Nützliche Kombination
20.07.2018, 12:30 Uhr
Wie Künstliche Intelligenz die Blockchain-Technologie smart macht
Die künstliche Intelligenz eröffnet der Blockchain-Technologie neue Möglichkeiten. Sie macht die in der Blockchain gesicherten Daten zugänglich für diverse Praxisszenarien.
Die Blockchain-Technologie wird meist mit Bitcoin und anderen Kryptowährungen in Verbindung gebracht. Dass es für die Blockchain, die eigentlich ein dezentrales Datenregister ist, auch Einsatzbereiche ausserhalb der Währungen gibt, hat sich unterdessen herumgesprochen. So arbeitet nahezu jedes zweite Schweizer Unternehmen in Projekten mit der Blockchain-Technologie. Weitere 40 Prozent evaluieren mögliche Anwendungen, sehen aber ebenfalls einen Nutzen für ihr Geschäft. Nicht einmal 10 Prozent kennen Blockchain nicht oder können keinen Business-Case für die Technik finden. Das sind Ergebnisse einer Studie, für die IBM Schweiz rund 70 Entscheider einheimischer Grosskonzerne befragt hat.
Im internationalen Vergleich sind die Schweizer Firmen dem Wettbewerb voraus, sagt Studienleiter Urs Karrer mit Blick auf eine globale IBM-Umfrage zu Blockchain. Hierzulande werden bei 28 Prozent die Technologie getestet. Weitere 25 Prozent wollen mit den neuen Anwendungen den Fortbestand ihres Geschäfts sicherstellen und 24 Prozent ihr Geschäftsmodell verändern. Die übrigen zusammengerechnet 23 Prozent nutzen die Technologie, um sich gegen einen potenziellen Wettbewerber zu wehren oder ihm sogar zuvorzukommen.
Plattform für hochsensible Daten
Der Blockchain-Mechanismus ist optimal geeignet für den sicheren Austausch von Daten. Diese Eigenschaft nutzt beispielsweise das Start-up Shivom. Das Unternehmen kombiniert Blockchain und KI mit einer weiteren aufregenden Technologie, der Genomik, um einen umfassenden Daten-Hub für Genom-Daten zu schaffen. Der KI-Anteil besteht in einer Reihe von Algorithmen, die von den Daten lernen, die dauerhaft in den Daten-Hub eingespielt werden. Auf der einen Seite können Pharmaunternehmen und Diagnostikfirmen diese Daten für Arzneimittelforschungen nutzen, auf der anderen Seite Konsumenten ihre eigenen Gesundheitsdaten, etwa von ihren Wearables oder medizinischen Geräten, in Echtzeit auf die Plattform laden. Dort werden ihre Daten dann mit den bereits vorhandenen Genom-Daten abgeglichen, um mögliche Erkrankungen aufzuspüren. Die Blockchain-Seite des Projekts ermöglicht die komplexe Verwaltung der Datenrechte und eine granulare Kontrolle der Zugriffe auf der Basis von Smart Contracts. «Die Blockchain-Technologie eignet sich ideal, um die meisten Sicherheitsaspekte abzudecken, darunter Patienteneinwilligung, unklare Datenhoheit, Datenintegrität oder Benutzerauthentifizierung», sagt Axel Schumacher, CEO und Mitgründer von Shivom. «Es ist sehr schwierig, vergleichbare Eigenschaften mit anderen Technologien zu erreichen.»
Training für KI-Algorithmen
Einen ähnlichen Ansatz, jedoch aus einer anderen Perspektive, verfolgt VIA Science, das Lösungen für Predictive Maintenance und den Betrieb von Anlagen vor allem im Energiesektor entwickelt. Das Unternehmen nutzt Blockchain für das Trainieren der KI-Algorithmen, damit sie in den Daten, die von Hunderten von Übertragungsmasten und -kabeln geliefert werden, Muster finden und analysieren.
In der Praxis ergibt sich die Notwendigkeit, diese Algorithmen mit einer sehr grossen Menge an Daten zu versorgen, denn: «Wenn sie nicht genug Daten haben, werden sie keine korrekten Vorhersagen machen können», sagt Colin Gounden, CEO von VIA Science. Diese Aufgabe könne sich im Einzelfall als ziemlich schwierig erweisen – entweder weil viele Unternehmen nicht genug Daten haben oder sie die Daten aus Sicherheitsgründen nicht teilen wollen.
