Interview
03.11.2020, 10:33 Uhr
Virtuelle Meetings haben sich verzehnfacht
Die Corona-Krise hat eine Vielzahl der Arbeitnehmer ins Home Office getrieben. Meetings und dergleichen werden fortan oft digital durchgeführt. Die Zahlen dazu sind exponentiell angestiegen, wie Sion Lewis von LogMeIn im Interview ausführt
Die Corona-Pandemie katapultierte so manches Unternehmen per Schleudersitz in die Digitalisierung. Die Folge: Vieles läuft plötzlich ganz anders - so wurde zum Beispiel das Arbeiten im Homeoffice, bislang in vielen Unternehmen verpönt, über Nacht zur Normalität.
Sion Lewis, Vice President EMEA bei LogMeIn, einem auf Fernwartung und Videokonferenzen spezialisierten Software-Unternehmen aus den USA, erklärt im Interview, was Covid-19 in Unternehmen verändert hat und wie es mit der Digitalisierung weitergeht.
Computerworld: Herr Lewis, mal ganz ehrlich: Für Sie als Unternehmen im Bereich Fernwartung und Fernzugriff konnte doch eigentlich nichts Besseres passieren als die Corona-Pandemie? Sehr viele Leute arbeiten plötzlich im Homeoffice und benötigen entsprechende Tools …
Sion Lewis: Unsere Produkte waren in den letzten Monaten sehr gefragt, das stimmt. Remote Work ist ein Trend, der sich in den vergangenen Jahren verstärkt hat, aber die Pandemie hat diesen Prozess beschleunigt. Das konnte niemand vorhersehen.
LogMeIn ist gut aufgestellt, um die Anforderungen von Unternehmen an die Fernarbeit von Anfang bis Ende zu unterstützen - von Videokonferenzen über virtuelle Veranstaltungen, Fernzugriff und -Support bis hin zur Sicherung der Online-Identifikation. Wir sind in der einzigartigen Position, ein Anbieter zu sein, der alles aus einer Hand liefern kann.
CW: Sie erleben also gerade einen Nachfrage-Boom?
Lewis: Wir haben in den letzten Monaten seit Beginn der Corona-Pandemie eine Rekordnachfrage nach unseren Remote-Lösungen für Webinare, Videokonferenzen wie auch Fern-Support erlebt. Von März bis Ende Juni haben wir verschiedene Branchen wie Healthcare und Bildung mit einem Emergency Remote Work Kit unterstützt. Dadurch konnten Unternehmen dieser Branchen unsere Remote-Lösungen kostenlos bis Ende Juni nutzen.
CW: Welche Tools sind denn momentan besonders gefragt?
Lewis: Die Nutzung all unserer Tools hat sich bei unseren Kunden in den letzten Monaten vervielfacht. Videokonferenzen und virtuelle Meetings erlebten einen Anstieg um das Zehnfache und der Fernzugriff wurde für viele Unternehmen essenziell. Die Nutzung unserer Fernzugriffsprodukte LogMeIn Pro und GoToMyPC ist in den vergangenen Monaten um bis zu 400 Prozent gegenüber dem normalen Niveau gestiegen.
Die Nutzung des Fern-Supports nahm ebenfalls stark zu, da der IT-Helpdesk in vielen Unternehmen remote zur Verfügung steht. LogMeIns Lösungen wie GoToAssist und LogMeIn Rescue wurden von Woche zu Woche um circa 50 Prozent mehr genutzt, da IT-Teams auf der ganzen Welt die Voraussetzungen für ihre neuen Mitarbeiter schaffen mussten, an entfernten Standorten zu arbeiten.
Auch Cloud-Telefonie und UCC sind weiter auf dem Vormarsch. Hier erfolgt ebenfalls der Wechsel in die Cloud und hin zur Nutzung von Softphones und Unified Communications für entfernte Teams. Unser UCC-Dienst GoToConnect verzeichnete einen 93-prozentigen Anstieg bei Sprachanrufen.
Aktuelle Aufgaben bei der Digitalisierung
CW: Sie bekommen die Digitalisierungsbestrebungen Ihrer Kunden direkt mit. Welche Aufgaben sind bei der digitalen Transformation aktuell am wichtigsten - und welche werden es in Zukunft sein?
Lewis: Die Covid-19-Pandemie hat zweifellos die Einstellung von Unternehmen zur Fernarbeit verändert. Viele überlegen bereits, wie die Arbeit von zu Hause auch nach der Pandemie weitergehen wird - wir werden beides erleben: eine Rückkehr ins Büro sowie die Fortführung von Home Office.
CW: Wobei viele Mitarbeiter sicher lieber zu Hause bleiben …
Lewis: Laut eigenen Untersuchungen bei LogMeIn würde jeder Zweite auch nach der Pandemie gerne weiter im Home Office arbeiten.
Mit der schrittweisen Wiedereröffnung der Büros sehen sich die Unternehmen den neuen Herausforderungen eines hybriden Teams gegenüber, in dem die Mitarbeiter zu Hause, im Büro oder in einer Mischung aus beidem sein können. Diese rotierende Belegschaft schafft neue Schwierigkeiten in den Bereichen Technologie, Collaboration und Infrastruktur, mit denen Unternehmen zu kämpfen haben.
CW: Und wo hakt es bei der Umsetzung am meisten?
