16.04.2008, 07:58 Uhr
Web 2.0 forciert den Netzausbau
Das Web 2.0 entwickelt sich zu einem kraftvollen Wachstumsmotor für die IT-Wirtschaft. Für die Betreiber der Netzinfrastruktur ist das «Mitmachweb» gleichermassen ein Wachstumstreiber, aber auch eine grosse Herausforderung.
Diethelm Siebuhr ist Generaldirektor und CEO von Easynet.
Netzwerkbetreiber und Hoster investieren derzeit massiv in leistungsfähigere Rechenzentren und vernetzen diese mit stärkeren Backbone-Leitungen. Grund: Sie müssen dem drohenden Verkehrskollaps auf den Datenhighways entgegenwirken. Denn Anwender und Anbieter bewegen zunehmend grössere Mengen an Fotos, Videos und Audio-Dateien. In der Schweiz liest oder schreibt bereits jeder dritte Internetnutzer Artikel auf Wikipedia, fast jeder vierte Internetnutzer besucht YouTube. Die Videoclips dieses Portals waren im vergangenen Jahr für rund zehn Prozent des globalen Datenaufkommens verantwortlich.
Fernsehen 2.0
Im derzeitigen Web 2.0 hat in erster Linie die Menge nutzergenerierter Inhalte, speziell an Bewegtbildformaten zugenommen. Dazu gehören virtuelle Fotoalben, Musikdaten auf MySpace sowie die zunehmende Auswahl an Web-TV-Beiträgen. Jenseits kurzer Video-clips wächst inzwischen auch das Angebot online verfügbarer High-Definition-Formate (HD). Experten schätzen, dass alleine die Zahl der bislang rund 270000 IPTV-Nutzer bis 2011 jährlich um mehr als 150 Prozent zunehmen wird. Denn während immer mehr Haushalte mit den erforderlichen Breitbandanschlüssen und HD-fähigen Abspielgeräten ausgestattet sind, ist das offline ausgestrahlte HDTV-Angebot im deutschsprachigen Raum bislang mehr als spärlich.
Nun besetzen Onlineprovider und Telekommunikationskonzerne die klaffende Content-Lücke. Zusehends finden Angebot und Nachfrage damit im Netz zueinander. Der Netzinfrastruktur steht damit die nächste Feuertaufe bevor. Denn um IPTV-oder Video-on-Demand-Angebote nutzen zu können, müssen zum Abruf der vollen HD-Auflösung mitunter 30 Mal grössere Datenvolumina durchs Netz geschleust werden, als bei der herkömmlichen Web-TV-Qualität. Um dies ohne lange Wartezeiten zu ermöglichen, müssen die Netzbetreiber ihren Kunden Datendurchsatzraten von 18 Mbit pro Sekunde bereitstellen. In einigen wenigen Metropolen ist dies bereits heute möglich. Für ein flächendeckendes Angebot derart schneller Breitbandanschlüsse sind allerdings auch künftig massive Investitionen in die Netzinfrastruktur nötig.
Die Anbieter rüsten um
Um sich auf das wachsende Interesse an privat erstellten Webinhalten einzustellen, optimieren die Betreiber von Web-2.0-Seiten ihre Hard- und Software-Systeme. Funktionen und Anwendungen werden immer benutzerfreundlicher und leistungsfähiger. Erforderlich ist üblicherweise eine integ-rierte Architektur aus Datenbank, Anwendungsserver und Portal-Software.
Zudem setzen Firmen, die Wikis, Blogs und Diskussionsforen in ihre Seiten implementieren, anstelle herkömmlicher Anwendungen stärker auf so genannte Rich-Internet-Applications (RIA). Diese Software-Anwendungen ermöglichen den Seitenbesuchern eine Vielzahl schneller und interaktiver Funktionen - von automatischen Benachrichtigungen bis hin zu Tastenkürzeln und Drag-and-Drop-Funktionen. Zugleich tragen diese Anwendungen dazu bei, die Belastung der Netzinfrastruktur der Firmen zu reduzieren. Sie verlagern die Ressourcenbelastung stärker auf die involvierten Clients, sodass weniger Anfragen an den Server gestellt werden.
