Energieeffizienz 08.08.2019, 10:45 Uhr

Wie sich Rechenzentren nachhaltig betreiben lassen

Rechenzentren haben einen enormen Energiebedarf. Welche Möglichkeiten es gibt, um diese dennoch effizient und nachhaltig zu betreiben, erklärt Professor Peter Radgen im Interview.
(Quelle: Pixabay)
Die Digitalisierung erfordert zunehmend leistungsfähigere Rechenzentren. Das geht mit einem stetig steigenden Energiebedarf einher. Peter Radgen erklärt im Gespräch mit Computerworld, wie man in Zeiten der digitalen Transformation energieeffiziente und nachhaltige Rechenzentren betreibt. Radgen ist Inhaber des Lehrstuhls für Energieeffizienz am Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) an der Universität Stuttgart, Leiter der Graduierten- und Forschungsschule Effiziente Energienutzung Stuttgart (GREES) sowie Vorstand der German Data Center Association e.V. Zudem ist er Autor zahlreicher nationaler und internationaler Veröffentlichungen zum Thema Energieeffizienz.
Computerworld: Das Internet soll schon heute für rund 10 Prozent des weltweiten Stromverbrauchs verantwortlich sein. Der Bedarf an Rechenleistung steigt rasant. Welche Rolle spielen in diesen Zeiten nachhaltige Rechenzentren?
Professor Dr. Peter Radgen ist Inhaber des Lehrstuhls Energieeffizienz am Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung der Universität Stuttgart
Quelle: IER, Universität Stuttgart
Peter Radgen: Digitale Angebote und Lösungen ersetzen immer mehr analoge Prozesse und Systeme. Nicht nur im Business-, sondern auch im Freizeitsektor nimmt der Datenkonsum und damit der Energiebedarf für die Bereitstellung und Verarbeitung der Daten weiter zu. Mit dem Einsatz digitaler Lösungen steigt der Energie- und Ressourcenverbrauch durch die IT an, und zukünftige Anwendungen wie das autonome Fahren oder der Mobilfunkstandard 5G werden diesen Prozess weiter beschleunigen. Daten kommen ebenso wenig einfach aus der LAN-Dose wie der Strom einfach aus der Steckdose kommt.
Nur wenn die zukünftige Rechenzentrumsinfrastruktur den Vorgaben der Nachhaltigkeit folgt, werden wir die negativen Auswirkungen durch die digitale Transformation vermeiden können. Das heisst, neben den Anforderungen schneller, grösser und zuverlässiger müssen deshalb gleichberechtigt die Anforderungen effizienter, ressourcenärmer und CO2-neutral stehen.
Computerworld: Haben wir überhaupt die Zeit für eine nachhaltige Digitalisierung, wo eigentlich nichts mehr ohne Rechenleistung geht – die möglichst schnell und preiswert zur Verfügung stehen muss?
Radgen: Die Digitalisierung sollte genutzt werden, um die grossen Nachhaltigkeitsprojekte Verkehrs-, Ernährungs-, Wärme- oder Energiewende schneller und effektiver umzusetzen. Derzeit entstehen viele neue Rechenzentren und man erkennt einen klaren Trend zur Effizienzsteigerung, häufig beschrieben durch die Power Usage Effectiveness (PUE).
