07.03.2011, 06:00 Uhr

Outsourcing-Strategien

Nearshoring, Offshoring, Business Process Outsourcing: Es gibt viele Wege, IT-Services auszulagern. Alle haben Vor- und Nachteile. Es kommt daher auf die richtige Orchestrierung und den richtigen Partner an.
Der Autor ist Inhaber der OEC Oertli Consulting in Uitikon. Er berät indische IT-Firmen und Schweizer Industrieunternehmen u.a. im Bereich IT-Outsourcing/Offshoring Anfangs ging es gar nicht um die Kosten: Als Schweizer Unternehmen vor rund 50 Jahren damit begonnen haben, auf IT-Talente aus Asien zurückzugreifen, war die Hauptmotivation weniger das tiefere Lohnniveau als vielmehr die Verfügbarkeit von theoretischer und praktischer Expertise. In dieser ersten Phase wurden die IT-Experten aus dem Ausland noch direkt vom Unternehmen temporär oder permanent angestellt, man sprach von «Body Shopping». Später lagerten die Auftraggeber auch komplette IT-Projekte aus, die aus Kapazitäts- oder Know-how-Gründen intern nicht bewältigt werden konnten; zunächst an externe Firmen im Inland oder benachbarten Ausland, dann auch nach Übersee. Im Laufe der Zeit entstanden so längerfristige Geschäftsbeziehungen mit fest definierten, regelmässigen Outsourcing-Aufträgen.
Um neben der Kapazität und dem Know-how auch von den Kostenvorteilen in Übersee zu profitieren, wurden «offshore»-eigene IT-Teams aufgebaut, zunächst vorwiegend in Indien. In sogenannten Offshore Development Centern (ODC) installierte man innerhalb grosser indischer IT-Firmen feste Teams, die bei den Schweizer Unternehmen angestellt waren. Die Kapazität dieser ODC-Teams stand komplett im Dienst der Schweizer Unternehmen. Waren diese nicht ganz ausgelastet, wurde deren Arbeitskraft gegen Verrechnung den indischen Gastgeber-IT-Firmen zur Verfügung gestellt. Bei grösseren Konzernen, die IT-Divisionen innerhalb von Tochterfirmen in Asien unterhielten, sprach man von internem oder Captive Offshoring. Aufgrund positiver Erfahrungen begannen viele Unternehmen allmählich auch mit der Auslagerung vollständiger Geschäftsprozesse (Business Process Outsourcing, BPO) wie Buchhaltung, Ticketauswertung, Telemarketing und Back-Office-Administration.

Chancen und Risiken abwägen

Heute ist eine der wichtigsten Entscheidungen in IT-intensiven Firmen, welche IT-Aktivitäten auf keinen Fall ausgelagert werden dürfen. Dazu gehören alle strategisch wichtigen und Know-how-relevanten Unternehmensinformationen. Wie jüngste Beispiele zeigen, sind selbst bei Banken geheime Kundendaten vor internem Datenklau nicht sicher. Andererseits können auch in Übersee Know-how-relevante Kunden­informationen sicher verarbeitet werden. Denn der Schwachpunkt der Informationssicherheit ist selten die Technik, sondern meist der Mensch. Vertrauliche Daten sind in Offshore Development Centern im Prinzip genauso sicher aufgehoben wie bei internen IT-Abteilungen. Denn ein professionell organisiertes Risk und Security Management ist in jedem Fall vonnöten. Es gibt deshalb bereits Firmen, die auch vertrauliche Geschäftsprozesse wie F&E und Kern-Know-how auslagern, falls dies gesetzlich zulässig ist – ein kritischer Punkt vor allem bei Banken.

Reibungsverluste einkalkulieren

Meist werden für unterschiedliche IT-Funktionen (Software-Entwicklung, Unterhalt, Migration, Anwendungsberatung etc.) unterschiedliche IT-Lieferanten beauftragt, die in der Regel wenig voneinander wissen. Die Orchestrierung und Koordination der verschiedenen Sourcing-Modelle obliegt dem hausinternen IT-Kernteam. Es versteht sich von selbst, dass dabei Schnittstellenprobleme und Reibungsverluste auftreten können, welche die Gesamteffizienz reduzieren. Selbst beim Einsatz von höchst anspruchsvollen Qualitätsmanagementsystemen (z.B. SEI CMMI Level 5 mit «black belts») ist nicht sichergestellt, dass die Qualität aus Kundensicht und die Termine immer eingehalten werden. Bei allen grossen Erfolgen von Offshoring-Projekten ist deshalb eine gewisse Ernüchterung festzustellen. Die Frage lautet: Gibt es andere oder zusätzliche Offshoring-Strukturen, die noch besser sind?

