Zürcher Schule trotzt Covid-19-Pandemie 19.03.2020, 10:36 Uhr

«Wir garantieren die Einhaltung des Stundenplans»

Covid-19 hat die Bildungseinrichtungen kalt erwischt. Man sucht nach Lösungen, um den Unterricht digital weiterzuführen. Die Privatschule Academic Gateway ist weiter und setzt den Frontalunterricht fort – einfach online. Wie, erklärt VR-Präsident Alexandre Touihri.
Alexandre Touihri, VR-Präsident, Academic Gateway.
(Quelle: Academic Gateway)
Wegen der Covid-19-Pandemie müssen Bildungseinrichtungen in der Schweiz landesweit während der nächsten Wochen geschlossen bleiben. Glück haben Schulen und Hochschulen, die bereits digitale Lernangebote aufgegleist haben. Oder wenn Kantone Hilfe bieten wie etwa Zürich. Hier hat man ein Wiki publiziert mit Ratschlägen für den Fernunterricht, inklusive Links zu Lehrmaterialien. Die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren bietet auf ihrer Website Infos und auf eduport.ch Ressourcen und Tipps, um den Unterricht digital fortzuführen.
Die aktuelle Situation zeigt aber auch deutlich, wie weit die heimischen Bildungsbetriebe von einem umfassenden digitalisierten Unterricht entfernt sind. Es gibt Ausnahmen: Einzelne Lehrer und Dozentinnen, die als digitale Enthusiasten moderne digitale Technik gezielt einsetzen. Hinzu kommen Pilotprojekte oder einzelne Digitalangebote. Am verbreitetsten ist aber noch immer die digitale Ablage, von der man sich Dokumente herunterladen kann. Regelmässiger Frontalunterricht online? Fehlanzeige.

