Thomas Failer, DMS: «Beim Stilllegen gibts Millionen-Sparpotenzial»

Die Zukunft von Data Migration Services

CW: Wie gross sind Ihre Befürchtungen, dass SAP Ihr Unternehmen übernimmt?
Failer: Da bin ich relativ gelassen. Erstens sind wir aktuell nicht auf der Suche nach einem Käufer. Zweitens besetzen wir ein Thema, das den Kunden und auch SAP selbst helfen kann, Migrationen möglichst schmerzfrei zu bewältigen. Das Potenzial ist gross, sprechen wir doch von 50'000 Kunden weltweit und mehreren 100'000 Systemen. Aber das Thema ist weit weg vom heutigen und zukünftigen Geschäft der SAP. Denn Walldorf fokussiert auf Analytik, Big Data und künstliche Intelligenz. Und auch wir wollen uns weiterentwickeln. Beispielsweise, indem wir Funktionen mit künstlicher Intelligenz in unsere Lösungen einbauen.
CW: Danke für das Stichwort. Welche Pläne haben Sie mit Ihrer Software und Ihrer Firma?
Failer: Wir entwickeln uns in Phasen. Heute sind wir stark im automatisierten Implementieren und Betreiben von Umgebungen für Legacy-Daten. Diese Installationen sind kostengünstig und wartungsarm. Bereits heute können unsere Kunden, ob globale oder lokale Player, unsere Software aus der Cloud für Big-Data-Szenarien nutzen. Unsere nächste Entwicklungsphase wird sein, Tools für intelligentere Migrationen zu bauen. Wir nennen es «Identify» und «Design»: Heute bieten wir den Kunden einen Service an, der zum Beispiel eine SAP-Installation prüft und die für den operativen Betrieb notwendigen Daten iden­tifiziert. Diesen Service wollen wir mithilfe künstlicher Intelligenz und dem Fachwissen der besten Spezialisten auf unserem Gebiet in ein eigenes Produkt bündeln. Dafür müssen wir noch einige Migrationen abschliessen, damit die Maschine aus unserer Tätigkeit lernt und bestimmte Muster in den Vorgehensweisen erkennen kann. Das wäre «Identify». Bei «Design» geht es darum, Algorithmen zu entwerfen, die automatisch Daten klassifizieren nach ihrer Relevanz für das operative Geschäft. Anschliessend können die Algorithmen in Migrationswerkzeuge implementiert werden, sodass die Sortierung der Geschäftsdaten automatisch geschehen kann. Produkte für «Identify» und «Design» stehen in diesem Jahr auf der Agenda.
CW: Wohin geht dann die Reise?
Failer: Eine weitere Phase für die Weiterentwicklung ist die universelle Anwendbarkeit unserer Lösung. Neben Still­legungen und der S/4-Migration gibt es noch weitere Cases, in denen Jivs nützlich sein kann. Ein Beispiel sind Firmenübernahmen: Mit einem zugekauften Unternehmen kommt auch eine ganze Menge neuer IT in den Konzern. Die Systeme werden heute meist manuell in die bestehende Applikationslandschaft integriert. Während wir Lösungen für das Stilllegen von Systemen liefern können, haben wir keine Anwendungen, die Systeme respektive Daten mit gleichen oder zumindest ähnlichen Funktionen zusammenbringen. Wir arbeiten deshalb an Lösungen, die Datenbestände und Business-Logiken ermitteln sowie dann mit vorhandenen Systemen zusammenbringen können. Wir haben Hilfe von Data Scientists, die auch jenseits der von SAP bekannten Tabellen und Hierarchien Zusammenhänge ermitteln können. Wir bieten dies zwar heute als eine Servicedienstleistung an. Diese analytischen Fähigkeiten sollen aber nach und nach in unser Produkt integriert werden. So wollen wir mit Produkten skalieren. Heute arbeiten schon viele global tätige und auch hochspezialisierte Implementierungspartner mit uns im Verkauf und im Rahmen von Projekten zusammen. Über die Partner sind wir schon jetzt auch ausserhalb des DACH-Raums in Regionen wie Asien, Nordamerika und Südafrika vertreten. Ebenso können wir über diese Community weltweit auf mehr als 100 Spezialisten zugreifen.
