Alan Hippe über IT-Innovation, die Pandemic Squad und die Life-Sciences-Zukunft

Corona-Lockdown: Härtetest für die Roche-IT

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Lucia Hunziker/Roche

CW: Forschung, Entwicklung und Produktion in den Life Sciences sind abhängig von IT. Welchen Einfluss hatte der Corona-bedingte Lockdown im Frühjahr auf den Betrieb von Roche?
Hippe: Wir haben während vieler Jahre in eine gute IT-Infrastruktur investiert. Dadurch fiel uns der Wechsel auf Remote Work sehr leicht. Ein Beispiel: Wir sind bereits 2012 von der On-Premises-Variante von Microsoft Office auf Googles Cloud-basierte Anwendungen umgestiegen. Dadurch betrieben wir bereits Anwendungen wie Mailing und Kalender in der Cloud. Damals half uns der Wechsel, indem wir unsere Infrastruktur entlasten konnten. Zusätzlich hat uns der Schritt neue Lösungen wie etwa Google Meet für die Videokommunikation beschert. So konnten dann von einem Tag auf den anderen alle Mitarbeitenden die Lösung nutzen, um beispielsweise virtuelle Team-Meetings durchzuführen und Projekte weiter voranzutreiben.
CW: Es ist aber schon ein Unterschied, ob die Lösungen von einem Teil der Belegschaft eingesetzt wird oder ob auf einen Schlag Tausende Mitarbeitende die Systeme remote als Power User einsetzen. Inwieweit hat Corona die IT-Infrastruktur von Roche in die Knie gezwungen?
Hippe: Eine Herausforderung auf der Infrastrukturseite war sicherlich, die Konnektivität sicherzustellen, etwa für die Nutzung der Virtual Private Networks (VPN). Wir hatten aber über den gesamten Konzern betrachtet genügend Kapazitäten und so konnten praktisch alle umgehend auf die firmeninternen Systeme zugreifen. Wir reden hier von 95 Prozent unserer weltweit rund 90’000 Mitarbeitenden.
CW: Wie haben Sie die Umstellung begleitet?
Hippe: Wir hatten innerhalb einer Stunde ein Team zusammengestellt, unsere sogenannte Pandemic Squad. Die trafen sich in einer Art War Room und kümmerten sich um Themen wie die Bereitstellung von ausreichender Infrastruktur. Oder etwa, wie man Compliance-Regeln am besten kommuniziert, sodass alle auch wissen, wie man im Home Office unsere IT-Systeme korrekt nutzt und was man möglichst unterlassen sollte – Stichwort Shadow-IT. Hinzu kam die Entwicklung möglicher Szenarien im weiteren Verlauf der Pandemie, um frühzeitig Massnahmen zu treffen. Aber auch wesentliche Fragen zum IT-Betrieb standen im Fokus. Wenn man während einer Pandemie zu Hause arbeitet, muss man die Pläne für Betrieb und Services der technischen Infrastruktur neu betrachten. Das war eine gewaltige Aufgabe für unsere Pandemic Squad zu bewerten, welche Teile der Infrastruktur wann und wie unterhalten werden.
CW: Sie haben es schon angesprochen: Durch den Wechsel in den Notbetrieb wurden bei einigen Unternehmen geplante Arbeiten, wie beispielsweise das Aufspielen neuer Software Releases, so lange es ging nicht auf die Systeme aufgespielt. Wie war das bei Ihnen?
Hippe: Wir haben an den Stellen konsequent Veränderungen herbeigeführt, an denen es sinnvoll erschien. Eben das war die Aufgabe der Pandemic Squad. Diese hat genau solche Situationen beurteilt. Das Interessante und Herausfordernde an einem Unternehmen in der Grösse einer Roche ist, dass man überhaupt den Überblick behält über die Gesamtlage und die Veränderungen. Man muss beispielsweise wissen, welche Release-Wechsel anstehen. Wir haben ebenfalls manches aufgeschoben. Aber wir haben auch konsequent dort gewechselt, wo wir mussten und haben das mit besonderer Vorsicht getan.
“Wir hatten in der IT innerhalb einer Stunde eine Pandemic Squad auf die Beine gestellt „
Alan Hippe, Roche
CW: War die Gründung der Pandemic Squad eine Massnahme, die Sie zuvor schon im Rahmen des Business Continuity Management (BCM) geplant hatten oder eine gezielte Reaktion auf den Lockdown im Frühjahr?
