Computerworld vor 30 Jahren 03.03.2021, 06:18 Uhr

Schweizer Mäuse

Innerhalb von zehn Jahren war aus der Stall-Gründung Logitech ein global erfolgreicher Konzern geworden. 1991 legten die Waadtländer den Grundstein für Wachstum.
Der «ScanMan» passte in eine menschliche Hand. Er markiert den Beginn der Portfolio-Diversifizierung von Logitech.
(Quelle: Logitech)
Ursprünglich als Software-Entwicklungsfirma wurde  Logitech 1981 gegründet. Der Name ist eine Kombination aus den französischen «logiciel» und «technologie». Mit Geld der Lausanner Fotosatzfirma Bobst Graphics standen die Programmierer Daniel Borel und Pierluigi Zappacosta 1981 kurz vor dem Verkaufsstart ihrer Grafik­anwendung. Aufgrund eigener finanzieller Probleme stoppte Bobst allerdings den Geldfluss, sodass Borel und Zappacosta ihr Projekt abbrechen mussten. Nun hatte die beiden aber der Enthusiasmus erfasst: Gemeinsam mit dem Freund Giacomo Marini – und Geld von Ricoh – arbeiteten sie an drei neuen Projekten. Eines davon war eine Computermaus.
Als Labor von Logitech diente ein Stall in der Waadt­länder Gemeinde Apples. Dort entstanden Prototypen der ersten kommerziellen Maus – P4. Sie wurde 1982 lanciert.

Die weibliche Komponente

Logitech-Mitgründer Daniel Borel hörte in entscheidenden Momenten auf seine Frau Sylviane
Quelle: Computerworld
So lautet die offizielle Lesart der Firmengründung von Logitech. Anlässlich des zehnjährigen Jubiläums von Logitech 1991 hatte Computerworld nachgefragt. So stellte sich heraus, dass die Gründung ohne eine Frau sehr viel anders verlaufen wäre: Mitgründer und EPFL-Absolvent Daniel Borel war mithilfe eines Nationalfonds-Stipendiums ins kalifornische Stanford gelangt – an die Geburtsstätte der ersten Computermaus. Sie war 1963 vom Ingenieur Douglas Engelbart entwickelt worden und sollte das Vorbild späterer Eingabegeräte sein. Während Borels Kontakt mit Engelbart nicht dokumentiert ist, erwies sich Borels Frau Sylviane als gute Networkerin. Sie legte den Grundstein zu seinem zukünftigen Welterfolg, als sie ihn aufforderte: «Bring doch mal einen Europäer nach Hau­se!»
Daniel entsprach ihrem Wunsch und lud den Informatiker Pierluigi Zappacosta ein, der sich mit der ameri­kanischen Kultur schwertat. Sylviane kochte italienische Gerichte und die beiden Männer wurden dicke Freunde. Zurück in der Schweiz legte Sylviane den zweiten Grundstein für die Mäusefreaks. Ihr Vater, Bauunternehmer in Apples, überliess Daniel ein Bauernhaus mit Stall – das schweizerische Gegenstück zur amerikanischen Garage. Logitech hatte seinen ersten Geschäftssitz und begann mit der Kommerzialisierung der von EPFL-Professor Jean-Daniel Nicoud entwickelten Computermaus.
Dann kam der dritte Streich der Gattin: Sie konnte einen ihrer Freunde, den Bankier François Davoine, von der Erfolgsträchtigkeit des Mäuse­geschäfts überzeugen. «Ganz klar, ohne meine Frau hätte ich nichts erreicht», gab Borel 1991 in der Computerworld zu.

Microsoft und Mickey Mouse

Mit der Logitech P4 gelang den Jungunternehmern sehr schnell der Durchbruch. Firmen mit klangvollen Namen wie Apple, NEC, Olivetti oder Wang vertrauten der Kompetenz der Schweizer und beauftragten sie mit der Produktion von Mäusen, die sie dann unter eigenem Namen anboten.
Den «MouseMan»  von Logitech gab es sowohl für Links- als auch für Rechtshänder
Quelle: Computerworld
Gewichtigster Konkurrent in diesem Marktsegment des durch Heimcomputer und Macintosh populär gewordenen Zeigegeräts war Microsoft selber. Der DOS-Entwickler hatte 1983 eine Maus für den IBM-PC lanciert, die allerdings mit einer eigenen Steckkarte daherkam. Den Durchbruch brachte die Entwicklung der seriellen Maus, die ohne zusätzliche Steckkarte an der RS-232-Schnittstelle an­geschlossen werden konnte. Ab der DOS-Version 2.0 sorgte Microsoft ausserdem dafür, dass Treiber frei installiert werden konnten. Damit wurde die Konfiguration beliebiger Computersysteme für den Einsatz von DOS und der Maus erheblich vereinfacht.
Das war dann auch der Zeitpunkt für Logitech, nicht nur für andere zu produzieren, sondern mit der «Logi-Mouse» den Weltmarkt zu erobern – mithilfe der wohl populärsten Maus der Welt, der Mickey Mouse. Mit einer Mickey-Mouse-Kampagne und dem Slogan «Logitech – America’s next favorite mouse» verschafften sich die Schweizer einen glänzenden Einstieg in den amerikanischen Markt. Mit 99 Dollar kostete die Logi-Mouse ausserdem nur gerade die Hälfte der damals den US-Markt beherrschenden Microsoft Mouse.