Neue Strukturen nutzen

Die IT-Organisationen weisen inzwischen immer vielfältigere und komplexere Strukturen auf. Nearshoring-Firmen haben Offshore-Partnerfirmen in Asien, grosse indische Offshoring- Firmen gehen andererseits dazu über, eigene Tochterfirmen in typischen Nearshoring-Länder wie Osteuropa zu gründen. Sie wollen so die entsprechenden Vorteile der Kunden- und Kulturnähe nutzen. Die Vielfalt der externen Vernetzungsvarianten über mehrere Kaskaden ist enorm. Dadurch entsteht wieder ein Bedarf nach einfachen Strukturen und Abläufen. Dies alles wohlgemerkt zu tieferen Kosten, kürzeren Durchlaufzeiten, mit höchster Produkt- und Servicequalität, vollständiger Dokumentation und – last but not least – unter präziser Einhaltung der Termine. In Indien hat sich nun eine neue Generation von IT-Dienstleistern gebildet, die frischen Wind in gewachsene IT-Abläufe bringen. Es sind IT-KMU, in der Grösse vergleichbar mit lokalen schweizerischen IT-Dienstleistern. Diese verfügen nicht über die 10000 bis 150000 Experten, die bei den Top Ten der IT-Konzerne aus Indien üblich sind. Sie punkten stattdessen mit hoher technischer IT-Kompetenz, aber auch ebenso hoher Teambildungskompetenz, Motivationskraft, Agilität und Flexibilität. Ihr Leitmotiv ist «High Technology, Low Profile» – eigentlich typische Schweizer Tugenden. Die Teams arbeiten eng mit den internen Schweizer Kernteams zusammen. Ihre organisatorische Orchestrierung umfasst die agile Teambildung in der richtigen Grösse, das Coaching der Teammitglieder und die An­wendung verschiedener Prozesse und agiler Methoden (Scrum). Von Fall zu Fall optimieren sie bedarfsgerecht die Qualitätsstandards von einfachen ISO-9000-Standards bis zu
SEI-CMMI-Normen verschiedener Levels, aber nur falls dies erforderlich ist. Sie verschwenden keine Zeit mit zu vielen administrativen und bürokratischen Formalitäten, setzen jedoch sehr viel Zeit ein, mit den Endbenutzern und lokalen IT-Partnern die echten Benutzerwünsche vertieft abzuklären und festzuhalten. Da sie als IT-KMU nicht für alle Bereiche grosse IT-Teams in Indien
zur Verfügung haben, arbeiten sie eng mit Schweizer Domain- oder IT-Experten zusammen, mit denen sie wiederum in agilen Teams die Kunden unterstützen. Dies hat auch den Vorteil, dass der lokale Sprachanteil hilft, etwaige Missverständnisse zu vermeiden. Eine gute Balance von lokalem und globalem Know-how ist optimal und hat sich in vielen Projekten bewährt. Die CEOs dieser KMU sind in der Regel die engagierten Eigentümer der IT-Firmen, welche die Verantwortung voll übernehmen und gute Beziehungen mit ihren Schweizer Kunden pflegen. Ein erfolgreicher CEO, dessen KMU bereits einen Durchbruch in der Schweiz erzielt hat, besucht jedes Quartal all seine Schweizer Kunden. Es sind dies nicht nur KMU, sondern auch grössere Industriebetriebe, einige Grossbanken und Swisscom. Es ist abzusehen, dass das neue IT-Geschäftsmodell mit komplementären und agilen Strukturen, dank besserer organisato­rischer Orchestrierung, einen weiteren grossen Schub in Richtung ausbalancierter IT-Leistungssteigerung auslösen wird.



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