CIO von SGS
04.01.2022, 06:37 Uhr
«Digitalisierung scheitert nicht an der Technologie»
Als globaler Warenprüfkonzern betreibt SGS Tausende IT-Systeme. Der CIO David Plaza Morales will die IT weltweit digitalisieren und harmonisieren. Dabei ist die Technologie nicht die grösste Herausforderung. Denn sie ist seit Jahrzehnten vorhanden.
Schweizer Unternehmen haben es David Plaza Morales offenbar angetan: Nach über 20 Jahren beim Zürcher Personaldienstleister Adecco wechselte er vor gut einem Jahr zum Genfer Warenprüfkonzern SGS. Die Firmen sind beide global tätig, allerdings sind die Geschäfte von SGS viel stärker in den verschiedenen Regionen verteilt, berichtet der Chief Information Officer. Für ihn sei es die grösste Herausforderung, die unterschiedlichen lokalen Bedürfnisse der SGS-Mitarbeitenden mit IT zu unterstützen, so Plaza Morales im Interview.
Computerworld: Welche Veränderungen in der IT von SGS gab es unter der Leitung von David Plaza Morales?
David Plaza Morales: In einem ersten Schritt habe ich die Cyber Security innerhalb von SGS gestärkt. Die verantwortliche Person berichtete bis anhin an den Leiter IT-Infrastruktur. Neu berichtet der Kollege an mich direkt. Zugleich habe ich seinen Kompetenzbereich erweitert und ihn zum Chief Information Security Officer (CISO) befördert. Diese Position hatte SGS bisher nicht. Unter der Leitung des CISOs wurde das Cyber-Security-Team ausgebaut und gemeinsam mit dem Beratungsunternehmen Deloitte ein Security Operations Center (SOC) eingerichtet.
Im zweiten Schritt möchte ich die Prozessabläufe in unseren Labors digitalisieren und standardisieren. Derzeit erbringen wir unsere Labordienstleistungen durch den Einsatz einer Vielzahl von unterschiedlichen «Laboratory Information Management Systemen», die ausschliesslich unter dem Gesichtspunkt der lokalen Aspekte über viele Jahre entwickelt oder im Rahmen von Unternehmensakquisitionen miterworben wurden.
2023 streben wir an, dass mindestens 30 Prozent unseres Umsatzes im Bereich Labordienstleistungen mit vereinheitlichten Prozessen im Rahmen des «Digital Labs»-Programms erbracht werden. 2025 sollte diese Kennziffer auf über 70 Prozent steigen. Dafür wollen wir einerseits die Vielzahl der «Laboratory Information Management Systeme» ersetzen und andererseits neue Technologien einführen. Anwendungen mit künstlicher Intelligenz, Konnektivität von Instrumenten und IoT sollen eingesetzt werden. Hier haben wir uns viel vorgenommen, aber das Programm ist auch eines der wichtigsten Vorhaben von SGS in den nächsten Jahren und wird zu deutlichen Produktivitätszuwächsen in unseren Labors führen.
Zur Person
David Plaza Morales
wechselte im November 2020 auf den CIO-Posten bei SGS. Zuvor war er während mehr als 21 Jahren als CIO für verschiedene Länder beim Personaldienstleister Adecco Group tätig. Plaza Morales hat das Informatikstudium an der Universität Madrid absolviert und hält MBA-Abschlüsse von der Universität Navarra und der Wirtschaftshochschule Insead.
«Digital Labs»-Programm kombiniert KI mit IoT
CW: Damit gewinnt die IT bei SGS sehr an Bedeutung.
Plaza Morales: Korrekt. Jedoch sehe ich das «Digital Labs»-Programm nicht in erster Linie als IT-Projekt an. Vielmehr steht im Vordergrund, welchen Nutzen eine Technologie für das Business haben kann. Bis anhin setzen wir viel IT ein, ohne dass daraus ein direkter Geschäftsnutzen entsteht.
CW: Können Sie bitte ein Beispiel nennen für ein geplantes Projekt aus dem «Digital Labs»-Programm?