Computerworld: Aber moderne Technologien wie die Abwärmenutzung kommen noch eher wenig zum Einsatz …
Radgen: Leider spielt die Frage der möglichen Abwärmenutzung aus dem Rechenzentrum noch immer nur eine nachgeordnete Rolle. Sie beeinflusst zudem den PUE-Wert nicht, was die Nachteile des PUE-Werts verdeutlicht. Gerade im Bereich der Abwärmenutzung müssten mehr innovative Ansätze und Kooperationen zwischen den verschiedenen Akteuren zum Beispiel im Rahmen von Reallaboren getestet und erprobt werden. Nachhaltigkeit im Rechenzentrum kann zur Beschleunigung von (Genehmigungs-) Prozessen und zu geringeren Gesamtkosten führen, eine nachhaltige Digitalisierung schafft somit eine Win-win-Situation.
Computerworld: Sie koordinieren das Projekt «Nachhaltige Rechenzentren Baden-Württemberg». Was genau macht das Projekt und was sind die Ziele?
Radgen: Ziel des Projekts ist es, die Potenziale aufzuzeigen, wie ein Rechenzentrum effizienter, sozialer, ressourcensparender und klimafreundlicher und damit meist auch kostengünstiger gebaut und betrieben werden kann. Im Projekt arbeiten wir dabei mit anderen Forschungseinrichtungen, Rechenzentrumsbetreibern und einem Planer von Rechenzentren zusammen. Obwohl wir unsere Arbeiten auf Rechenzentren in Baden-Württemberg fokussieren, lassen sich die Ergebnisse durchaus auf andere Regionen übertragen. Wir wollen Lösungsansätze aufzeigen, mit deren Hilfe die Digitalisierung unter Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten vorangetrieben werden kann.
Computerworld: In Zeiten von Smartphones und der Cloud  - wie wollen Sie ein breites Verständnis schaffen für die Thematik und vor allem für die Problematik der Nachhaltigkeit?
Radgen: Die Cloud ist keine magische Wolke, sondern ein Rechenzentrum. Die Services auf dem Smartphone funktionieren nur, weil ein Rechenzentrum diese ermöglicht, das Internet ist ein Netzwerkverbund zwischen Rechenzentren. Wir nutzen alle direkt oder indirekt Rechenzentren und treiben damit eine riesige Industrie. Jüngste Berechnungen haben ergeben, dass der weltweite Stromverbrauch für die Erzeugung von Bitcoins 60 Milliarden kWh pro Jahr benötigt. Dies entspricht dem Stromverbrauch von 20 Millionen Haushalten.
Computerworld: Der tagtägliche Strombedarf ist aber nicht das einzige Nachhaltigkeitsproblem …
Radgen: Wichtig ist, dass wir uns bewusst machen, dass im Bereich der Smartphones und Kleingeräte die wesentlichen Belastungen durch die Herstellung entstehen, im Bereich der Rechenzentren durch die Betriebsphase. Die Aufwendungen für die Herstellung von Servern tritt gegenüber der Betriebsphase typischerweise deutlich zurück.