Dem Virus ein Schnippchen geschlagen

Es gibt Ausnahmen. Ein Beispiel ist Academic Gateway. Die Zürcher Privatschule macht Lernende während eines Jahres fit für die Matura – auch in Zeiten von Covid-19 und Schulschliessungen. Und zeigt, dass Digitalisierung in der Schule kein Hexenwerk sein muss. Genutzt wird, was bereits am Markt vorhanden ist und einfach eingesetzt werden kann.
Frontalunterricht wird beispielsweise von Videokameras aufgezeichnet und den Lernenden eines Jahrgangs anschliessend zur Verfügung gestellt. In Podcasts werden Lerninhalte wiederholt und in virtuellen Konferenzen diskutiert. Zusätzlich stellt die Schule auch Produktivitäts-Software wie Office 365.
Die Lehrplattform wurde von den IT-Technikern der Schule in einem Digitalisierungsprojekt gemeinsam mit den Lehrerinnen und Lehrern erarbeitet und sollte ursprünglich im Frühsommer dieses Jahres lanciert werden. Rund 10000 Mannstunden habe man für das Projekt in die Schule inklusive Lösung investiert, erklärt Alexandre Touihri, Verwaltungsratspräsident von Academic Gateway.
Welche Vorteile die Lehrplattform bietet, erklärt Touihri im Interview.
Computerworld: Die meisten Schulen haben geschlossen. Ihre läuft weiter und wird zur Feuertaufe Ihrer neu entwickelten Online-Ausbildung. Wie ist der Start angelaufen? Gibt es schon erste Learnings?
Alexandre Touihri: Das System funktioniert. Zudem sind unsere Lehrer in unser E-Learning schon länger eingearbeitet und beherrschen den Umgang damit. Sie sind daran gewöhnt, Unterrichtsmaterialien grundsätzlich zu digitalisieren. Neu ist einfach nur, dass die Klassenzimmer leer sind. Der Unterricht findet vor einer Kamera statt und wird per Livestream zum Schüler übertragen. Sein Zuhause ist sein Klassenzimmer. Unsere Lösung ist sehr benutzerfreundlich. Anwenderseitig ist wenig technisches Wissen erforderlich. Das gilt für Lehrer und Schüler. Zusätzlich haben wir eine Hotline für alle Beteiligten zur Verfügung gestellt, die organisatorische und technische Hilfe anbietet. Es gibt verhältnismässig wenig Anfragen. Praktisch machen wir nach wie vor Frontalunterricht, aber online.
Zur Person
Alexander Touihri
ist Gründer und Verwaltungsratspräsident der «Auf der Mauer»-Gruppe und von Academic Gateway AG. Die Tätigkeitsschwerpunkte des Juristen sind Rechtsberatung, Unternehmensführung, Business Development und Strategieentwicklung.
CW: Was war der Auslöser für die Entwicklung Ihrer digitalen Lehr- und Lernplattform?
Touihri: Eines unserer Kernangebote ist die Erlangung der Matura in einem Jahr. Wir haben von Anfang an auf E-Learning gesetzt. Seit 2017 arbeiteten wir parallel dazu an der Lösung für ein virtuelles Klassenzimmer. Beim E-Learning werden nur Inhalte geteilt wie Skripte, Folien, Musterlösungen, Aufgabensammlungen etc. Darüber hinaus war uns immer wichtig, dass der direkte Kontakt zwischen Lehrern und Schülern auch online möglich ist. Eine weitere Überlegung war, unsere Schüler an den universitären Unterrichtsstil heranzuführen – Vorlesungen für gesamte Klassen in Verbindung mit der Unterrichtung von Kleingruppen. Früh war klar, dieser Kleingruppen-Unterricht muss online stattfinden. So begann alles. Academic Gateway wird schweizweit das erste Bildungsinstitut mit vollwertiger Online-Matura sein, der Launch dafür war eigentlich für Mitte 2020 geplant. Jetzt benutzen wir diese Lösung zunächst, damit unsere Schüler trotz Corona unterrichtet werden können, geschützt sind und weiterhin die Tagesstruktur haben, an die sie gewöhnt sind.
CW: Was umfasst das E-Learning-Angebot?
Touihri: Das digitale Lernangebot hat drei Bestandteile: erstens online quasi den Frontalunterricht per Livestream für alle. Zweitens wird jede Lektion einer Klasse aufgezeichnet. Ältere Lehrveranstaltungen sind für die Schüler derselben Klasse somit zu jedem Zeitpunkt wieder abrufbar. Hinzu kommen beispielsweise auch Podcasts oder Lernvideos zu verschiedenen Themen. Diese können via Stream abgerufen bzw. heruntergeladen werden. Damit können die Lernenden ihr Wissen zusätzlich vertiefen. Drittens ist alles, was für einen ordentlichen Unterricht gebraucht wird, online verfügbar: Semesterplan, Lehrmittel, Folien, Übungen, Musterlösungen, alte Prüfungen. Wir können Unterricht zu 100 Prozent online machen, ohne Einschränkung. Unser System ist tatsächlich ein «virtuelles Klassenzimmer».
CW: Sie nutzen vor allem Standardlösungen. Welche sind das und wie setzen Sie diese ein?
Touihri: Natürlich nutzen wir auf dem Markt verfügbare, getestete und standardisierte Tools. Wir sind eine Schule, keine IT-Firma. Unsere Innovation besteht darin, dass wir von Anfang an ein «virtuelles Klassenzimmer» wollten, daran gearbeitet und eine Lösung gefunden haben. Das hat Nerven, Zeit und Geld gekostet. Wir haben hier, als sehr junge Firma, über 10000 Mannstunden investiert. Analoge Prozesse gut online zu machen, das ist aus meiner Sicht ein wichtiger Teil digitaler Transformation. Und das ist uns gelungen. Wir benutzen Tools wie Moodle, Newrow, Kaltura sowie Office 365 und arbeiten zusammen mit Escola.
CW: Haben Sie alles selbst aufgebaut, oder welche Technologie- und Integrationspartner waren mit an Board?