Lewis: Der Umzug zu einer vollständig remote arbeitenden Belegschaft praktisch über Nacht war eine Herausforderung, auf die die meisten Unternehmen nicht vorbereitet waren. Wir haben festgestellt, dass es nicht nur um die Wahl der richtigen Technologie ging, sondern auch um angepasste HR-Praktiken und Richtlinien zur Unterstützung der Belegschaft.
Die gute Nachricht ist, dass die meisten Unternehmen erkannt haben, dass Remote-Arbeit etwas ist, das sie anbieten können und das ihre Belegschaft glücklich und produktiver macht.
CW: Gibt es da Unterschiede zwischen kleinen und mittleren Unternehmenskunden und Konzernen? Oder kämpfen im Grunde alle mit denselben Problemen?
Lewis: Es gibt zum Teil grosse Unterschiede. Bei grossen Firmen ist bereits absehbar, dass sie künftig stärker auf ein Remote-Team setzen werden, und ihre Mitarbeiter auch nach der Pandemie weiter aus dem Heimbüro arbeiten werden.
Ad-hock-Digitalisierung wegen Corona-Krise
CW: Wir erleben ja gerade eine Art Ad-hoc-Digitalisierung. Vieles wird mit heisser Nadel gestrickt. Wartet nicht einfach nur jeder auf das Ende dieser Krise - und bis dahin wird in Sachen Digitalisierung eher gestümpert, Hauptsache es läuft irgendwie?
Lewis: Remote Work ist eigentlich nichts Neues mehr, aber die Pandemie beschleunigt das Tempo, mit dem viele Organisationen dazu gedrängt werden, Fernarbeit anzunehmen. Dabei sind viele noch nicht dafür gerüstet, die höchste Produktivität aus ihren Fernarbeitern herauszuholen. Das gilt vor allem in den Branchen Healthcare, Finance und Bildung. Doch auch in IT-Unternehmen sind nicht alle auf eine 100-prozentige Remote-Workforce eingestellt.
CW: Und was ist mit dem kleinen Betrieb um die Ecke?
Lewis: In kleineren Betrieben, die sich bislang der Digitalisierung ihrer Prozesse oder dem Wechsel in eine Cloud-Infrastruktur verweigert haben, wird oft versucht, so günstig wie möglich den Betrieb während der Pandemie am Laufen zu halten, ohne kostenintensive Digitalisierungsprojekte voranzutreiben.
Auf der anderen Seite hat ihnen die Pandemie jedoch gezeigt, wie wichtig die Digitalisierung auch für ihr Unternehmen in einer Ausnahmesituation sein kann, sodass sie einiges in puncto Remote Work und IT-Infrastruktur intern vorantreiben werden.
CW: Wie sieht es eigentlich bei Ihnen im Unternehmen aus. Arbeiten bei LogMeIn während der Corona-Krise alle im Home Office?
Lewis: Als Anbieter von Remote-Lösungen stehen wir dieser Technologie natürlich sehr offen gegenüber und konnten unsere Mitarbeiter umgehend ohne grosse IT-Umstellungen oder ein schlechtes Gewissen ins Home Office schicken. Vor Covid-19 arbeiteten unsere Mitarbeiter nur gelegentlich von zu Hause. Seit der Pandemie ist unsere Belegschaft zu 100 Prozent remote. Doch als international aufgestelltes Unternehmen sind es unsere Mitarbeiter gewohnt, über Videokonferenzen miteinander in Kontakt zu stehen. Unsere Arbeitsplätze haben sich lediglich ins Heimbüro verlagert.
CW: Und wie finden das Ihre Mitarbeiter - wollen die überhaupt wieder zurück ins Büro?
Lewis: Kürzlich durchgeführte Mitarbeiterumfragen zeigen uns, dass nur 5 Prozent unserer Belegschaft wieder Vollzeit ins Büro zurückkehren wollen.
Remote Arbeiten auch nach der Corona-Krise
CW: Also bleibt LogMeIn auch nach Corona ein hauptsächlich remote arbeitendes Unternehmen?
Lewis: Wir gehen davon aus, dass es ganz anders aussehen wird, wenn es wieder sicher ist, ins Büro zurückzukehren. Denn viele Mitarbeiter gehen nur ein paar Tage pro Woche oder ein paar Mal im Monat ins Büro. Ich denke, dass unsere Mitarbeiter für Team-Meetings und gruppenbedingte Zusammenarbeit zurückkommen werden.
CW: Wagen wir noch einen Blick in die Glaskugel. Meinen Sie, dass die Einschränkungen durch Corona einen dauerhaften Schub für die Digitalisierung mit sich bringen? Wie lange wird diese Express-Digitalisierung anhalten?
Lewis: Wir glauben, dass dies ein Wendepunkt sein wird, an dem viele Unternehmen, die bisher nicht auf Fernarbeit gesetzt haben, die Vorteile einer Remote Culture erkennen werden. Sie bietet nicht nur die Möglichkeit zur Kostenersparnis durch kleinere Büros, sondern hat auch positive Effekte auf die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden der Belegschaft. Durch geringere Stromkosten im Büro und weniger pendelnde Mitarbeiter hat Home Office sogar einen grossen Einfluss auf die Nachhaltigkeit und die Umweltbelastung.
Für die Zukunft wäre es wünschenswert, dass die aktuelle Krise einen nachhaltigen Einfluss auf die Digitalisierung hat. Der Netzausbau mit einem flächendeckenden, leistungsfähigen Glasfasernetz und dem Ausbau des 5G-Standards ist genauso wichtig wie klare Regeln für die IT-Sicherheit und den Datenschutz.