehr viele Leute arbeitslos, und auf die Fragen, die sich dann auftun, ist das das bedingungslose Grundeinkommen die richtige Antwort.
Es wird Verlierer der Digitalisierung, aber das - ohne arrogant klingen zu wollen - ist kein neues Phänomen. Viele Berufe sind als Folge der Industrialisierung ausgestorben. Harzer, Küfer oder Büroboten braucht man heute nicht mehr.
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Wo sehen Sie das nächste Super-Startup, das nächste Uber oder Airbnb?
Jánszky: Schwierige Frage. Vielleicht im Bereich der Bildung, wo semi-professionelle Anbieter vordringen werden. Definitiv werden selbstfahrende Autos oder selbst fliegende Drohnen die Welt in den nächsten Jahren verändern.
Was halten Sie von Bio-Implantaten wie Gedächtnis-Chips? Laut Gartner kommen erste smarte Prothesen ab etwa 2025 auf den Markt.
Jánszky: Gedächtnis-Chips halte ich für sehr realistisch. Oder denken Sie zum Beispiel an einen Fussballspieler, der sein Kreuzband durch ein künstliches ersetzen lässt, um schneller laufen zu können und um wegen Verletzungen seltener auszufallen. Wer sollte etwas dagegen haben? Die Krankenversicherung nicht, sein Trainer nicht, sein Verein und schliesslich er selbst auch nicht.
In einem viel sichtbareren Bereich sehe ich Veränderungen auf uns zukommen. Der menschliche Körper wird in Echtzeit vermessen; Fitness-Tracker sind der Anfang. Im nächsten Schritt wird der Körper optimiert, zum Beispiel, um ihn nicht krank werden zu lassen.
Stellen Sie sich eine App vor, die ihnen frühmorgens anzeigt, dass Sie mit einer Wahrscheinlichkeit von 37 Prozent erkranken werden und die ihnen rät, bestimmte Nahrung zu sich zu nehmen, damit ihr Krankheitsrisiko bis zum nächsten Tag auf 14 Prozent sinkt.
Die Lebensmittel werden sich ändern, ich nenne das 'Medical Food'. Den Gesundheits-Yoghurt gibt es zwar heute schon. Bislang kaufen ihn aber nur Leute, die daran glauben. Den Durchbruch im Massenkundensegment erzielen Sie erst dann, wenn Sie die gesundheitsfördernde Wirkung auch tatsächlich messen können.
An Gesundheitsyoghurts oder künstlichen Kreuzbändern habe ich nichts auszusetzen. Aber Gehirnimplantate haben eine andere Dimension und werfen ethische Fragen auf. Sie verändern sozusagen die Substanz des Menschen, möglicherweise seine Persönlichkeit, seinen Charakter.
Jánszky: Wollen Sie einem Schüler, der in Mathematik bislang nur grottenschlechte Noten geschrieben hat, wollen Sie ihm verbieten, sich einen Mathe-Chip in den Kopf setzen zu lassen. Der will doch auch mal eine Top-Note schreiben.
In den KI-Entwicklergemeinden gibt es drei wesentliche Kriterien, mit denen zum Beispiel Gehirnimplantate beurteilt werden. (1) Sind Sie nützlich? (2) Haben Sie Schwächen? und (3) Wissen wir genug darüber? Natürlich implizieren Bio-Implantate auch ethische Fragen nach dem Kern und Wesen des Menschen. Die gesellschaftliche Debatte darüber läuft zurzeit. Aber den Lauf der Dinge hält ein Schweizer oder ein deutsches 'Nein' nicht auf.
Der Widerstand gegen Herztransplantationen wäre vor 50 Jahren ähnlich gross gewesen. Auch das Herz ist in der menschlichen Vorstellungswelt ein besonderes Organ. Das merkt man schon allein daran, wie wir darüber reden: Jemand steckt sein ganzes Herzblut in eine Sache. Er/Sie ist mit dem Herzen dabei. Verändert eine Herztransplantation oder ein Bypass die Persönlichkeit eines Menschen? Heute gehören sie zum medizinischen Standard-Repertoire.