Informatik als Krisenhelfer
Patientendossier: Chance vertan
Seit annähernd einem Jahr hätte jeder Einwohner der Schweiz ein elektronisches Patientendossier besitzen sollen – oder immerhin können. Denn obligatorisch ist das Dossier nicht – genau wie der elektronische Impfausweis und die SwissCovid-App. Während die Tracing-App allerdings gemäss Bundesamt für Statistik BFS aktuell auf 1,8 Millionen Natels aktiviert ist, zählen der Impfausweis (wegen eines Datenschutzproblems) und das Patientendossier (mangels Angebot) beide jeweils null Nutzer. Die Pandemie hätte das Schweizer Gesundheitswesen als Chance nutzen können, um die Digitalisierung voranzutreiben. Dass die Bürger bereit sind, Gesundheits-Apps auf ihrem Smartphone zu installieren und sogar die kostbare Akkuladung dafür zu opfern, beweist die SwissCovid. Aber SwissCovid hätte nur eine Zusatzfunktion einer einheitlichen Schweizer Gesundheits-App sein sollen, genau wie das digitale Impfbüchlein. Wie kläglich die Schweiz nun auch noch beim digitalen Impfpass versagt, steht im nächsten Jahr an dieser Stelle. Die Impfplattform OneDoc stürzte aufgrund der hohen Nachfrage im Kanton Zürich im Januar ab. Das System sei nicht ausgelegt für Hunderttausende gleichzeitiger Zugriffe, hiess es damals seitens der Entwickler. Sie hatten vom Bundesamt für Gesundheit einen (freihändigen) Zuschlag von 1 Million Franken erhalten – hauptsächlich, um die Skalierbarkeit von OneDoc sicherzustellen.
Einen Ausweg aus der Misere möchte die Allianz «Digitale Transformation im Gesundheitswesen» finden. Sie ist Ende März von fast zwei Dutzend Branchen- und Fachverbänden, der Industrie, den Leistungserbringern und Patientenorganisationen gegründet worden. Ihr Ziel ist es, die Prioritäten bei der digitalen Transformation festzulegen, Handlungsempfehlungen und Lösungsvorschläge zu erarbeiten und mit möglichst geeinten Positionen gegenüber der Politik aufzutreten. Auch hier wird Computerworld in einem Jahr berichten, welche Fortschritte erzielt wurden.
Alternative Mobilität
Der öffentliche Verkehr verzeichnete im Corona-Jahr einen nie da gewesenen Fahrgastschwund. Die SBB rapportierte teilweise 50 Prozent weniger Reisende als im Vorjahr, im Nahverkehr sogar über 60 Prozent. Die Bundesbahnen nutzen die ruhigeren Zeiten für grössere IT-Projekte. Das Zugbegleitpersonal wurde für über 50 Millionen Franken mit mobilen Endgeräten ausgestattet, der Outsourcing-Vertrag mit T-Systems für rund 180 Millionen Franken um zehn Jahre verlängert und ein Projekt für eine neue Instandhaltungslösung mit SAP umgesetzt. Die SBB-App wird neu von adesso Schweiz weiterentwickelt, DXC Technology unterstützt die SBB-IT bei der Implementierung von ServiceNow – zunächst für die Informatik, später auch für das Business. Parallel sorgte UMB für die Realisierung der Datendrehscheibe «Info Hub» für SBB, BLS sowie SOB, Paixon programmierte den «SBB Sprachassistent» und Leuchter ersetzte eine Access-Datenbank für Bauprojekte durch eine Web-Applikation.
Die Verkehrsbetriebe der grössten Stadt der Schweiz schickten sich im August vergangenen Jahres an, das Thema Mobilität mit einer eigenen Lösung zu adressieren. «ZüriMobil» sollte die verschiedenen Anbieter vereinen: ÖV, Bikesharing, Carsharing, E-Scooter wie auch Fuss- und Velowege. Kostenpunkt: 1,6 Millionen Franken. Anfang Jahr mussten die Zürcher Verkehrsbetriebe (VBZ) eingestehen, dass die Ziele im Lockdown wohl zu ambitioniert waren. Weder die Anbieter waren auf der Plattform wie gewünscht vertreten noch die Nutzer. Letzteren sagte der neu lancierte «digitale Rufbus» mehr zu. Gemeinsam mit Mobility war im November das Pilotprojekt «Pikmi» gestartet, das in den Randstunden und an Wochenenden den ÖV ergänzen soll. In den Zürcher Quartieren Albisrieden und Altstetten nutzten in den ersten vier Monaten fast 3000 Einwohner die App, um einen Rufbus zu buchen. Der Pilot läuft noch bis April 2022. Bis dahin sind die App-basierten E-Trottis von Lime in Zürich und die Voi-Scooter in Bern allenfalls schon wieder verschwunden – wie während des Lockdowns im vergangenen Jahr.