Hippe: Die Formation einer Art IT-Feuerwehr war bereits geplant und ist Teil unserer BCM-Strategie. Deshalb konnten wir das Team auch innerhalb einer Stunde aufstellen. Die Gruppe bestand aus etwa zehn Personen und arbeitete von Kaiseraugst aus, ergänzt durch Kolleginnen und Kollegen von weiteren Standorten weltweit.
CW: Wie erging es den Mitarbeitenden der Pandemic Squad in dieser Ausnahmesituation?
Hippe: Leider weiss man nie, wie lange so eine Situation andauert, entsprechend war auch die Pandemic Squad stark beansprucht. In so einer Phase muss man als Führungskraft auch genau im Blick behalten, wie es den Mitarbeitenden geht. So einen Ausnahmezustand kann man drei bis vier Wochen durchhalten, aber nicht während Monaten. Wir mussten uns daher überlegen, wie wir uns längerfristig besser organisieren können, um die Kolleginnen und Kollegen nicht zu verschleissen. Wir haben dann die Organisationsstruktur anders aufgesetzt. Das ist auch eines der Learnings aus dem Lockdown im Frühjahr.
CW: Was heisst anders aufgesetzt?
Hippe: Die Pandemic Squad ist aufgelöst, da wir mittlerweile die Sondermassnahmen in den alltäglichen Betrieb überführt haben – auf der IT-Seite, aber auch in den Fachbereichen. Damit tritt wieder eine gewisse Routine ein, sodass man wieder freie Energien für das eigentliche Business hat.
“Der Lockdown war ein Pressure-Test, den unsere Organisation gut überstanden hat. Auch hat sich gezeigt, dass sich unsere langfristigen Investitionen in die IT voll ausgezahlt haben„
Alan Hippe, Roche
CW: Welche Bilanz ziehen Sie nach dem Härtetest?
Hippe: Ich würde für mich nicht in Anspruch nehmen, dass alles perfekt lief. Wir haben eine ganze Liste mit Learnings. Insgesamt aber bin ich happy – vor allem für mein Team! Der Lockdown war ein Pressure-Test, den unsere Organisation gut überstanden hat. Auch hat sich gezeigt, dass sich unsere langfristigen Investitionen in die IT voll ausgezahlt haben. Wir erhielten viele positive Rückmeldungen und es wurde viel Wertschätzung den IT-Mitarbeitenden entgegengebracht. Solche Schulterklopfer sind natürlich fantastisch und tun gut.
CW: Woran machen Sie das fest?
Hippe: Wir messen regelmässig die Mitarbeiterzufriedenheit. Wir wollen Werte um die 80 Prozent Zufriedenheit erreichen. Wir stehen bei 86 Prozent – dies trotz der Pandemie. Das zeigt, dass unsere Arbeit positiv aufgenommen wurde. Ich darf dazu sagen, wir haben dafür auch viel getan. Wir haben den Mitarbeitenden Equipment geliefert. Wir haben die Experten und Serviceteams miteingebracht. Hierzu zählen etwa unsere 400 Fachleute aus Madrid, die auf das Netzwerk und seine Leistung spezialisiert sind. Wir haben alles dafür getan, dass Roche weltweit weiterhin funktioniert.
CW: Sie brechen als CIO natürlich eine Lanze für Ihr Team. Welchen Status hat die IT normalerweise innerhalb der Roche?
Hippe: Wir sind ein innovationsgetriebenes Unternehmen und uns ist klar, dass Tech und IT Treiber für Innovation sind. Entsprechend wurden wir immer schon sehr wertgeschätzt. Wir investieren dafür jedes Jahr über 3 Milliarden Schweizer Franken in IT und digitale Lösungen. Wir haben als Roche über 30 Software-Anwendungen auf dem Markt. Man könnte auch sagen, dass wir durchaus ein Software-Unternehmen sind. Das zeigt übrigens auch, wohin die Reise im Healthcare-Bereich geht.
Die Roche-IT
Group Informatics
liefert IT-Lösungen, welche die Erforschung, Entwicklung und Einführung von innovativen Medikamenten ermöglichen, mit dem Ziel, das Leben von Patientinnen und Patienten auf der ganzen Welt nachhaltig zu verbessern. Hierfür betreibt Roche sieben grosse IT-Standorte in Basel/Kaiseraugst, Madrid, Warschau, South San Francisco, Mannheim, Indianapolis und Shanghai. Hier beschäftigt das Unternehmen insgesamt über 3600 IT-Mitarbeitende – über 900 davon in der Schweiz.
In Zahlen: Mehr als 130’000 aktive Nutzer, 5’000’000 E-Mails wöchentlich, 84’000 Terabyte Data zugänglich Rund um die Uhr.



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