Plaza Morales: Gerne. Eine unserer neuen Entwicklungen kombiniert künstliche Intelligenz mit IoT. In vielen Labors sind Mikroskope im Einsatz, um Materialien zu prüfen. Diese Mikroskope verbinden wir via IoT mit dem Computer respektive der Cloud. So kann statt eines Ingenieurs eine künstliche Intelligenz die Materialien prüfen, was nach einigem Training genauer, ressourcenschonender und insbesondere schneller klappt. So können sich die Kollegen dann um die tatsächlichen schwierigen Prüfungen kümmern, bei denen ihre Expertise zwingend erforderlich ist.
“Die Herausforderung ist, die Balance zu finden zwischen lokalen IT-Bedürfnissen und globalen IT-Standards„
David Plaza Morales
CW: Die Cyber Security ist auch ein Geschäftsfeld von SGS. Gibt es Synergien?
Plaza Morales: Korrekt, wir haben mehrere Business-Einheiten, die Security Services für Kunden liefern – beispielsweise in Barcelona, Delft, Graz, Madrid und Shanghai sowie in den USA. Dort werden Sicherheitsprüfungen für die Industrie im Bereich IoT und beispielsweise Kreditkartenfirmen für die Chips und die Terminals angeboten. Derzeit herrscht starke Nachfrage und das Geschäft von SGS in diesem Bereich wächst rasant. Das gilt auch für unsere Cyber-Security-Zertifizierungen. In diesem Zusammenhang haben wir uns durch die Akquisition von Brightsight zu Beginn dieses Jahres strategisch gestärkt. Unsere interne Cyber Security ist aber getrennt vom Business. Natürlich gibt es hie und da einen Austausch und eine Zusammenarbeit. Das ist aber eher die Ausnahme.
CW: Im Vergleich zu Ihrem Vorgänger, Christoph Heidler, sind Sie nicht mehr Mitglied der Geschäftsleitung. Sehen Sie persönlich es als einen Rückschritt an oder erkennen Sie einen Vorteil?
Plaza Morales: Ich sehe weder einen Vorteil noch einen Rückschritt. Es macht für mich keinen Unterschied, ob der CEO oder der CFO mein Vorgesetzter ist – zumal der CFO der SGS eine starke Stellung im Unternehmen innehat. Für mich ist es entscheidend, welchen Handlungsspielraum ich habe und über welches Budget ich verfüge. Ich kann mich weder über das eine noch das andere beklagen.
Nebenbei bin ich zwar nicht ein Mitglied der Geschäftsleitung, finde dort aber trotzdem viel Gehör und grosse Akzeptanz für meine Ideen. Ich präsentiere dort regelmässig unsere Projekte und habe gute Diskussionen mit allen Mitgliedern der Geschäftsleitung.
CW: Welches ist für Sie die persönlich grösste Herausforderung in Ihrer neuen Rolle?
Plaza Morales: Die richtige Balance zu finden zwischen dezentralisiertem und zentralisiertem IT-Support. SGS ist mit seiner dezentralisierten Organisation sehr erfolgreich. Als IT möchte ich dieses Geschäft bestmöglich unterstützen. Allerdings braucht es dafür einige Regeln, die ich nur zentral durchsetzen kann – ich denke an Datenschutz und Sicherheit. Die SGS-Kollegen können auch am abgelegensten Standort ausschliesslich Applikationen einsetzen, die von der Gruppen-IT unterstützt werden.
Führung auf Distanz
CW: Gibt es einen Unterschied zwischen der Führung auf Distanz in Zeiten von Corona und im Normalbetrieb?
Plaza Morales: Die Corona-Zeiten waren für mich zunächst die Normalität. Ich habe die Stelle bei SGS während der Pandemie angetreten. In den ersten fünf Monaten war es mir nicht möglich, einen Kollegen persönlich zu treffen. Weder einen Mitarbeiter noch eines der Mitglieder der Geschäftsleitung. Das Arbeiten im Home Office ist aus meiner Sicht nicht optimal, weil man viele Informationen nicht bekommt. Sie erfahren nicht, wie sich die Kollegen fühlen, was sie umtreibt im Leben und andere nonverbale Kommunikation, die über die elektronischen Medien nicht vermittelt werden kann. Es ist nicht vorteilhaft, in so einer Situation in einem neuen Job zu starten. Insbesondere in einem Unternehmen wie SGS, das sehr stark diversifiziert und auf dem ganzen Globus verteilt ist. Man muss verstehen, welche Bedürfnisse das Business hat und wie die IT helfen kann, sie zu befriedigen. Dafür sind die persönlichen Kontakte sehr wichtig.
