Fahrerlos im Stau
07.06.2019, 10:24 Uhr
Selbstfahrende Autos lösen das Verkehrsproblem nicht
Fahrerlose Taxis werden den Individualverkehr in Städten nicht verdrängen, sofern auch automatisierte Privatfahrzeuge verfügbar sind. Das haben Forschende der ETH Zürich im Rahmen einer umfassenden Simulation zur Mobilität in der Stadt Zürich herausgefunden.
In Phoenix sind die selbstfahrenden Autos von Waymo bereits auf der Strasse unterwegs
(Quelle: Waymo)
Aktuelle Trends, wie Digitalisierung und Sharing-Ökonomie, werden die Mobilität in Städten grundsätzlich verändern. Darüber sind sich die meisten Experten einig. Der öffentliche Verkehr der Zukunft wird elektrisch, individualisiert und übers Smartphone stets zur Hand sein. Schon heute gibt es erste fahrerlose Taxidienste in Las Vegas und in Phoenix. Die Hoffnung: Eine Mobilitätsversorgung mit deutlich weniger Fahrzeugen, mit weniger Emissionen und zu geringeren Kosten (88 Prozent der Kosten für eine Taxifahrt in Zürich entfällt heute auf den Fahrer).
Bisherige Studien beflügelten diese Hoffnungen: Für Singapur kamen Forschende 2014 zum Ergebnis, dass der gesamte Mobilitätsbedarf innerhalb der Stadt dank automatisierter Taxis mit einem Drittel der heutigen Fahrzeugflotte abgedeckt werden könnte. In einer Studie für Austin, die Hauptstadt des US-Bundesstaats Texas, prognostizierten Forschende sogar eine Reduktion der aktuellen Autoflotte um 90 Prozent. Ridesharing-Unternehmen wie Uber und Lyft witterten gestützt auf solche Studien einen riesigen Markt für ihre Dienste, die künftig ohne Fahrer auskommen werden.
Umfassendere Simulationen
Kay Axhausen, Professor am Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme der ETH Zürich, kommt in einer aktuellen Studie im Auftrag der Schweizerischen Vereinigung der Verkehrsingenieure und -experten (SVI) und finanziert vom Bundesamt für Strassen (ASTRA) zu neuen Erkenntnissen. Sein Team hat simuliert, wie sich das Verkehrsaufkommen in Zürich durch die Einführung von automatisierten Taxis im Zeithorizont von 20 Jahren verändern könnte. Das überraschende Ergebnis: Die Anzahl Privatfahrzeuge wird durch ein Ridesharing-Angebot nicht zurückgehen. Und ein automatisierter Verkehr könnte die Anzahl gefahrener Kilometer sogar noch erhöhen.
Die Studie sei in dieser Form weltweit einzigartig, erklärt Axhausen: «Bisherige Simulationen gingen meist von Idealbedingungen aus, wie zum Beispiel, dass jeder Verkehrsteilnehmer ein automatisiertes Taxi nutzen muss, solange die Wartezeiten unter einem bestimmten Wert bleiben.» Sein Team entwickelte dagegen eine Simulation, bei welcher Angebot und Nachfrage sowie individuelle Verhaltensmuster von Nutzern berücksichtigt werden. Für eine vorgegebene Flottengrösse wird dadurch ein bestimmter Preis pro Fahrt und eine bestimmte Nachfrage generiert.
Die Forschenden nutzten «MATSim», eine Simulationsplattform, die seit mehr als zehn Jahren an der ETH und der TU Berlin weiterentwickelt wird, und die sich für Simulationen von komplexen Mobilitätsfragen durchgesetzt hat. MATSim ist Agenten-basiert, wird also durch das Verhalten von einzelnen virtuellen Verkehrsteilnehmenden mit individuellen Entscheidungsmustern angetrieben und nicht durch übergeordnete Regeln. Damit das Verhalten dieser Agenten möglichst realistisch ist, führte Axhausens Team für die aktuelle Studie eine Befragung im Kanton Zürich durch, in welcher 359 Probanden darüber befragt wurden, unter welchen Umständen sie bereit wären, auf automatisierte, geteilte Transportmittel umzusteigen. Dies vor allem in Abhängigkeit von Wartezeiten und Preis.