Energieeffizienz und  Verfügbarkeit

Computerworld: Was macht nun eigentlich ein nachhaltiges Rechenzentrum aus? Ein möglichst geringer Stromverbrauch reicht ja nicht aus …
Radgen: Das stimmt. Durch die Analyse der Literatur haben wir über 120 Indikatoren für die Bewertung der Nachhaltigkeit eines Rechenzentrums identifiziert. Das reicht von der Auslastung der installierten Festplatten bis zu der Frage, ob die seltenen Erden in der Hardware bewaffnete Konflikte im Kongo finanzieren. Es muss hier also einiges berücksichtigt werden. Weniger ist aber trotzdem manchmal mehr. Für unser Projekt haben wir deshalb die Bewertung auf elf wichtige Kriterien reduziert. Hierzu zählt unter anderem, wie mit der Abwärme umgegangen wird, aus welchen Quellen der Strom kommt und was mit der Hardware passiert, wenn diese ausgetauscht wird.
Computerworld: In welchen Bereichen der Rechenzentren lässt sich generell am meisten Energie einsparen und in welchen sind im Gegensatz dazu kaum Einsparungen zu er­zielen?
Radgen: Grundsätzlich gibt es in allen Bereichen Einsparpotenziale. Nicht immer lassen sich die grössten Einsparpotenziale jedoch am wirtschaftlichsten erschliessen. Sowohl in der technischen Infrastruktur als auch bei der IT-Hardware sind Energieeinsparpotenziale vorhanden. Dies gilt sowohl für den Bestand als auch für neue Rechenzentren.
Im Bereich der technischen Infrastruktur nimmt die Kältebereitstellung eine Schlüsselrolle ein. Neben der Frage der Anwendbarkeit der freien Kühlung oder der Abwärmenutzung innerhalb oder ausserhalb des Rechenzentrums sind dabei auch gesetzliche Vorgaben wie zum Beispiel der Phase-out von einigen Kältemitteln zu beachten. Zudem führen auch Standardmassnahmen wie die Umstellung der Beleuchtung auf LED zu wirtschaftlichen Einsparpotenzialen, die sich ohne grossen Aufwand umsetzen lassen.
Im Bereich der IT-Hardware spielt dagegen die optimale Auslastung der Komponenten eine wichtige Rolle. Server ohne oder mit geringer Auslastung treiben den Stromverbrauch. Der Einsatz effizienter Netzteile oder von SSDs leistet ebenfalls einen Beitrag zur Verbesserung der Energieeffizienz.
Computerworld: Was sind die wichtigsten Massnahmen hinsichtlich der Energieeffizienz?
Radgen: In den frühen 2000er-Jahren konnte durch die Einhausung des Warmgangs beziehungsweise Kaltgangs die Effizienz der Kühlung deutlich verbessert werden. In den letzten Jahren grosse Bedeutung gewonnen hat die Virtualisierung, die zu einer deutlichen Steigerung der Auslastung der einzelnen Server geführt hat.
Leider noch zu selten anzutreffen – aber von grosser Bedeutung – ist die eingangs angesprochene Abwärmenutzung. Hier gilt es insbesondere, die Abwärme bei höheren Temperaturen bereitzustellen, was zu einer teilweisen Renaissance der Wasserkühlung geführt hat. Noch immer gibt es aber Bedenken hinsichtlich des Einsatzes der Wasserkühlung direkt auf dem Board.
Auch bei USV-Anlagen wurde der Wirkungsgrad in den letzten Jahren deutlich verbessert. Es kann sich deshalb lohnen, das alte System für die unterbrechungsfreie Stromversorgung unter die Lupe zu nehmen und gegebenenfalls zu ersetzen.
Nicht vernachlässigt werden sollte die wohl wichtigste Massnahme, um die Energieeffizienz zu steigern: Rechenzentrumsbetreiber sollten die Verbräuche der wesentlichen Energieverbraucher kennen. Spätestens wenn der Stromverbrauch der einzelnen Anlagen oder Bereiche bekannt ist und mit Hilfe eines kontinuierlichen Monitorings überwacht wird, führt dies zu neuen Ideen und Ansätzen zum Energiesparen.
Computerworld: Das klingt nach vielen Möglichkeiten … Um wie viel Prozent lässt sich im Schnitt Energie in einem optimierten Rechenzentrum einsparen?
Radgen: Grundsätzlich lässt sich das aufgrund der grossen Unterschiede nur schwer sagen. Ein modernes Rechenzentrum kann allein abhängig vom Standort komplett ohne Kompressionskälte auskommen oder aber im Schnitt anderthalb Monate im Jahr darauf angewiesen sein. Es kann also manchmal nur durch die Wahl des Standorts – selbst innerhalb eines Bundeslandes – Energie eingespart werden. Auch die Verfügbarkeitsklasse hat einen Einfluss auf den Energieverbrauch. Ein Rechenzentrum der Verfügbarkeitsklasse 3 kann durch ein georedundantes Rechenzentrumspaar der Klasse 2 ersetzt werden und dadurch weniger Energie verbrauchen. Zudem kommt es auf den Investitionshorizont des Betreibers an. Je länger dieser ist, umso mehr Massnahmen lassen sich wirtschaftlich umsetzen.
Um aber zum Schluss noch eine konkrete Zahl zu nennen, 10 bis 15 Prozent Einsparung sollten eigentlich immer möglich sein.



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