Deshalb setzt VIA Science nun auf die Blockchain-Technologie, um die KI-Algorithmen von den Datenmassen, die an unterschiedlichen Orten gespeichert sind, lernen zu lassen, ohne dass diese Daten zwischen den Orten bewegt und zusammengeführt werden müssen. Dieser Ansatz erlaube es sogar konkurrierenden Unternehmen, mit ihren Geschäftsdaten zum Training der KI-Algorithmen beizutragen, sagt Gounden. «So stellen wir sicher, dass Datenintegrität und Datensicherheit sowie Vertraulichkeit in keiner Weise beeinträchtigt werden.»
Hilfe von der Community
Auch das Team des US-amerikanischen Start-ups Neureal nutzt Blockchain als Datenquelle für seine branchenübergreifende Plattform. Sie erhöht die Vorhersagegenauigkeit vorausschauender Analysen von Livedatenflüssen aus Sensoren, Wearables oder Smartphones. «Das Zusammenführen all dieser Daten und die permanente Verbesserung der Vorhersagegenauigkeit kann kein Mensch kontinuierlich leisten», sagt Chief Architect Wil Bown. Deshalb will Neureal die Kraft der Community, die über Blockchain aufgrund ihrer Beschaffenheit einfach zu erreichen ist, für die Datenanalyse und die daraus abgeleiteten Vorhersagen nutzen. Das Ergebnis ist eine verteilte KI-Architektur; das System von Neureal nutzt freie Rechenleistung der Community für die Analyse grosser Datenmengen. Dabei treten die Plattformteilnehmer in einen Wettbewerb um die genauesten Vorhersagen. Um die Gewinner zu belohnen, gibt das Start-up die eigene Kryptowährung «Neurons» heraus.
Die Blockchain spielt dabei laut Bown eine entscheidende Rolle als Koordinationsplattform zwischen den Akteuren. Zudem schafft sie dank ihrer Eigenschaften wie Transparenz und Unveränderlichkeit der Daten auch das Vertrauen in das System. «Das Resultat, für das ein Data Scientist Monate benötigt, wollen wir in wenigen Tagen zur Verfügung stellen, weil unsere Technologie einen direkten Zugang zu Livedaten ermöglicht.»
Transparenz gewährleisten
Sowohl KI als auch Blockchain liefern Ergebnisse und Daten, die vom Menschen kaum nachvollziehbar sind. Die Verbindung der beiden Techniken kann aber dazu beitragen, mehr Transparenz in die Prozesse zu bringen. KI kann beispielsweise die Informationen in einer Blockchain für den Menschen «übersetzen». Genau das macht das US-amerikanische Start-up Elementus mit einer Lösung für Interessenten, die in die Blockchain-Industrie investieren wollen. «Wie bei jeder anderen Art von Investition geht es hier um das Marktverständnis», sagt Mitgründer Max Galka, «um die Beobachtung der allgemeinen Trends, aber auch der Veränderungen im engeren Sinn. Dafür braucht man zuverlässige Datenquellen.» Dabei enthalte die Blockchain eigentlich bereits alle nötigen Informationen. «Sie ist eine beispiellose, genaue und zuverlässige Datenquelle», so Galka weiter. Doch die Art, wie die Informationen gespeichert seien, mache es nahezu unmöglich, sie überhaupt zu extrahieren, geschweige denn zu interpretieren.
Elementus arbeitet deshalb an einem Tool, das die Informationen über verschiedene Arten von Transaktionen und Operationen in den Blockchains mithilfe von Algorithmen der künstlichen Intelligenz in eine «normale» Sprache übersetzt. «KI agiert hier wie ein Expertensystem, das verschiedene Methoden verwendet, um die eigentliche Bedeutung dessen zu interpretieren, was in der Blockchain vor sich geht», sagt Galka. «Es gibt mehrere Möglichkeiten, das gleiche Ergebnis zu erzielen. Allerdings erlaubt es meines Wissens keine, um das systematisch zu machen.» Andersherum kann eine Blockchain dafür sorgen, dass die KI-basierten Entscheidungen transparenter werden. Eine der Herausforderungen bei künstlicher Intelligenz sei die mangelnde Erklärbarkeit dessen, wie genau bestimmte Ergebnisse entstanden sind, sagt Jessica Groopman, die als Industry Analyst beim Marktforscher Kaleido Insights tätig ist: «Auch wenn die Blockchain die Blackbox der KI-Modelle nicht entschlüsseln wird, kann sie wie ein Kassenbuch alle KI-abgeleiteten Entscheidungen sicher verwahren.»
