13.10.2015, 09:28 Uhr

Das iPhone 6s (Plus) im ausführlichen Test

Ist alles, was anders ist, besser? Nach unserem ersten Hands-On vor dem Launch ist es an der Zeit, dem iPhone 6s eine definitive Note zu geben.
Apple stellte mir anlässlich des vorrangigen Presse-Briefings zum iPhone 6s die rhetorische Frage, ob ich mich noch erinnere, was denn eigentlich die Innovation des ersten iPhones war. Die Antwort lautete «Multi-Touch». Tatsächlich: Obwohl ich bis heute noch nicht der Versuchung verfallen bin, ein iPhone zu kaufen, war ich damals vom ersten iPhone meines Bruders ziemlich beeindruckt. Für mich steht noch heute fest: Apple hat mit der Art, wie wir Smartphones bedienen, Vorzeigearbeit geleistet und womöglich eine ganze Industrie beeinflusst: Erstmals vermochte ein kleiner Bildschirm selbst kleinste Navigationselemente während des Surfens mit einem Browser sehr akkurat zu registrieren. «3D Touch» - so nennt es Apple - soll nun also das ganze Bedienkonzept noch einmal um eine Innovationsstufe anheben. Was steckt dahinter? Apple verbaut den neuen iPhones eine ähnliche Technik, wie sie schon der Apple Watch einverleibt wurde. 
Drückt man nun auf das Display, registrieren kapazitive Sensoren feinste mikroskopische Druckbewegungen zwischen der Glasabdeckung und dem Flüssigkristallbildschirm. 96 Sensoren insgesamt erfassen den Druck unter dem Display. Die Quintessenz davon ist ein neues Bedienkonzept analog zum klassischen Maus-Rechtsklick. Praktisch: Ein starker Druck auf System-Apps wie Mail, Maps und Safari bringt Abkürzungen zu Basisfunktionen der Apps hervor, ohne die App jedes Mal öffnen zu müssen.  
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Peek and Pop

Nützlich, wenn auch noch nicht in vielen Apps gesehen, ist «Peek and Pop»: Drückt man im Posteingang fester auf eine Mail, öffnet sich sich die Nachricht als Vorschau. Apple nennt das «Peek». Ein darauf folgender stärkerer Druck - ein «Pop» - öffnet schliesslich die Mail. Schiebt man während des Peeks eine Mail nach oben, kann die Mail weitergeleitet werden. Ein Wisch nach rechts markiert die Nachricht als gelesen, ein Wisch nach links dient zum Archivieren. Der Peek funktioniert übrigens auch innerhalb der Kamera-App, in der Karten-App oder in Instagram. Ein sanftes Vibrieren bestätigt dem Nutzer die Interaktion.

Noch wenige Apps mit 3D Touch

Dass 3D Touch mehr als ein nettes Technik-Spielzeug ist, wusste jüngst sogar die Stiftung Warentest zu huldigen. Nach den deutschen Konsumentenschützern, die sonst nicht immer mit süssen Lobeshymnen über Apple herziehen, soll 3D Touch die bis dato «spannendste Innovation» aus dem Hause Apple sein. Tatsächlich ist 3D Touch sehr intuitiv und nach längerer Benutzung kaum noch wegzudenken. Die Apps, die es unterstützen, kann man allerdings bislang an einer Hand abzählen. Gerade häufig genutzte Apps wie WhatsApp, Feedly, Chromecast oder Apple-Apps wie Garageband lassen noch auf sich warten. Somit ist das App-Angebot mit 3D Touch abhängig von den Entwicklern. Zumindest macht Apple noch keine genauen Angaben darüber, welche Apps schon darauf ausgelegt sind. 
Hält man sich jedoch vor Augen, wie bequem und vielseitig schon nur die Mail-App durch 3D Touch geworden ist, werden eifrige Programmierer nicht lange zögern. Erstens wurde die API erst freigegegen. Zweitens mussten viele nicht hauptberufliche App-Entwickler im Fall von 3D Touch wohl erst selber an ein Testgerät herankommen. Denn nur mit dem iOS-Simulator von Xcode lässt sich die finale App-Usability nur unzureichend im Voraus testen. Laut Apple sind es bislang vor allem folgende Apps, die 3D Touch schon haben oder demnächst mit neuen Funktionen angereichert werden:
  • Instagram (3D Touch) - Live now
  • Pinterest (3D Touch)
  • Sky Guide (3D Touch)
  • Dropbox (3D Touch)
  • Facebook (3D Touch, Live Photos)
  • Getty Images (Live Photos)
  • PixelToys (3D Touch)
  • ZORG (3D Touch)
  • WeChat (3D Touch)
  • Weibo (3D Touch, Live Photos)
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Ist das iPhone 6s Plus zu schwer?