Web 2.0 forciert den Netzausbau
Über RIAs hinaus setzen die Seitenbetreiber zudem vermehrt auf Dienste, welche die für das Web 2.0 typischen Collagen aus Text, Daten, Bildern, Tönen und Videos in Einklang bringen. Mit diesen so genannten Mashup-Lösungen können Anwender verschiedene, bereits bestehende Inhalte nahtlos zusammenstellen und neu kombinieren. Zudem lassen sich mit ihnen über Schnittstellen Fotos, Kleinanzeigen und YouTube-Videos mit den geographischen Daten von Google Maps verknüpfen und neu als kombinierten Service in Webseiten einbinden.
Flexible Hosting-Lösungen
So sehr Web-2.0-Portale von den nutzergenerierten Inhalten ihrer Besucher leben, so sehr müssen sie eine dafür angemessene Performance-Grundlage bieten. Sprich: Der verfügbare Speicherplatz, die Verfügbarkeit von Anwendungen sowie die Übertragungsgeschwindigkeit und Reaktionszeit müssen bei steigendem Nutzungsaufkommen mit den Ansprüchen der Benutzer Schritt halten. Das gilt grundsätzlich auch für traditio-nelle Sites, ist jedoch für Betreiber von Web-2.0-Angeboten schwieriger zu kalkulieren und damit eine besondere Herausforderung. Denn der Anbieter kann nur noch begrenzt kontrollieren, wie viele Inhalte die Nutzer auf seinen Seiten hinterlegen und wann genau sie diesen hochladen.
Zugleich können die Volumina der gespeicherten und transferierten Daten je nach momentaner Popularität eines Portals höchst dynamischen Schwankungen unterworfen sein. Vorsorglich Überkapazitäten aufzubauen wäre zwar eine wirkungsvolle, aber ineffiziente Lösung. Nicht nur junge Web-2.0-Start-Ups würden ihre meist vergleichsweise schwache Kapitalgrundlage auf diesem Wege unnötig belasten. Andererseits haben Tests des Webseiten-Mo-nitoring-Dienstes Watchmouse ergeben, dass Social-Networking-Sites sehr häufig langsam sind und bei einem Aufruf nicht richtig laden. Demnach wiesen 51 von 104 untersuchten Seiten sehr lange Ladezeiten auf. Ein Ausbau der Leistungskapazität könnte somit vor Popularitätseinbussen schützen.
Einen Ausweg aus dem Dilemma bieten migrationsfähige und gut skalierbare Systeme. Mit ihnen lässt sich die Leistungsfähigkeit der Portal-Software flexibel steigern, ohne dass der Bedarf an Hardware-Ressourcen überproportional mit ansteigt. Insofern ist eine gute Skalierbarkeit auch unverzichtbarer Teil eines vorausschauenden Betriebskostenmanagements. Übersteigt das benötigte Speicher- und Transfervolumen dennoch die zur Verfügung stehende Hardware-Leistung, kann mittels migrationsfähiger Lösungen gegengesteuert werden. Sie ermöglichen, dass die eingesetzte Software oder die hinterlegte Datenbank ohne zwischenzeitliche Abschaltung des Systems von ihrer ursprünglichen Hardware-Umgebung in eine neue Umgebung umziehen kann.
Auf diese Weise lassen sich leistungsfähige Web-2.0-Portale auch auf mehreren, regional verteilten Rechenzentren hosten. Um dabei möglichst kurze Zugriffs- und Reaktionszeiten zu gewährleisten, muss jedoch der Service Provider seine Serverfarmen mit leistungsstarken Backbone-Leitungen verbunden haben.
Diethelm Siebuhr