22.10.2012, 10:08 Uhr

Mammutprojekt SAP-Umzug

Wie man 10 Terabyte und eine tägliche Change-Rate von 100 Gigabyte ohne Datenverlust mit einer relativ kleinen Bandbreite von den USA nach Stäfa an den Zürichsee migriert.
Der IT-Umzug von Phonak brachte einige Probleme mit sich.
Der Autor ist Account Manager Backup & Recovery Systems bei EMC Computer Systems AG. Der Umzug einer kompletten IT-Um­gebung – Server, Storage, Software – ist an sich schon kein Zuckerschlecken. Wenn zwischen dem alten und dem neuen Standort dann noch der grosse Teich liegt – und eine knapp bemessene Bandbreite – kann und darf der CIO schon mal ins Schwitzen kommen. Der ganz konkrete Grund für den IT-Verantwortlichen des Hör- und Funkgerätespezialisten Phonak: Das Unternehmen, einer der weltweit führenden Hersteller seiner Branche, hatte sich entschieden, die gesamte SAP-Umgebung vom Rechenzentrum in den USA an den Firmenhauptsitz nach Stäfa in die Schweiz zu verschieben. Eine Mammutaufgabe.

Problem: geringe Bandbreite

Phonaks Hauptapplikation SAP läuft weltweit in vielen Ländern. Die Migration der Daten sollte trotzdem mit möglichst wenigen Unterbrüchen über die Bühne gehen. Hier die richtige «Downtime» zu finden, war eine echte Herausforderung, da immer irgendwer weltweit wach und an der Arbeit war. Zudem stand für den Datentransfer über den Atlantik keine unbeschränkte Bandbreite zur Verfügung, da solche Verbindungen teuer erkauft werden müssen. Für die eigene Applikation reichen die vorhandenen Bandbreiten in der Regel aus, für eine Datenmigration braucht man jedoch eine x-fache Kapazität, was kaum finanzierbar ist. Der Migrationspartner EMC musste daher nach einer Lösung suchen, die einerseits mit der immensen Migrationsdatenmenge von 10 Tera­byte fertig wird, andererseits aber auch noch zusätzlich die übliche Change-Rate bewältigt, also die jeden Tag neu geschriebenen 100 GB transferieren kann. EMC prüfte daher verschiedene Produkte aus dem eigenen Portfolio. Die zunächst präsentierten Lösungen mussten jedoch aufgrund der grossen Daily-Change-Rate schnell wieder verworfen werden. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Transfer mit und ohne Leitung

Transfer mit und ohne Leitung

Das Projektteam aus Phonak- und EMC-Mitgliedern kam schliesslich – gemeinsam mit den Experten des vor einigen Jahren von EMC akquirierten Unternehmens Datadomain – auf die Idee, ein Speichergerät in die USA zu überführen und vor Ort ein Backup zu machen. Danach wollte man das Gerät wieder in die Schweiz zurückholen und hier einen Restore fahren. Das hätte allerdings eine Downtime von mehreren Tagen bedeutet – keine gute Idee. Also nochmal nachgedacht: Angenommen, es stehen zwei Geräte zur Verfügung, die untereinander replizieren und eine Datenkompression vornehmen. Auf diese Weise könnten grössere Datenmengen über kleine Leitungen transportiert werden. Mit dieser zündenden Idee liess sich das Konzept doch noch realisieren (vgl. Abbildung rechts).  Zuerst erfolgte ein Full-Backup der Datenbank auf das erste System. Alle Phonak-Mitarbeitenden können währenddessen problemlos weiterarbeiten. Die Datenbank wurde in diesem Stadium eingefroren und blieb konsistent – im Prinzip ein normaler Backup-Prozess. Das Team generierte damit ein Full-Backup und kopierte dieses auf das zweite System. Danach wurde das Speichersystem abgehängt und in die Schweiz transportiert. Auf dem ersten System wurden nach wie vor die laufenden Änderungen gespeichert. Bis zu diesem Zeitpunkt musste die Produktion noch nicht unterbrochen werden. Den Rest der Daten, also alle Änderungen, die das System 1 noch nicht kannte, wurden über die Standardleitungen in die Schweiz geschickt. Der Plan ging auf: Der noch nötige Restdatentransfer dauerte nur einige wenige Tage und konnte via vorhandener Bandbreite (25 Mbit/s) vollzogen werden. Anschliessend wurden beide Systeme nachsynchronisiert. Parallel zu den Migrationsarbeiten war in Stäfa eine neue Server- und Storage-Infrastruktur aufgebaut worden. Als alle Systeme wieder synchron liefen, wurde ein Restore gemacht und die Daten vom Backup-Gerät aufs neue Enterprise-System gespielt. Damit war die neue Datenbank in der Schweiz installiert, das alte System in den USA lief aber immer noch produktiv. Erst nach Abschluss dieser umfangreichen Vorarbeiten wurde mit einem «Hardstopp» das Midrange-System an einem Wochenende in den USA abgeschaltet und die letzten Daten in die Schweiz transferiert. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Minutiöse Planung und Teamarbeit