Optimum bei 3000 automatisierten Taxis
In einem ersten Szenario wurde das bestehende Verkehrssystem mit einer Flotte an selbstfahrenden Taxis ergänzt. In der Simulation mit rund 150’000 Agenten, was zehn Prozent der Zürcher Verkehrsteilnehmenden entspricht, erreichte der «automatisierte ÖV» mit selbstfahrenden Bussen, Bahnen und Taxis einen Anteil von über 60 Prozent am Gesamtverkehr. Gleichzeitig sank der motorisierte Individualverkehr von 44 auf 29 Prozent. Axhausens Team experimentierte dabei mit unterschiedlichen Flottengrössen. «Wenn die Flotte zu klein ist, wird der Service für die Nutzer unattraktiv», erklärt Axhausen. «Wenn sie zu gross ist, wird der Service zu teuer und verliert ebenfalls an Attraktivität.» Der Idealzustand hinsichtlich Nachfrage und Preis lag bei einer Flotte von rund 3000 automatisierten Taxis. Dadurch ergibt sich pro gefahrenen Kilometer ein Preis von 56 Rappen. Das entspricht etwa den heutigen Kilometerkosten bei einem herkömmlichen Privatfahrzeug. Der Preis ist jedoch deutlich niedriger als die 2.73 Franken pro Kilometer für ein herkömmliches Taxi.
In einem zweiten Szenario erhielten die Befragten die Möglichkeit, selbst ein automatisiertes Fahrzeug zu kaufen – anstelle dieses mit anderen zu teilen. Während im ersten Szenario ein substantieller Rückgang der Anzahl Personenwagen pro Haushalt resultierte, entsprach die Anzahl an Personenwagen im zweiten Szenario in etwa dem heutigen Stand. «Die Kombination von hoher Flexibilität und der Möglichkeit, die Zeit im Fahrzeug sinnvoll zu nutzen, macht diese Mobilitätsform sehr attraktiv – insbesondere, wenn alle Familienmitglieder das Fahrzeug nutzen können», sagt Axhausen. Das fahrerlose Privatauto erscheint in der Simulation sogar als dermassen attraktiv, dass es zu einer Mehrbelastung der Strassen kommt. Bis 250'000 zusätzliche Kilometer pro Tag legten Axhausens virtuelle Agenten in automatisierten Individualfahrzeugen zurück. Die Autoren legen den Behörden deshalb nahe, die Einführung selbstfahrender Autos regulatorisch zu begleiten.
Konkurrenz und Chance für ÖV
Die Einführung selbstfahrender Taxis hat auch weitreichende Folgen für den städtischen ÖV. Einerseits könnte dieser von der Automatisierung profitieren, indem zum Beispiel Busse automatisiert werden. Die Kosten für Busfahrten würden laut Studie um die Hälfte gesenkt. Selbst bei stark sinkenden Kosten für geteilte Taxifahrten, blieben Busse attraktiv. Andererseits zeigt das zweite Szenario, dass die hohe Attraktivität von individuellen automatisierten Fahrzeugen auch bisherige ÖV-Nutzende zum Umsteigen motiviert.
Für Axhausen drängt sich aufgrund der aktuellen Ergebnisse eine Neueinschätzung des automatisierten Stadtverkehrs auf: «Die automatisierten Taxiflotten werden alleine aus Kostengründen erst einmal relativ klein bleiben», sagt er. «Und die Annahme, dass der Individualverkehr aufgrund von geteilten, automatisierten Fahrzeugen verschwinden wird, ist falsch.» Axhausen bezweifelt deshalb auch, dass der urbane Verkehr künftig einzig durch einzelne Ridesharing-Unternehmen bedient wird. Dies im Gegensatz zu Uber oder Lyft, die gestützt auf ältere Simulationen, gerne ein baldiges Monopol durch ihre Dienste prognostizieren.
Hinweis: Dieser Artikel ist zunächst bei «ETH-News» erschienen und wurde von Samuel Schlaefli verfasst.