Informatik als Krisenhelfer

Industrie: näher an die Kunden

Die Grosskonzerne ABB, Bühler, Nestlé und V-Zug machen es vor: Sie trieben im vergangenen Jahr nicht nur ein, sondern gleich mehrere IT-Projekte voran (vgl. Computerworld-Artikel: «Smarte Ware aus Schweizer Fabriken»). Dabei ging es teils auch um die Krisenbewältigung, etwa bei der Augmented-Reality-unterstützten Fabrikplanung bei Nestlé. Der Maschinenbauer Müller Martini half sich im Lockdown mit einer Live-Produktpräsentation via Skype for Business. Einem Kunden in Taiwan wurden die neuen Buchbindesysteme vorgeführt. «Dabei war wichtig, dass die Live-Übertragung nie unterbrochen wurde, um beim Kunden nicht den Eindruck zu erwecken, wir würden etwas verheimlichen», so Lukas Budde, Produktmanager Hardcover/Softcover bei Müller Martini. Die verantwortliche Regional Sales Managerin Inga Wiens zog eine positive Bilanz der Online-Premiere. Und auch der Kunde zeigte sich begeistert. Parallel trieb das Unternehmen aus Zofingen die Zentralisierung der Infrastruktur an den weltweit mehr als 20 Standorten voran. Dafür wurden SAP Business One, SAP ECC als ERP-Basis und SAP Field Service Management eingeführt.
Die Industrie sucht im Lockdown neue Wege der Kundenansprache. Dutzende Projekte des vergangenen Jahres zielten auf die Optimierung der Kundenschnittstelle: Neue CRM-Systeme legten sich beispielsweise der Schokoladenfabrikant Chocolat Stella Bernrain (cobra CRM), der Labormessgeräte-Hersteller Metrohm (Microsoft Dynamics 365 Customer Engagement) und der Baustoffproduzent Saint-Gobain Weber (BSI) zu. Beim Basler Läckerli Huus steuert das tosca-ERP neu den Omnichannel-Vertrieb und der Bekleidungshersteller Mammut erreicht mit dem novomind iShop seine Zielgruppe auch online. Der Getränke-Hersteller Rivella lud seine Kunden an verschiedenen Talstationen in Schweizer Wintersportgebieten zu einem Augmented-Reality-Spiel ein: Virtuelle Rivella-Flaschen sollten so schnell wie möglich ausgetrunken werden, indem ein Strohhalm per Kopfbewegung in die sich bewegende Flasche gehalten wird. «Das Spiel funktioniert per Gestensteuerung und ohne zusätzliches Personal. Das verschafft uns zu Pandemiezeiten mehr Sicherheit und macht trotzdem ein spassiges Produkt-Sampling möglich», sagt Artur Lohrer, Gründer des Spielentwicklers Sensape.
Die Industriegrössen – die allesamt global aufgestellt sind – folgen dem Trend zum Auslagern der Informatikressourcen in die Cloud. Dabei müssen es nicht immer die Hyperscaler sein, wie Outsourcing-Verträge zwischen Amcor und Orange Business Services, Läderach und Upgreat oder Syngenta und BT beweisen. Die Traditionsmarke Bernina hat gleich zwei Cloud-Anwendungen in Betrieb genommen: die Somnitec Private Cloud für das ERP und ein neues Händlerportal auf den Servern von Netrics. Dort laufen neu auch die Geschäftsapplikationen von Daetwyler.

Mobile Banking und Ökosysteme

Der zweitwichtigste Geldgeber der Schweizer IT-Firmen ist der Finanzsektor. In der Branche fehlten zwar in den vergangenen zwölf Monaten die Grossprojekte, die gezählten über 220 neuen Informatiklösungen bei Banken und Versicherungen waren allerdings trotzdem kostenintensiv. Für die Kunden am ehesten sichtbar sind die neuen Implementierungen beim elektronischen Banking: Allen voran Credit Suisse mit «CSX», für das an der Zürcher Europaallee eigens eine Filiale neu eingerichtet wurde: ohne Bankomaten, ohne Bargeld, aber mit viel Platz für die Bankberater, die dem CSX-Kunden bei Bedarf zusätzliche Services bieten können. CSX basiert laut Credit Suisse auf der bestehenden Kernbankeninfrastruktur wie alle anderen Konten der Grossbank, womit sich die Investitionen in Grenzen gehalten haben dürften. Beim Erzrivalen UBS stellten die Software-Entwickler im Juni die digitale Hypothekenplattform «key4» fertig. Sie wurde in den Folgemonaten via Schnittstellen zu dem Immobilienportal Homegate, der Wohneigentümerplattform Houzy und dem Finanzierungsvermittler FinanzScout24 erweitert.
Vorbilder für die Banken sind die Versicherungen in der Schweiz. Die Unternehmen bauen schon seit Jahren an Ökosystemen, in denen Konsumenten versicherungsferne Leistungen angeboten werden. War in den Vorjahren immer AXA das aktivste Unternehmen in diesem Bereich, holte nun die Mobiliar auf. Im Juni kommunizierte das Unternehmen die Übernahme der Handwerkerplattform «Buildigo», im September folgte die Beteiligung an «Carvolution». Dem Schweizer Marktführer für Auto-Abos stellte die Mobiliar 50 Millionen Franken für die Erweiterung der Fahrzeugflotte zur Verfügung. Weiter soll im Sommer dieses Jahres die Wohneigentümerplattform «Liiva» an den Markt gehen, welche die Mobiliar derzeit mit Raiffeisen Schweiz entwickelt.



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