CW: Machen Sie die Geschäfte hauptsächlich in der Schweiz oder im Ausland?
Failer: Wir haben im vergangenen Jahr mehr als 50 Prozent des Umsatzes in den USA erwirtschaftet. Dabei waren wir weder physisch dort präsent noch hatten wir einen Partner. Vielmehr haben wir die Lizenzen alle am Telefon verkauft. Ein Grosskunde hat sich beispielsweise für eine Enterprise-Lizenz entschieden. Mit Jivs wurden dort nicht nur SAP-Systeme stillgelegt, sondern auch verschiedene Business-Anwendungen, insbesondere PLM-Applikationen (Product Lifecycle Management). In dem Jivs-Archiv sind mittlerweile alle Daten sämtlicher Produkte gespeichert – bis hin zu Geräten aus dem Jahr 1905. Für die Implementierung waren wir aber nie vor Ort. Vielmehr haben wir alle Anwendungen remote aufgesetzt. Weitere Verkäufe an Grosskunden liefen über Partner, die auf der Basis von Projekten mit uns zusammengearbeitet haben. Über weltweit tätige Beratungsunternehmen konnten wir Kunden zum Beispiel in Südafrika und den USA gewinnen. Auch hier waren wir teilweise an der Implementierung beteiligt, was aber in 95 Prozent aus der Schweiz heraus geschah. Und erst kürzlich haben wir in den USA über ein anderes globales Beratungsunternehmen einen grossen Energiekonzern als Kunden gewinnen können.
“Wir haben im vergangenen Jahr über 50 Prozent des Umsatzes in den USA erwirtschaftet„
Thomas Failer
CW: Auch in der Schweiz waren Sie im vergangenen Jahr auf Partnersuche. Waren Sie erfolgreich?
Failer: Ja, DXC ist ein neuer Partner. Weiter arbeiten wir neu mit mehreren SAP-Beratungshäusern zusammen: Sie verwenden unsere Lösung manchmal als USP (Unique Selling Proposition). Teilweise reduzieren die Partner aber auch heute schon ihren Arbeitsaufwand, wohl wissend, dass sie ab 2021 noch genug zu tun bekommen, wenn dann die Zahl der Migrationen auf S/4Hana massiv ansteigen.
CW: Wen sehen Sie als Ihre Wettbewerber?
Failer: Für das Application Retirement kenne ich sechs Anbieter. Drei von ihnen setzen auf Virtualisierung. Sie betreiben Altsysteme inklusive Betriebssystem und Datenbanken unverändert in einer virtuellen Maschine weiter. Dieser Ansatz ist nicht nachhaltig, denn die Altsysteme müssen weiterhin gewartet werden, was mit viel Aufwand verbunden ist. Ausserdem ist die Lösung weder compliant noch sicher. Oft stehen Unternehmen innert kurzer Zeit erneut vor dem Problem: abschalten oder nochmals migrieren. Drei weitere Anbieter, von denen wir einer sind, übernehmen sämtliche Daten aus den Altsystemen und gewährleisten anschliessend den Zugriff darauf. Wir unterscheiden uns hier einerseits durch die hohe Automatisierbarkeit beim Transfer der Daten aus den Legacy-Systemen. Andererseits sind wir vorn bei den Business-Systemen. Von Haus aus liefern wir Merkmale von rund 2000 strukturierten Business-Objekten mit, von denen die Hälfte für SAP-Systeme passen und die auf Knopfdruck einen qualitativ gleichartigen Zugriff auf die Daten erlauben wie die Altsysteme. Damit sind die Grundbedürfnisse bei der Mehrheit der SAP-Installationen schon per Default abgedeckt.
 
Zur Firma
Data Migration Services
mit Sitz in Kreuzlingen beschäftigt sich seit der Gründung 1996 mit der Datenmigration und dem Management von Geschäftsinformationen. Das Unternehmen in Privatbesitz vertreibt und implementiert die selbst entwickelte Jivs-Plattform. Sie ist unter anderem bei Kunden wie ABB, ABInBev, Alstom, Commerzbank, General Electric und Mercedes-Benz im Einsatz. » www.dms-ag.ch



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