Kolumne
20.04.2021, 08:56 Uhr
Wie man gute Informatiker erhält
Die Schweizer Wirtschaft sucht nach Lösungen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Andere Länder sind da schon weiter – angefangen bei der Ausbildung. Einige Beispiele, wie auch wir erfolgreicher ausbilden können.
Oft wird beklagt, dass es in der Schweiz zu wenige Informatikerinnen und Informatiker gibt. Ob das so ist oder vielleicht in Zukunft so sein wird, ist unklar. Ökonomisch betrachtet müssten im Fall eines Mangels die Löhne für Informatiker signifikant steigen. Dafür gibt es derzeit keine Anzeichen. Allerdings geht die Ökonomie von rationalen Entscheidungen aus, von denen es rund um die Informatik oft zu wenige gibt.
Statt den eventuellen Mangel an Informatikern politisch zu diskutieren, sollten wir uns darum den konkreten Zusammenhängen zuwenden. Wir könnten beispielsweise viel mehr talentierte Informatikstudierende haben, wenn wir für Chancengleichheit bei den Hochschulstudien sorgen würden. Renommierte amerikanische Hochschulen zeigen uns, wie man fast 50 Prozent Frauenanteil bei den Absolventen erreicht: Sie minimieren die Studienvorteile für Studierende mit Programmiererfahrung. Als Nebenprodukt lernen auch die programmiererfahrenen männlichen Studierenden dort mehr, weil sie mit für sie unbekannten Herausforderungen konfrontiert werden.
Wir könnten andererseits auch die Vermittlung von sozialen Skills für Nerds fördern – mit dem Ziel, in Zukunft mehr IT-Führungskräfte mit hoher Technologiekompetenz zu erhalten. Teamwettbewerbe, die Förderung einer gegenseitigen Wissensvermittlung unter den Studierenden und eine Bewertung von Studiumsleistungen durch Führungskräfte haben sich beispielsweise in Australien dafür sehr bewährt. Wichtig wäre auch, Studierende im Software-Engineering mit grossen Applikationssystemen zu konfrontieren und ihnen gezielt beizubringen, lesbaren Code zu produzieren. Auf Master-Ebene könnte darüber hinaus die Ausbildung in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft geschehen, beispielsweise durch Live Cases in der Praxis. Diese Innovationen in der Lehre sollten Hand in Hand gehen mit vermehrter empirischer Hochschulforschung zum Software-Engineering. Diese müsste allerdings eine technisch versierte empirische Forschung sein: von Ingenieuren für Ingenieure.
“Unternehmen müssen die technische Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden konsequenter fördern als heute„
Reinhard Riedl
Wichtig wäre auch, dass Unternehmen die technische Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden wesentlich konsequenter fördern. Zum einen läuft der technologische Wandel sehr rasch und dementsprechend gering ist die Halbwertszeit des Wissens. Zum anderen kann durch entsprechende Weiterbildung die Produktivität wesentlich gesteigert werden – beispielsweise aber nicht nur im Software-Engineering. Wenn uns ein Viertel der benötigten Informatiker fehlt, dann können wir den Bedarf auch dadurch decken, dass wir die Produktivität der vorhandenen Informatiker konkret um ein Drittel steigern. Das ist nicht in allen Bereichen der Informatik möglich, aber in vielen und dort sogar realistisch – und zwar ohne den Druck zu erhöhen!
Eine zentrale Rolle müssen bei der Produktivitätssteigerung die IT-Führungskräfte und die IT-Auftraggeber auf der Business-Seite spielen. Würden wir bei der Aus- und Weiterbildung der IT-Führungskräfte und IT-Auftraggeber grosse Fortschritte machen, so müssten wir uns vielleicht irgendwann fragen, ob wir nicht viel zu viele Informatiker in der Schweiz haben. Doch keine Angst: Nach unserem heutigen Wissensstand kann man gar nicht zu viele Informatiker im Land haben – zumindest nicht zu viel gute Informatiker! Man kann höchstens zu viele Informatiker in einem Projekt haben, aber das wissen IT-Führungskräfte schon lange.
Zum Autor
Reinhard Riedl
beschäftigt sich mit digitalen Ökosystemen und leitet das transdisziplinäre Forschungszentrum «Digital Society» an der Berner Fachhochschule.