Mit der Beruhigung der Lage im Herbst konnte ich einige Reisen unternehmen, um die Kollegen kennenzulernen. Allein im Oktober besuchte ich Niederlassungen in fünf Ländern. Dort gab es zwar immer noch eine Maskenpflicht und zum Teil wurden PCR-Tests gefordert, aber ich konnte immerhin reisen. Nun bekomme ich ein echtes Gefühl für meinen neuen Job.
Allerdings hatte die Pandemie-Zeit den Vorteil, dass wir alle gelernt haben, im Home Office zu arbeiten. Beispielsweise habe ich allein heute zehn Meetings – alle über Video. So kann ich zwar problemlos jetzt mit Zürich sprechen und in zwei Stunden mit Guatemala. Aber die Online-Meetings sind nicht vergleichbar mit persönlichen Treffen. Ich wünsche mir nicht unbedingt die Zeiten vor der Pandemie zurück, sondern eher eine neue, gute Kombination aus Online-Meetings und persönlichen Treffen.
CW: Gibt es einen Unterschied zwischen der IT und den Fachbereichen von SGS im Bezug auf Home Office?
Plaza Morales: Der Unterschied ist marginal, denke ich. Die IT ist es eher gewöhnt, Collaboration-Tools zu verwenden. Bei neuen Tools mag auch die Lernkurve steiler sein. Aber auch die Mitarbeiter im Business sind gut ausgebildete Fachleute, die mit dem Home Office und den Online-Meetings sehr gut klarkommen. Einige der Kollegen werden richtig kreativ im Heimbüro. Sie wollen in der neuen Situation neben Microsoft Teams auch andere Collaboration-Tools einsetzen wie beispielsweise Blackboards. Hier müssen wir als IT ihre Kreativität von Zeit zu Zeit etwas bremsen [schmunzelt].
CW: Wie ist die IT von SGS generell aufgestellt – hinsichtlich Mitarbeitern, Systemen und Aufgaben?
Plaza Morales: SGS zählt um die 1500 Mitarbeitende in der IT. Sie verteilen sich auf drei Bereiche: die IT in der Zentrale hier in Madrid, die IT an den Standorten weltweit und die IT in den Business-Einheiten. Die grössten IT-Standorte sind neben Madrid der Hauptsitz in Genf und die Niederlassungen in Manila sowie im irischen Naas.
Eine Besonderheit von SGS ist die Diversität des Business: Hunderte Anwendungsfälle müssen mit bestimmten Software-Lösungen abgedeckt werden. Weiter ist SGS vollkommen dezentral organisiert. An den meisten Standorten gibt es IT-Personal, das die Programme an die jeweils lokalen Erfordernisse anpasst. Als globaler IT-Leiter ist es meine Aufgabe, die richtige Balance zu finden zwischen der Autonomie der Systeme vor Ort und den globalen Anforderungen hinsichtlich Datenschutz, Qualität und Sicherheit. Wir arbeiten hauptsächlich mit marktführenden Standardprodukten etwa von Microsoft und Oracle. Beim Einsatz von ServiceNow sind wir noch in den Anfängen. Allerdings haben wir vor, die Lösung breiter auszurollen und so unsere Effizienz in der IT zu steigern.
Eine Besonderheit von SGS ist die Diversität des Business: Hunderte Anwendungsfälle müssen mit bestimmten Software-Lösungen abgedeckt werden. Weiter ist SGS vollkommen dezentral organisiert. An den meisten Standorten gibt es IT-Personal, das die Programme an die jeweils lokalen Erfordernisse anpasst. Als globaler IT-Leiter ist es meine Aufgabe, die richtige Balance zu finden zwischen der Autonomie der Systeme vor Ort und den globalen Anforderungen hinsichtlich Datenschutz, Qualität und Sicherheit. Wir arbeiten hauptsächlich mit marktführenden Standardprodukten etwa von Microsoft und Oracle. Beim Einsatz von ServiceNow sind wir noch in den Anfängen. Allerdings haben wir vor, die Lösung breiter auszurollen und so unsere Effizienz in der IT zu steigern.