Hält man Apples neuste Siliziumscheibe zum ersten Mal in den Händen, spürt man es schon: Das Telefon ist minim dicker als zuvor und ein wenig schwerer. Das soll aber nicht primär am neuen Aluminium 7000 liegen, sondern viel mehr an der neuen Taptic Engine. Der Zuwachs liegt bei rund 0,2 Millimetern. Das seitliche Wachstum fällt mit 0,2 Millimetern ebenso unmerklich kompakter aus. Seit unserem ersten Hands-On-Test hat sich nichts an unserer Überzeugung geändert: Die Gewichtszunahme von 20 Gramm und die minim dickeren Gehäuse stören nicht, auch nicht beim grossen Modell, dem iPhone 6s Plus. Wie immer kann man sich fragen, ab welcher Handy-Grösse Bedienbarkeit leiden. Manche von uns auf der Redaktion empfinden 5 Zoll als oberstes Mittelmass. «Alles, was grösser ist, kommt mir nicht in die Finger», meinten ein paar Computerworld-Redaktoren. Man kann es auch so sehen: Wer oft unterwegs ist, viel surft und sich ein Tablet spart, mag auch an einem Phablet mit 5,5 Zoll (13,97 cm) Gefallen finden. Mit 4,7 Zoll (11,9 cm) hält man mit dem kleinen iPhone 6s ein Smartphone von guter Grösse in den Händen, das durch das stärkere Aluminium sogar noch kompakter, wenn nicht sogar edler, wirkt.

Bildschirm des iPhone 6s

Mit Auflösungen von 1920 x 1080 beim iPhone 6s Plus bzw. 1334 x 750 Pixel beim iPhone 6s bricht Apple zwar nach wie vor keinen Pixelrekord: Die Farben der Bildschirme sind aber sehr genau. Besonders Schwarz- und Weisswerte sind sehr ausbalanciert. 
Nicht nur die maximale Helligkeit überzeugt, sondern vor allem die geniale Blickwinkelstabilität: Wer einmal seitlich über den Bildschirmrand guckt und sich einen hochauflösenden Filmclip zu Gemüte führt, wird dem beipflichten. Aufgrund der speziellen Pixelanordnungen der Retina-HD-Displays wird das Betrachten von 4K-Inhalten zu einem besonderen Genuss: Als tauche man in einzelnen Ebenen des hochauflösenden Videos ein. Kurz: Das Display des iPhone 6s darf sich mit den Bildschirmen eines Galaxy S6 oder LG G4 auf Augenhöhe messen. Nächste Seite: Fazit zur neuen iPhone-6s-Kamera

Verbesserte Kamera

Apple hat in beiden Hauptkameras den Sensor von 8 auf 12 Megapixel angehoben. Leider verpasst Apple wieder nur dem grossen iPhone 6s Plus einen optischen Bildstabilisator. Im ersten Test konnten wir zunächst keine erkennbaren Unterschiede zur Vorgeneration ausmachen. Da wir zum Testzeitpunkt nur das iPhone 6s Plus zur Verfügung hatten, haben wir uns dennoch auf eine Reise begeben und in der Photoshop-Nachbearbeitung genauer mit den Schnappschüssen des Vorgängermodells verglichen. Beim Betrachten der Originalaufnahmen dieser Bäume auf einem 4K-Monitor hatten wir den Eindruck, als schiesse die neue Kamera minim schärfere Bilder. Kein Wunder auch: Die neuen Fotos lösen mit 4032 x 3024 Pixeln auf, die normalen Bilder des Vorgängers mit 3624 x 2448 Pixeln. 
Während bei Distanzaufnahmen in der Nachbearbeitung leichte Unterschiede bei Schattierungen und Konturen auffallen (das iPhone 6s Plus ist hier etwas schärfer als der Vorgänger), machen sich in der Grundschärfe aus nächster Nähe kaum Unterschiede bemerkbar.
Bei Tele-Aufnahmen trumpft das iPhone 6s Plus mit schärferen Konturen weit entfernter Objekte. Das sieht man aber nur in der umkomprimierten Originalaufnahme.

Fazit zur iPhone-6s-Kamera

Im Vergleich zur Konkurrenz mit Sony und Samsung ist Apple zwar eher spät dran mit einer 12-Megapixel-Kamera. Apple hat dagegen verschiedene Komponenten stets auf Trab gehalten, wodurch die Kamera trotz der geringen Megapixel-Zahl mit der Konkurrenz auf Augenhöhe war. So hat das Unternehmen aus Cupertino nach eigenen Aussagen den Bildprozessor im neuen A9-Chip verbessert. Fotos werden jedenfalls gestochen scharf geschossen und die Kamera fokussiert auf Anhieb blitzschnell. Die Bilder des iPhone 6s sind ganz allgemein noch einen Tupf klarer und wirken farblich akkurater. Das alles hat aber auch seinen Preis: Wie wir feststellen, belegen die Fotos bis zu 50 Prozent mehr Speicher. Selbiges lässt sich auch von dem neuen 4K-Modus sagen: ein Feature, das viele Android-Handys schon länger offerieren. Ein 60-sekündiger Clip kann schnell um die 400 MB Speicher beanspruchen.  Wir finden: Die Kamera des iPhone 6s ist etwas vom Besten, was es derzeit überhaupt gibt. Überboten werden kann sie höchstens vom Galaxy S6 oder vom Sony Xperia Z5, das derzeit nach DxOMark die beste Handy-Kamera haben soll.  Nächste Seite: verbesserter Selfie-Blitz

