ETH, Sanitas, SBB, ZKB
12.05.2015, 21:27 Uhr
Digitalisierung kein Hype
Die Digitalisierung der Wirtschaft ist mehr als ein Hype. Am «Swiss Information Management Forum» gewährten ETH, Sanitas, SBB und ZKB Einblicke in ihre Digitalisierungspläne.
Die Schweizer Wirtschaft stellt sich der allgegenwärtigen Digitalisierung – teils in kleinen Projekten, teils in neuen Firmenkonzepten. Am «Swiss Information Management Forum» am Dienstag in Oerlikon blickten Vertreter von rund 80 Schweizer Unternehmen auf die Projekte von drei Anwenderfirmen, die ihre Digital-Strategie definiert oder schon umgesetzt haben: Sanitas, SBB und ZKB. Alle drei demonstrieren: Digitalisierung ist kein Hype, sondern die neue Geschäftsrealität.
Digitalisierung kostet den Job
Wie rasch die Digitalisierung die Geschäftsleitungen durcheinanderwirbeln kann, offenbarte Sanitas-Manager Emanuele Diquattro. Er bezeichnete sich selbst als ein erstes «Opfer» der neuen Digital-Strategie, wenn auch eher im Scherz. Diquattro war im Februar noch als CIO an den Anlass eingeladen worden, mittlerweile leitet er die Bereiche Marketing und Vertrieb. «Die Digitalisierung ist bei Sanitas im Geschäftsalltag angekommen, deshalb konnte ich das Ressort wechseln», sagte er.
Die digitale Transformation der Krankenversicherung ist allerdings noch auf dem Weg. Die Informatik soll in eine Bimodale IT umgewandelt werden: Für die Altsysteme werde ein Outsourcing-Partner (dem Vernehmen nach Swisscom) gesucht, der den Betrieb übernimmt. Daneben soll eine agile IT-Abteilung installiert werden, die gemeinsam mit dem Business neue Geschäftsideen realisiert. «Die Barriere zwischen Geschäft und Informatik existiert 2020 oder spätestens 2025 nicht mehr», glaubt Diquattro. Bis Ende Jahr will Sanitas nun erste Produkte auch jenseits des Kerngeschäfts lancieren, beispielsweise in den Bereichen Fitness und Schönheit.
Autonome Züge der SBB
Die jüngst mit dem «Swiss Digital Transformation Award» ausgezeichneten SBB sind nach den Worten von Stefano Trentini aktuell in einer Pionierphase. In den nächsten zwei bis vier Jahren wollen die Schweizerischen Bundesbahnen in Piloten an der Digitalisierung des Geschäfts arbeiten, sagte der Leiter Software Engineering an dem Anlass. Wie der Award belegt, sind offenbar schon die Pilote recht erfolgreich: Aktuell werde beispielsweise das System «Adaptive Lenkung» eingeführt. Die Technologie auf der Grundlage von Tibco-Software berechnet für jeden Zug die optimale Geschwindigkeit, sodass er nicht mehr an roten Signalen halten muss.
Die Optimierung des Zugverkehrs mithilfe von Software ist ein bereits realisiertes Projekt. Trentini führte aus, dass die SBB auch autonome Züge testen würde – allerdings zurzeit nur für Rangierarbeiten. In einer Umfrage an dem Anlass gab die Mehrheit der circa 80 Teilnehmer an, dass sie auch als Passagier in einem führerlosen Zug reisen würden. Der SBB-Manager war erstaunt von dem Wagemut. Jenseits des Rollmaterials arbeiten die SBB an Projekte für digitale Marketingprozesse und Open Data. Trentini sagte, dass ein Open-Data-Portal für Fahrgastinformationen bereits im Aufbau ist. Die Marketinginitiativen zielten ebenfalls auf die Reisenden: Mehr Services während der Fahrt und an den Bahnhöfen seien Beispiele, etwa der Einkauf unterwegs und das Abholen der Waren am Zielort oder der elektronische Bahnhofs-Wegweiser. Nächste Seite: selbstkritische Banken Laut Daniel Heinzmann sind die Digitalisierungsvorhaben der Zürcher Kantonalbank noch nicht so weit fortgeschritten wie sie sein könnten. Der Leiter IT-Strategie gab sich an dem Anlass selbstkritisch: «Banken haben verlernt, den Menschen im Zentrum des Geschäfts zu sehen. Die digitale Transformation hilft dabei, diese Perspektive zurückzugewinnen.»
Die ZKB hat nach seiner Aussage das Ziel, in Zukunft alle Bankdienstleistungen auch digital anzubieten, jederzeit und in Echtzeit. «Der Kunde entscheidet, wann und wie er unsere Services nutzt, digital, mobil, online oder im direkten Gespräch mit dem Bankberater», so Heinzmann. Dabei wolle die Bank auch von Start-ups lernen. Entsprechend begrüsste er die jüngsten Initiativen, Zürich zu einem weltweit bedeutenden Standort für FinTech-Gründer zu machen. Als Bankenmetropole müsse die Limmatstadt mit London und New York (wo sich aktuell die FinTech-Szene konzentriert) mithalten können. Den Start-ups versprach der ZKB-Manager auch Unterstützung beim Umgang mit der Finanzmarktaufsicht Finma. Der Regulator gilt als Bremse für Gründerprojekte im Finanzbereich.
Schweizer Bank für Daten
Vor übertriebener Euphorie bei der Digitalisierung warnte an dem Anlass ETH-Professor Ernst Hafen. Der Leiter des Instituts für Molekulare Systembiologie sieht in Zukunft die Zahl der Gesundheitsdaten explodieren. Heute sei die Genom-Entschlüsselung schon für jedermann bezahlbar, womit auch alternative Therapieformen möglich seien. Wenn die in althergebrachten Systemen gesammelten Gesundheitsdaten mit den Genom-Informationen und zum Beispiel Fitness-Messungen kombiniert würden, entstünde ein extrem persönliches Personenprofil. «Der Wert persönlicher Daten wird heute auf eine Billion Euro geschätzt», erklärte Hafen.
Angesichts dieser Werte fordert Hafen von allen Beteiligten das Recht auf eine Kopie der persönlichen Daten ein. Seine «Midata»-Genossenschaft soll dem Anwender die Hoheit über die Wertschöpfung mit seinen privaten Informationen geben. Dank des Standortvorteils könnte «Midata» zu einer «Schweizer Bank für Daten» werden, meinte der ETH-Wissenschaftler.