Mehr DevOps und DevSecOps
CW: Welche Strategie verfolgen Sie bei der IT-Beschaffung? Make or buy?
Plaza Morales: Wenn eine passende Anwendung auf dem Markt existiert, kaufe ich sie. Eine Eigenentwicklung ist nur dann sinnvoll, wenn sich SGS damit einen Vorteil verschaffen kann. Lösungen für unseren Aussendienst oder unseren Laborbetrieb sollten wir selber programmieren, eine Abrechnungs-Software oder eine Lohnabrechnung können wir von der Stange kaufen.
CW: Sie wollen vermehrt Konzepte wie DevOps und DevSecOps einsetzen. Betrifft das ausschliesslich die Eigenentwicklungen?
Plaza Morales: Das war bisher so. Künftig wollen wir die Methoden im gesamten Konzern einführen. Sie sollen nicht nur in der IT, sondern auch im Business verwendet werden. Meine Idee ist es, dass wir in Projekten nur noch einen Standardprozess haben, der den DevOps- und DevSecOps-Prinzipien folgt. Sowohl im Aussendienst, im Reporting als auch bei Spezialanwendungen können wir ein gemeinsames Vorgehen definieren, wie Prozesse implementiert werden – unabhängig von der eingesetzten Technologie.
CW: Welches sind die grössten Hürden für die Digitalisierung des Geschäfts von SGS?
Plaza Morales: Die Technologie ist vorhanden für die Digitalisierung. Sie ist nicht mehr die Herausforderung. In einer globalen Unternehmung wie der SGS können die Geschäftssysteme durchaus standardisiert sein. 80 Prozent sind identisch für alle Mitarbeiter, 20 Prozent sind die lokalen und kundenspezifischen Anpassungen. An diese Realität müssen die Auditoren, Inspektoren sowie Prüfer ihre Abläufe und Prozesse adaptieren. Die grösste Hürde ist das Change Management.
CW: Sind mit Change Management in erster Linie die Mitarbeitenden gemeint?
Plaza Morales: Es sind sowohl die Mitarbeitenden als auch die Prozesse gemeint. Jeder Angestellte ist der Meinung, dass SGS eine ganz spezielle Organisation ist. Das mag zu einem gewissen Grad tatsächlich stimmen. Aber es gibt durchaus einige Gemeinsamkeiten, intern und auch mit dem Wettbewerb. Wenn es einen Standardprozess gibt, sollte er adaptiert werden. Anschliessend können Spezialprozesse folgen, die das SGS-Geschäft auszeichnen.
CW: Als globale Organisation können Sie aus einem globalen Ressourcen-Pool schöpfen. Der Fachkräftemangel dürfte kein grosses Problem für Sie und SGS sein.
Plaza Morales: Das stimmt leider so nicht. Ich denke, heute hat jede Organisation ihre Schwierigkeiten, Talente anzuziehen. Als globaler Konzern müssen wir den strategischen Entscheid treffen, in welche unserer Niederlassungen wir investieren wollen. Für mich steht an erster Stelle das Talent und an zweiter Stelle der Ort. Während es in Genf schwierig ist, Fachleute anzusprechen, könnten wir in Madrid oder Lissabon erfolgreicher sein. Letztendlich müssen wir die Talente dort ansprechen, wo sie gerade vorhanden sind – sei es in China, den USA oder auch hier in Europa.
Die Talentknappheit wird in Zukunft zur grössten Herausforderung aller Firmen werden. Denn die künftig benötigten Fähigkeiten und Kenntnisse sind heute noch nicht am Markt vorhanden. Bei meinem früheren Arbeitgeber [Adecco; Anm. d. Red.] beschäftigten wir uns schon seit Jahren mit den zukünftigen Anforderungen des Arbeitsmarkts.
Zur Firma
SGS
steht für Société Générale de Surveillance. Das 1878 gegründete Unternehmen mit Hauptsitz in Genf ist ein börsenkotierter, globaler Warenprüfkonzern. In den mehr als 1800 Niederlassungen und Labors in über 120 Ländern sind rund 93 000 Mitarbeiter beschäftigt. SGS erzielte im vergangenen Jahr einen Umsatz von ca. 5,6 Milliarden Franken. Der CEO Frankie Ng ist seit März 2015 im Amt.