Einsatz in verschiedenen Branchen
Diese Eigenschaft der Blockchain-Technologie nutzt das US-Unternehmen CognitiveScale unter anderem für seine vertikalen Lösungen in den Bereichen Medizinindustrie, Bankwesen, Handel, Versicherung und Kapitalmarkt. Der Einsatz künstlicher Intelligenz dient in diesen Branchen beispielsweise bei der Kundenverwaltung dazu, einen hohen Grad an Individualisierung zu erreichen oder das Fachwissen der Mitarbeiter zu skalieren, um mehr Kunden effizient unterstützen zu können. Die Blockchain ermöglicht dabei einen Audit Trail und die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen und schafft so Transparenz und Vertrauen in die Prozesse. «Auf dem gesamten Weg vom Dateneingang über die Informationen und die Erkenntnisse bis hin zu den eigentlichen Geschäftsergebnissen muss man nachverfolgen können, woher die Daten kommen und wer oder was den grössten Einfluss auf diese Prozesse hat», sagt Ganesh Padmanabhan, Vice President für Marktentwicklung bei CognitiveScale: «Eine Katze von einem Hund auf dem Bild zu unterscheiden, ist eine Sache, aber die Ablehnung eines medizinischen Anspruchs, die im schlimmsten Fall zum Tod des Patienten und zu einer Gerichtsklage führen kann, ist etwas ganz anderes.» Die Blockchain-Technologie ermögliche es, die Datenhoheit zu gewährleisten. Und sie stellt Padmanabhan zufolge auch sicher, dass die künstliche Intelligenz richtig läuft und genau das macht, was man von ihr will.
Effizienzmaschine
Eine besondere Rolle spielt die Zusammenführung von KI und Blockchain bei Smart Contracts. «Das maschinelle Lernen kann auf einzelne Teile der Blockchains angewandt werden, damit die gemeinsame Infrastruktur effizienter genutzt werden kann», sagt Kaleido-Analystin Groopman. Was das in der Praxis bedeutet, weiss das britische Unternehmen Green Running. Über seine Peer-to-Peer-Energie-Handelsplattform «Verv» verkaufen Kunden, die erneuerbare Energieträger und Batteriespeicher besitzen, überschüssigen Strom ohne Zwischenhändler an ihre Nachbarn. Der KI-basierte Heimenergie-Hub, der die Grundlage für die Verv-Handelsplattform bildet, sammelt dafür Daten über das Verbrauchsverhalten spezifiziert nach den einzelnen Geräten und erstellt anhand dieser Daten ein Nutzungsprofil pro Haus. Ausserdem berechnet das Gerät unter Berücksichtigung der aktuellen Wetterlage sowohl die Solarenergieversorgung als auch den Strombedarf voraus.
Blockchain und KI kommen dann bei der Festlegung der optimalen Gebotsstrategie zusammen. Auf Basis der Lastprofile der Nutzer, der Prognose über den zukünftigen Energieverbrauch in Verbindung mit der Vorhersage über die produzierte Energiemenge kann der Verv-Hub ermitteln, wie viel Energie beim nächsten Zeitfenster für Gebote geliefert werden soll. Anschliessend werden die optimalen Gebote in einem Smart Contract festgehalten und bei erfolgreicher Ausführung in eine Blockchain geschrieben. Auch die tatsächliche Stromlieferung wird durch die Kombination der beiden Technologien gesteuert.
«Dank der Blockchain-Technologie findet der Stromhandel auf einer inhärent sicheren Plattform statt, auf der alle Aufzeichnungen darüber, wer was besitzt, in einem dezentralisierten und verteilten Register festgehalten und laufend aktualisiert werden», freut sich Peter Davies, CEO und Gründer von Green Running. «Die KI-Algorithmen sorgen dabei dafür, dass die Nutzer immer den besten Preis bekommen.» So profitieren Anwender einerseits von höchster Sicherheit und andererseits von optimalen Preisen.