Touihri: Wir haben alles selbst evaluiert, die Prozesse angeschaut bzw. angepasst und eigenhändig implementiert. Die Herausforderung lag nur bedingt auf der technischen Seite. Zentral war, unsere Lehrpersonen mit den Möglichkeiten bekannt zu machen und Vertrauen in digitale Strukturen zu vermitteln; insbesondere die älteren Kollegen zu schulen. Und auch hierbei ging es eigentlich gar nicht um die Anwendungen selbst. Die Benutzung ist einfach. Im Vordergrund stand die Frage, wie ein einheitlicher Auftritt trotz unterschiedlicher Unterrichtsstile gewährleistet wird. Von der Ablage bis hin zur onlinefähigen Aufbereitung des zu vermittelnden Stoffes.
CW: Wie haben Sie die Lehrkräfte sowie die Schülerinnen und Schüler in das Projekt involviert?
Touihri: Das war Aufwand. Das war der komplizierte Teil der Übung. Keiner Lehrperson hat es an Motivation gefehlt. Das war nicht das Problem. Aber jeder arbeitet anders. Hier haben wir angesetzt. Es gab Schulungen, Richtlinien und Vorlagen, es gab didaktische und technische Unterstützung. Uns war immer klar, dass wir die Menschen mit den Möglichkeiten vertraut machen müssen. Umgekehrt funktioniert das nicht. Bei den Schülern war und ist das etwas einfacher. Altersgemäss sind ihnen digitale Angebote vertrauter. Wenn die technischen Voraussetzungen passen, sind die Tools nicht das Problem. Herausfinden mussten wir, wie man das Nutzererlebnis optimiert: pädagogisch, didaktisch – und nur gelegentlich auch technisch.
CW: Auch andere Schulen und Hochschulen bieten E-Learning-Möglichkeiten an. Worin unterscheidet sich Ihr Ansatz? Welche Vorteile können Sie Ihren Schülerinnen und Schülern bieten?
Touihri: Meines Wissens bietet keine andere Grund-, Sekundar- oder Matura-Lehranstalt in der Schweiz aktuell einen vollwertigen Online-Unterricht an. 26 unserer Lehrkräfte unterrichten fast 160 Schüler. Das ist, entsprechend den geplanten Lektionen, quasi Fontalunterricht. Wir können die Einhaltung des Stundenplans garantieren. Der Unterricht wird so gemacht, als seien alle im Klassenzimmer. Es gibt zwei Unterschiede zum Unterricht in der Schule: Die Schüler sind physisch nicht da. Und wenn sie nicht wollen, loggen sie sich vielleicht nicht ein oder hören einfach nicht zu. Klar – das kann passieren. Wer aber lernen will, verliert keine Zeit und wird trotz Corona direkt und hervorragend unterrichtet. Generell setzt klassisches E-Learning, wie es Universitäten seit Jahren einsetzen, sehr viel Selbstdisziplin voraus. Denn der Student muss sich seinen Stoff überwiegend selbst aussuchen und downloaden. Academic Gateway macht klassischen Unterricht – einfach nur online.
CW: Wie kontrollieren Sie den Lernerfolg?
Touihri: Unsere Lehrpersonen kennen ihre Schüler, die Stärken und Schwächen. Wir arbeiten interaktiv. Alles wird berücksichtigt, mittels klassischer und digitaler Methoden verschiedenster Art. Ergebnisse, Prüfungen und Noten werden und sind dokumentiert, also immer nachvollziehbar. Aber ein wesentlicher Teil unserer Absolventen macht die Matura in einem Jahr. Etwa 95 Prozent der Schüler, die an allen Modulen teilnehmen, bestehen. Das ist Lernerfolg. Wir führen praktisch ein digitales Klassenbuch. Hier sind aber nicht nur Zensuren und ein paar Einträge drin, hier tracken wir sämtliche Lernaktivitäten, vom Lehrergespräch über Hausaufgaben bis hin zu Prüfungen.
CW: Wie unterstützen Sie Schülerinnen und Schüler, die mit dem Stoff nicht mitkommen?
Touihri: Von Anfang an gab es den Online-Kleinklassen-Unterricht. Maximal neun Schüler mit einer Lehrperson. Das gehört zu den Anfängen unserer Vision einer vollumfänglich online zu gestaltenden Matura. Damit haben wir gleichzeitig unsere pädagogischen, didaktischen und technischen Methoden getestet. Wiederholungs- und Vertiefungslektionen sind wichtig, beispielsweise auf Basis von Newrow oder Podcast.
CW: Die Schulen haben geschlossen. Viele erarbeiten jetzt Lösungen. Inwieweit wäre es möglich, Ihre Lehr- und Lernplattform anderen Schulen quasi Out-of-the-Box anzubieten?
Touihri: Die technische Lösung, nötige Tools und unsere Erfahrungen stehen zur Verfügung. Die weiteren Voraussetzungen sind einfach. Lehrpersonen haben ihr Unterrichtsmaterial digital zur Verfügung, mindestens für die Lektionen der nächsten drei Wochen. Es müssen einige Schulungen stattfinden, das geht online. Ich denke, dass etwa 10 bis 14 Tage dafür reichen. Dann braucht es auf beiden Seiten – Lehrpersonen und Schüler – eine funktionierende Internetverbindung, einen Rechner mit Kamera sowie Mikrofon und ein paar Software-Installationen. Das war es dann auch schon. Wenn man weiss, wie es geht, ist alles ganz einfach.
Zur Firma
Academic Gateway
Die Academic Gateway AG ist eine Privatschule in Zürich und ein Unternehmen der «Auf der Mauer»-Gruppe. Sie bietet Matura, Passerelle, Gymivorbereitung sowie Sprachkurse und Diplomprüfungen an. Seit diesem Jahr bietet Academic Gateway AG nach eigenen Angaben als schweizweit erstes Bildungsinstitut eine vollwertige Online-Matura ein.



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