Design und Ergonomie

Zu Beginn der 1990er-Jahre entwickelte Logitech ein weiteres verkaufsträchtiges Argument für seine Geräte: die Ergonomie. Die optimale Haltung für die mäuselnde Hand erfordert einen geschwungenen Körper und eigene Ausführungen für Rechts- und Linkshänder. Dies ergab eine von der Beratungsfirma Biomechanics Corporation of America im Auftrag von Logitech durchgeführte Analyse, berichtete Computerworld. Den Zuschlag für die definitive Gestalt der neuen «MouseMan»-Produktlinie erhielt der Schwarzwälder Designer Hartmut Esslinger, der damals auch für das Gehäuse des Macintosh, des Nextcube und der Sparc­station verantwortlich zeichnete. Der geschwungene Mäuserumpf und die Tastenanordnung hätten gemäss Logitech dämpfenden Einfluss auf die Entwicklung des «Carpal Tunnel Syndroms». Diese Handgelenkserkrankung konnte auch aufgrund des intensiven Gebrauchs der Maus auftreten.
Logitechs ergonomischer Ansatz waren Mäuse für Links- und Rechtshänder sowie frei programmierbare Tasten. Eine neue Entwicklung – parallel zu der von Microsoft – war die umgedrehte Maus. Beim «TrackMan Portable» liess sich die integrierte Kugel mit dem Daumen bedienen. Dank der seitlich angebrachten Klammer konnte das Gerät an den damals boomenden Laptops montiert werden. Das Versprechen des Herstellers, der TrackMan liesse sich «ganz einfach» von rechts- auf linkshändige Bedienung umstellen, verärgerte allerdings die Computerworld-Leser.
In einem Leserbrief heisst es: «Als der TrackMan auf den Markt kam, rief ich, begeistert davon, dass es endlich eine Alternative zur Maus gibt, bei Logitech an und wollte ein Exemplar für Linkshänder bestellen.» Die Kundenberatung beschied dem Leser, dass es keinen TrackMan für Links­händer gäbe. Allerdings könne er doch «per Programm die Funktionen von linker und rechter Taste vertauschen». «Als ob das dem Daumen auf den Ball helfen würde …», war sein Kommentar. Die daraufhin kontaktierte Entwicklungs­abteilung beschied ihm, dass «die Herstellung eines Trackball-Gehäuses für Linkshänder zu teuer gewesen wäre». Er solle halt mit der Maus arbeiten. Was der Computerworld-Leser vermutlich dann auch tat.

Lukratives Mäuse-Geschäft

Kurz nach dem MouseMan und dem TrackMan lancierte Logitech 1991 noch die «Cordless Radio Mouse» mit einem Preisschild von 325 Franken. Noch heute trägt die Sparte «Pointing Devices» fast ein Fünftel zum Umsatz von Logitech bei. Nach dem Gaming- und dem Keyboard-Bereich ist sie der drittlukrativste Sektor. Das Jahr 1991 markierte für Logitech auch den Start in die Diversifizierung.
Den Beginn machte aber weder der Joystick noch die Tastatur. Vielmehr wurde im April der Graustufen-Handscanner «ScanMan 256» vorgestellt. Um auf die offizielle Lesart zur Firmenhistorie zurückzukommen: Zwischenzeitliche Turbulenzen in den 2000ern verkraftete Logitech nur, weil die Firma ihr Portfolio erweiterte. Mittlerweile wächst der Hersteller – auch dank Home-Office-Equipment und Videokonferenzen-Zubehör – wieder solide.
Fun Fact
Apple-Beipackzettel: «Bitte nicht füttern!»
Apple legte den ersten Mäusen für den Apple II in den frühen 1980er-Jahren einen Zettel bei, auf dem in grossen Lettern stand: «Bitte nicht füttern!». Auf der Rückseite des Blattes waren sämtliche für Mäuse unverträgliche Substanzen aufgelistet. Das berichtete Computerworld 1991. Und fuhr fort: In den 1990ern schienen Mäusehersteller von solchen Warnungen nicht mehr viel zu halten, weil sie allenfalls den Eindruck erwecken wollten, ihre Geräte seien irgendeinem äusseren Einfluss nicht gewachsen.
Im Falle von Mäusen ist das grundfalsch, denn die Viecher sind heikel wie Mimosen. Es sind feinmechanische Geräte, die meist darauf beruhen, dass eine schwere Kugel sich mitdreht, wenn sie bewegt werden. Die Drehbewegung wird auf zwei feine Achsen übertragen, die dann ihrerseits eine Elektronik zur Positionierung des Cursors steuern. Alles, was an der Kugel kleben bleibt, lagert sich auch an den feinen Achsen ab. Wenn es sich dabei um ein Gemisch aus halb eingetrocknetem Kaffee, ausgefallenen Barthaaren und Zigarettenasche handelt, ist der baldige Mäusetod quasi vorprogrammiert.



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