Gebrauchtwagen auf der Blockchain

Nicht nur Software-Projekt

Bevor die erste Versicherung angeschlossen werden kann, haben Sprenger und seine Kollegen aber noch einige Entwicklungsarbeit vor sich. AdNovum ist als Implementa­tionspartner für die Software verantwortlich. Das Unternehmen entwickelt die eigentliche Plattform mit Business- Logik und Cloud-ready Container für den verteilten Betrieb der Blockchain. Nach dem grundsätzlichen Entscheid, eine nicht öffentliche «Permissioned Blockchain» mit HyperLedger Fabric zu realisieren, mussten noch weitere Fragen geklärt werden, sagt Sprenger. Die grösste Herausforderung ist das Gewährleisten eines sicheren Zugriffs auf die im Dossier gespeicherten Daten: Hier arbeiten die Entwickler mit einer Identitäts- und Zugriffsverwaltung, wie sie auch bei Banken zum Einsatz kommt. Hinzu kommen Daten­verschlüsselung und Zugriffskontrollen plus die entsprechende Compliance und Governance. In diesem Bereich wird das Projekt durch die Hochschule Luzern unterstützt, die insbesondere auch Aspekte zur Datenschutz-Compliance (DSG und GDPR) untersucht. «Data Privacy und Security sind bis anhin im Blockchain-Kontext noch nicht abschliessend gelöst worden», sagt Sprenger. AdNovum arbeite nach dem «Secure by Design»-Ansatz.
Zusätzlich haben die Projektbeteiligten noch Überzeugungsarbeit zu leisten. Denn einige Prozesse rund um ein Fahrzeug unterliegen gesetzlichen Bestimmungen – zum Beispiel das Einlösen eines Wagens. «Die heutigen Regulatorien kennen weder die Blockchain-Technologie noch das Konzept von Smart Contracts», sagt Sprenger. So bestehe eine weitere Herausforderung darin, mit den Ordnungsbehörden in den Dialog zu treten, um die notwen­digen Auflagen zu erfüllen und letztendlich die Akzeptanz von «Car Dossier» zu erreichen.
“Die heutigen Regulatorien kennen weder Blockchain noch Smart Contracts„
Tom Sprenger, AdNovum

Demokratisierung der Daten

Schon für die heute am Projekt beteiligten Industriepartner – der Autohändler und -importeur AMAG, die Versicherung AXA, Mobility Carsharing und das Strassenverkehrsamt Aargau – erfordert das Vorhaben ein Umdenken. Denn die Einführung des «Car Dossiers» ist nur dann sinnvoll, wenn von den verschiedenen Stakeholdern rund um ein Auto nicht nur einer, sondern möglichst viele mitmachen. So ist eine weitere Herausforderung die Fähigkeit und Bereitschaft aller Beteiligten, in einem Ökosystem zu denken. Das kann auch bedeuten, Konkurrenten auf die Plattform zu lassen. Ziel wäre, dass sich zum Beispiel auch die Binelli Group, die Helvetia und die Zurich Versicherung sowie weitere Strassenverkehrsämter dem Projekt anschliessen.
Die Firmen und Organisationen müssen weiter die Frage beantworten, ob sie eine Blockchain-Lösung im Kontext teils kritischer Geschäftsprozesse akzeptieren wollen respektive in Zukunft werden. Denn nach den Worten Sprengers bringt die Technologie neben den offensichtlichen Vorteilen wie Nachvollziehbarkeit und Unveränderbarkeit auch eine Demokratisierung der Daten mit sich. Diejenigen Firmen, die ihr Geschäft heute auf den Wissensvorsprung durch exklusiven Zugriff auf fahrzeug­relevante Daten aufbauen, würden ihre privi­legierte Position grösstenteils verlieren. Sie müssten ihr Business-Modell überdenken.

Prototyp in Entwicklung

Diesen Vorbehalten zum Trotz läuft das Projekt auf vollen Touren, wie Sprenger sagt. Das Entwicklerteam im «Car Dossier»-Projekt arbeitet nach agilen Grundsätzen und absolviert alle drei Wochen einen Sprint. Weiter sind alle drei Monate «Funktionsmeilensteine» festgelegt. Das Ziel ist, dass zu jedem Meilenstein ein neuer funktionaler Block, etwa ein Geschäftsprozess oder Teilprozess, abgeschlossen ist. Nach 18 Monaten soll die Entwicklung beendet sein. Ende Jahr rechnet Sprenger mit einem «Minimum Viable Product» (MVP), das bereit ist für Feldtests. Die Industriepartner AMAG, AXA und Mobility sowie das Strassen­verkehrsamt Aargau werden dabei neben der Fachexpertise die für den Feldtest notwendige Einbindung in die realen Geschäftsprozesse gewährleisten.
Anschliessend wird die Entwicklung allerdings nicht abgeschlossen sein. Denn noch fehlen für den produktiven Betrieb einer «Permissioned Blockchain» die notwendigen Erfahrungswerte wie beispielsweise das richtige Sizing der Anwendung und das effiziente Monitoring. Und die für einen professionellen Betrieb notwendigen Prozesse wie etwa das Einspielen neuer Releases von Smart Contracts. Sprenger rechnet damit, dass es noch ein bis zwei Jahre dauern wird, bis grössere «Permissioned Blockchain»- Lösungen zuverlässig und mit entsprechenden SLAs produktiv betrieben werden können.



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