12.04.2006, 15:56 Uhr

Auf der Suche nach Web 2.0

Web 2.0 will Interaktion. Es sieht das Internet als Anwendungsplattform, die auf einem Flickwerk von kollaborativen Diensten basiert.
Web 2.0 ist in vieler Munde - noch aber nicht in aller. Denn es sind vorwiegend Netizen, die dem Begriff Laut verschaffen, und dies schwergewichtig im Web. Dort ist die Resonanz von Web 2.0 allerdings gross, und sie wächst, obschon - wie so oft beim inflationären Gebrauch von Bezeichnungen - die Bedeutung zunehmend verschleiert wird. Auch die Kurzfassung der Definition des Begriffs nach Wikipedia schafft hier keine Abhilfe: «Web 2.0 beschreibt eine veränderte Wahrnehmung und Nutzung des Internets.» Noch kürzer wäre, zu sagen, es handle sich um das künftige Internet. Doch das ist streng genommen falsch, denn Web 2.0 existiert nicht, ist kein Standard und keine Technik. Vielmehr werden bestimmte Entwicklungen beschrieben. Kritiker bemängeln zu Recht, dass der Begriff unscharf ist und nahezu beliebig verwendet werden kann. Ursprünglich wurde «Web 2.0» vom IT-Verleger Tim O"Reilly geprägt, und zwar als Marketingname für seine gleichnamige Konferenz zur Zukunft des Internets im Oktober 2004 in San Francisco. Prompt wurde O"Reilly aufgefordert, den schwammigen Begriff für die Folgeveranstaltung zu konkretisieren. Gelungen ist ihm das freilich nicht. Seine Idee, dass sich das Internet in einem «Übergangszustand zu einer neuen Ära» befindet, untermauert er stattdessen mit zahlreichen Webseiten, die tatsächlich eine Entwicklung hin zu einem Plattform-basierten Web, zu kollaborativen Diensten und zu ressourcenschonenden Geschäftsmodellen verheissen (siehe Tabelle). Demnach ist die pionierhafte Online-Werbe-Verkaufsplattform Doubleclick eine typische Vertreterin des ursprünglichen Web (Web 1.0), während Googles Adsense Netzwerk das Attribut 2.0 erhält. Entsprechend zählt die statische Foto-Hosting-Seite Ofoto zum alten Web, die interaktive Hosting- und Community-Seite Flickr jedoch verkörpert die Web-Zukunft. Den Beispielen ist gemeinsam, dass sie die Applikationen vom PC ins Internet verlagern, dass die Grenze zwischen Daten und Algorithmen verblasst, so dass das Internet selbst zur Anwendung wird. Ein weiteres Charakteristikum betrifft die soziale Komponente: Social Bookmarking, Social Web oder Social Software erlauben die Vernetzung von Inhalten und Menschen. Beispiele hierfür sind Wikis, Bildersharing-Angebote wie Flickr oder die Social-Bookmarking-Plattform del.icio.us. Die Tauschbörsen-Pionierin Bittorrent steht beispielhaft für die Dezentralisierung: Jeder Client ist zugleich auch Server. Die Konsequenz ist, dass eine Datei umso schneller erhältlich ist, je populärer sie ist. Nach Ansicht von O"Reilly verkörpert Bittorrent darum ein Schlüsselprinzip von Web 2.0: Der Dienst wird besser, je mehr Leute ihn nutzen. Während Akamai Server aufstocken musste, um die Performance zu steigern, bringt jeder Bittorrent-User seine eigenen Ressourcen ins Spiel. Web-2.0-Verfechter nennen dies die Architektur der Partizipation, die auf einer «Ethik der Kooperation» beruht. Auch aus technischer Sicht lässt sich der Begriff Web 2.0 nicht klar Abgrenzen. Exemplarisch wird darauf hingewiesen, dass Anwendungen, die dem Attribut gerecht werden, oft Web Services, Ajax oder Abonnement-Dienste wie RSS verwenden. Web 2.0 ist also Alles und Nichts: Alles, weil es jedwelchen Trend im Netz bezeichnet, und Nichts, weil es Web 2.0 als Technik nie geben wird.
Michael Keller



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