Minutiöse Planung und Teamarbeit

Bei weltweiten Konzernen wie der Phonak ist es sehr schwierig, überhaupt ein solches Zeitfenster zu erhalten. Das ist vielleicht nur zwei Mal pro Jahr der Fall. Umso wichtiger waren daher die User-Tests in den USA, in der Schweiz und in Asien. Dadurch wurde sichergestellt, dass alle Anwender über die neuen Server auf die SAP-Applikation zugreifen konnten. Um den Umstieg möglichst reibungslos zu gestalten, hatte Phonak für dieses ambitiöse Projekt zudem einen externen Projektmanager der Firma runIT abbestellt. Manuel Maranta koordinierte Kunde, EMC und Partner. Alle wussten zu jeder Zeit, in welchem Stadium sich der Migrationsprozess gerade befand. Phonak stellte dem EMC-Team versierte IT-Verantwortliche zur Seite, die schnell begriffen, wie das System funktioniert und worauf es bei einer Datenmigration dieser Komplexität ankommt. Dank des Backup-Devices von EMC und der kraftvollen Kompression der Daten war es möglich, mit der vorhandenen Bandbreite zu arbeiten. Insgesamt zwar keine komplizierte, aber eine äus­serst komplexe Aufgabe. Die Bandbreite war dabei der entscheidende Knackpunkt für Erfolg oder Misserfolg des Projekts. Die Berechnung des maximalen Datendurchsatzes pro Tag mit der bestehenden Leitung ergab die komfortable Datenmenge von 179 GB. Abzüglich der benötigten 100 GB für die Change-Rate, stand also eine Reserve von rund 79 GB pro Tag zur Verfügung. Wegen der hohen Komplexität und vielen Abhängigkeiten dauerte die Projektdurchlaufzeit mehrere Monate. Eine wichtige Erkenntnis für alle Beteiligten: sich für die Planung und Vorbereitung genügend Zeit zu nehmen. Oft merkt das Team erst im Projektverlauf, wenn gewisse Abläufe nicht genügend durchdacht sind. Deshalb heisst das Erfolgsrezept, eine einwandfreie Kommunikation, abgestimmte Prozessabläufe und alle Fakten in einem frühen Stadium zusammentragen. Das Team sollte in der Planungsphase möglichst gross und breit gefächert aufgestellt sein, damit unterschiedliches Wissen in die Planung einfliessen kann. Zum Beispiel war bei diesem Datenmigrationsprojekt die Bandbreitenproblematik matchentscheidend, was für die Schweiz eher untypisch ist, da hier in der Regel ausreichend Kapazi­täten verfügbar sind.
Das Projekt: Serverumzug
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