“Dank Blockchain findet der Stromhandel auf einer inhärent sicheren Plattform statt„
Peter Davies, Green Running
Marktplatz für KI
Das US-amerikanische Unternehmen SingularityNet nutzt die Blockchain-Technologie ebenfalls für Smart Contracts, allerdings nicht in erster Linie. Die Firma ist vor allem durch den Roboter «Sophia» einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden. Das eigentliche Ziel des Unternehmens ist jedoch nichts Geringeres, als einen dezentral organisierten globalen Marktplatz für künstliche Intelligenz zu schaffen. «Die Einführung und das Training von KI sind sehr kostenträchtig», sagt Business Strategy Lead Graham Leach. SingularityNet will das ändern und so die Kosten für die Implementierung von KI-Technologie erheblich senken.
Die Blockchain ist dabei fest in dem System von SingularityNet verankert. Zum einen wurde sie im Zusammenhang mit den Smart Contracts implementiert, damit die einzelnen KI-Instanzen untereinander beispielsweise Verträge aushandeln können. «Durch Blockchain wollen wir den Austausch KI-geleiteter Produkte und Dienstleistungen vereinfachen», sagt Leach. Zum anderen werden sämtliche Metadaten in der Blockchain gespeichert, sodass jede Handelsinteraktion zwischen allen beteiligten KI-Instanzen festgehalten wird.
Langfristig will SingularityNet viele verschiedene künstliche Intelligenzen schaffen, die sich über die Blockchain miteinander zu einer grossen gemeinsamen künstlichen Intelligenz verknüpfen lassen. «Blockchain ist essenziell für die Entwicklung unseres Ökosystems», sagt Leach. «Für uns ist es nicht nur einfach eine zusätzliche Technologieschicht. Wir haben unser Geschäftsmodell immer wieder umgebaut, bis es unmöglich wurde, die Blockchain-Komponente herauszunehmen und trotzdem noch ein funktionierendes System zu haben.» Nun stehe die Blockchain im Zentrum des Geschäfts von SingularityNet.
Viel Potenzial liegt brach
Die meisten Beispiele, in denen Blockchain und künstliche Intelligenz gemeinsam zum Einsatz kommen, zeigen, dass die Kombination momentan noch in einer Versuchsphase ist. Betrachtet man sich die Eigenschaften der beiden Technologien jedoch genauer, dann wird deutlich, dass gerade im Zusammenspiel noch grosses Potenzial steckt. «Der Vorteil von Blockchain für KI liegt in der Sicherheit und Prüfbarkeit», sagt Kaleido-Expertin Groopman. Shivoms Schumacher stimmt ihr zu: «Ein klarer Audit Trail wird die Vertrauenswürdigkeit und die Qualität von Daten verbessern.» Padmanabhan doppelt nach: «Aus meiner Sicht geht es bei etwa 90 Prozent aller KI-Blockchain-Projekte darum, die Blockchain als unveränderliche Datenstruktur zu verwenden.» Auf der anderen Seite können all die vielen Daten, die in den Blockchains abgespeichert sind, mithilfe von KI zergliedert und extrahiert werden, sagt Groopman. «Das macht sie wesentlich nützlicher und eröffnet für KI neue Einsatzmöglichkeiten», pflichtet Elementus’ Galka bei.
Insbesondere im Bereich der Smart Contracts innerhalb einer Blockchain hält Padmanabhan den Einsatz von KI für überaus sinnvoll: «Einen Smart Contract zu erstellen, ist relativ einfach. Wenn er allerdings je nach den Ereignissen in seiner Umgebung automatisch veränderbar sein soll, dann ist das ein klarer Fall für KI.» Den bei allen beteiligten Unternehmen, Wissenschaftlern und Experten spürbaren Optimismus hinsichtlich der Kombination bringt Analystin Groopman auf den Punkt: «Die Innovationen auf dem KI- und Blockchain-Markt lassen darauf schliessen, dass wir derzeit höchstwahrscheinlich nur an der Oberfläche der Anwendungsmöglichkeiten für diese beiden Technologien kratzen.»