Verbesserter Selfie-Blitz

Das Beste an an der neuen Frontkamera ist der «Retina Flash»: Das Front-Display wird dabei für einen kurzen Moment zu einem Blitz. Das Display wird in dieser kurzen Sekunde etwa drei Mal so hell, wie es die maximale Helligkeitsstufe des Bildschirms erlaubt. Party-Selfies gelingen damit wirklich in der dunkelsten Disco-Ecke. Hier im Video ein Demo von AppleInsider:

Live Photos

Darüber hinaus wurde noch ein «GIF-Modus» eingeführt. Apple nennt das marketing-technisch «Live Photos». Über einen weiteren Auslöseknopf in der Kamera-App werden dabei ein paar Bilder vor und nach der Hauptaufnahme eingefangen. Drückt man danach beim Durchblättern der Fotos ins Bild hinein, werden für ein paar Frames lebhafte Erinnerungen wach. Alles in allem ist das aber eher eine nette Spielerei.  

Leistung

Der neue A9-Prozessor soll laut Apple eine Beschleunigung von bis zu 70 Prozent mit sich bringen. Ob dem wirklich so ist? Auf jeden Fall befördern die neue CPU und die 2 GB Arbeitsspeicher das neue Apfeltelefon in die zweitbeste Platzierung der leistungsfähigsten Smartphones. Im AnTuTu-Benchmark kommt das iPhone 6s Plus auf 59'159 Punkte und liegt nach diesem Benchmark nur einen Platz hinter dem Galaxy S6 Edge mit 70'029 Punkten. Im Geekbench-3-Durchlauf zeichnet sich eine deutliche Beschleunigung der Single- und Multicore-Leistung ab: Das neue iPhone 6s Plus überbietet das alte iPhone 6 Plus um gut 1500 Punkte in der Multi-Core-Leistung. Übrigens: Auch Touch ID reagiert nun einiges schneller auf die Entsperrung. 
Randnotiz: Das iPhone 6s und und das iPhone 6s Plus sind mit einem neuen LTE-Modul von Qualcomm bestückt, das bei der LTE-Nutzung schnellere Download- und Upload-Raten ermöglicht (bis zu 300 Mbit/s statt 150 Mbit/s im Download).

Akkulaufzeit

Für Aufregung sorgte dieser Tage ein «Chipgate» von Apple: Einige Tester haben festgestellt, dass es aufgrund zweier unterschiedlicher Chip-Hersteller zu Abweichungen in den Akkulaufzeiten kommt. Dies dürfte mitunter ein Grund sein, weswegen wir entgegen anderer Berichte bislang keine Abweichungen zum Akku des Vormodells feststellen konnten. Hintergrund: Den A9-Chip im iPhone 6s und iPhone 6s Plus lässt sich Apple von zwei Herstellern fertigen - von Samsung und TSMC. Apple hat inzwischen darauf Stellung bezogen, entgegnet aber, dass besagte Volllast-Tests der Reviewer keineswegs repräsentativ sind. Aus Cupertino heisst es, diese Chipset-Unterschiede würden nach eigenen Testläufen höchstens zwei oder drei Prozent ausmachen. Abschliessend können wir uns nur wiederholen: Der Akku war noch nie eine Stärke des Apple-Handys. Im Geekbench-Test und nach unserem eigenen Script sind es mindestens acht Stunden beim Dauersurfen. Während Smartphones der Xperia-Serie von Sony mittlerweile mit Akkulaufzeiten von über 12 Stunden überraschen, macht es das schlank gehaltene iOS-9-Betriebssystem wieder wett. Man kommt als Durchschnittsanwender gut anderthalb Tage über die Runden, ohne das iPhone 6s einmal laden zu müssen. Es hat sich also nach unserer Feststellung bezüglich Akkuleistung zumindest nichts verschlechtert. 

Fazit 

Das iPhone 6s ist mehr als ein Hardware-Upgrade. 3D Touch ist faszinierend, auch wenn die Technik dahinter nicht ganz neu ist. So wie es Apple jedoch in den ersten Apps vorzeigt, eröffnet sich bereits ein breites Spektrum an neuen, intuitiven App-Bedienungsmöglichkeiten. Das App-Angebot bleibt indes abhängig von den Entwicklern. Einmal mehr schafft es damit ein iPhone in die Topliga der Spitzen-Smartphones. Für Besitzer des Vormodells lohnt sich allerdings das Upgrade (noch) nicht. Hinweis: Bei der Modellwahl sollte man gut darauf achten, für welche Speicherausführung man sich entscheidet. Wir empfehlen das 64-GB-Modell.