14.01.2016, 15:08 Uhr
ETH-Applikation kartiert Gebäude in 3D
Computerwissenschaftler aus der Gruppe von ETH-Professor Marc Pollefeys entwickelten ein Programm, mit dem das Erstellen von 3D-Modellen ganzer Gebäude zum Kinderspiel wird. Es berechnet die 3D-Karten in Echtzeit und läuft auf einem neuartigen Tabletcomputer.
Wenn Thomas Schöps ein dreidimensionales Modell des ETH-Hauptgebäudes erstellen will, zückt er seinen Tabletcomputer. Gemächlich umrundet er das Bauwerk. Die kleine Kamera auf der Rückseite seines Geräts richtet er ständig auf die Gebäudefassade. Nach und nach entsteht so auf dem Bildschirm ein eindrückliches 3D-Modell des Gebäudes. Gerade einmal zehn Minuten braucht der Doktorand am Institut für visuelles Computing für die Digitalisierung eines historischen Bauwerks wie des Hauptgebäudes. Die Software auf dem Gerät haben Schöps und seine Kollegen aus der Gruppe von Marc Pollefeys, Professor für Informatik, entwickelt. Dies im Rahmen des «Project Tango» von Google, bei dem 40 Hochschulen und Firmen mit dem Internetunternehmen zusammenarbeiten. Die ETH Zürich ist eine davon.
Vergleich von Bildpunkten
Die Methode der ETH-Wissenschaftler funktioniert rein optisch. Sie basiert auf dem Vergleich mehrerer Bilder, welche eine Fischaugen-Kamera am Tablet aufgenommen hat, und verwendet das Prinzip der Triangulation, wie sie auch in der Vermessungstechnik angewandt wird. Vereinfacht gesagt geht es so: Die Software analysiert zwei Bilder einer Hausfassade, welche von verschiedenen Standorten aus aufgenommen wurden. Für jede Bildinformation, jeden Pixel auf einem Bild sucht sie die Entsprechung auf dem anderen. Aus diesen Punkten sowie aus der bekannten Position und der Blickrichtung der Kamera kann die Software die Distanz eines jeden Bildpunkts zum Gerät bestimmen und daraus ein 3D-Modell des Objekts berechnen. Das Modell beschränkt sich längst nicht nur auf die Umrisse des Gebäudes und grobe Merkmale wie Fenster- und Türöffnungen. Vielmehr sind darauf auch architektonische Details zu sehen wie die Anordnung der Mauersteine einer Sichtsteinfassade. Die neue Software hat einige wesentliche Vorteile gegenüber bestehenden Methoden. Dass sie sich bei Sonnenlicht anwenden lässt, ist eine davon. «Andere Systeme arbeiten mit einem Infrarotlicht-Messnetz», erklärt Torsten Sattler, Postdoc in Pollefeys‘ Gruppe und ebenfalls am Projekt beteiligt. Bei der Infrarot-Methode projiziert das Gerät ein für das menschliche Auge unsichtbares Gitternetz aus Infrarotlicht auf ein Objekt. Eine Infrarotkamera nimmt die Projektion davon auf und berechnet daraus eine dreidimensionale Karte des Objekts. «Diese Technik funktioniert in Innenräumen gut», sagt Sattler. Doch sie eigne sich schlecht für Aussenaufnahmen bei Sonnenschein. Denn Sonnenlicht enthalte auch Infrarot-Anteile, was die Messung empfindlich störe. «Unsere Methode ist draussen klar im Vorteil. Umgekehrt eignet sich die Infrarottechnik in Innenräumen mit schwach strukturieren Räumen besser, etwa in solchen mit gleichförmigen, leeren Wänden.» Die ETH-Wissenschaftler programmierten die Software für die neuste Version des Project-Tango-Mobilgeräts. «Diese Tablets sind noch in Entwicklung und noch nicht für den Endnutzer gedacht. Seit wenigen Monaten können es interessierte Software-Entwickler auch in der Schweiz kaufen, und es gibt bereits erste Apps dafür. Im jetzigen Moment ist das Gerät allerdings nicht lieferbar», so ETH-Doktorand Schöps. Nächste Seite: Fischauge und rigorose Qualitätskontrolle
Fischauge und rigorose Qualitätskontrolle
Die Arbeitsgruppe von Pollefeys entwickelte bereits vor zwei Jahren einen 3D-Scanner für Smartphones. Dieser war für kleinere Objekte gedacht. Im aktuellen Projekt können dank der Fischaugen-Kamera und der grossen Rechenleistung des verwendeten Geräts erstmals auch ganze Gebäude kartiert werden. «In Zukunft könnte man damit wohl sogar ganze Stadtteile vermessen», so Sattler. Wie die Forscher feststellten, kommt es bei der Kartierung grosser Objekte immer wieder zu falsch berechneten 3D-Koordinaten. «Die Unterscheidung richtiger von falscher Information ist gar nicht so einfach», erklärt Sattler. «Wir lösten das Problem, indem wir die Software so programmierten, dass sie zweifelhafte Werte rigoros löscht.» Damit das 3D-Modell kein Flickwerk wird, ist das Echtzeit-Feedback wichtig. Der Benutzer weiss dank einer Vorschau stets, für welche Bereiche des Gebäudes er genügend Informationen gesammelt hat und welche er noch scannen muss.
Augmented Reality
Möglich ist ein solches Echtzeit-Feedback, weil dank der grossen Rechenleistung alle Berechnungen direkt auf dem Tablet gemacht werden. Dieser Umstand ermögliche auch Augmented-Reality-Anwendungen, sagt Sattler. Ein Beispiel dafür ist eine Stadtführung, bei der sich ein Tourist mit einem Tablet real durch eine Stadt bewegt. Betrachtet er ein Gebäude «durch» sein Tablet, können sogleich auf dem Bildschirm zusätzliche Informationen zum Gebäude eingeblendet werden. Weitere mögliche Anwendungen wären die Erstellung von Gebäudemodellen, die 3D-Kartierung von archäologischen Ausgrabungen oder Virtual-Reality-Computerspiele. Ausserdem könnte man die Technik in Autos einbauen, damit diese zum Beispiel automatisch die Begrenzung der Strasse oder die Dimensionen einer Parklücke erfassen können. So sind denn auch Erkenntnisse aus dem EU-Projekt V-Charge zur Entwicklung von selbst parkierenden Autos, an dem Marc Pollefeys Gruppe beteiligt war, in das aktuelle Projekt geflossen. Die nun an der ETH entwickelte Software ist Teil des Project Tango von Google. «Unsere Software ist nun Teil der Softwaredatenbank von Google. Wir hoffen natürlich, dass Google unsere Technologie den Endnutzern zur Verfügung stellt und die nächste Version des Tango-Tablets damit standardmässig ausrüstet», sagt Sattler. «Unser Traum wäre natürlich, dass dereinst jedes Mobilgerät diese Funktion enthält, damit Apps entwickelt werden können, welche sie nutzen.» Ein grosser Computerhersteller kündete jüngst an, im Sommer 2016 ein Smartphone mit der Google Tango Technologieplattform auf den Markt zu bringen.