Einführung von künstlicher Intelligenz 15.06.2022, 05:39 Uhr

KI ist viel mehr als nur Nebeneffekt

Die Framework-Autoren Afke Schouten und Peter Metzinger zeigen in einer Forschungsarbeit auf, mit welchem Framework künstliche Intelligenz erfolgreich in Unternehmen eingeführt werden kann.
Die Einführung von KI im Unternehmen funktioniert nur, wenn die Mitarbeitenden den Mehrwert sehen
(Quelle: Shutterstock/Andrey Suslov)
Künstliche Intelligenz (KI) bedeutet für viele Unternehmen enorme Chancen. Und doch tun sich viele Firmen schwer damit, aus der Anwendung von KI wirtschaftlichen Nutzen zu ziehen. Laut den Analysten von Gartner lieferten zwischen 2018 und 2022 schätzungsweise 85 Prozent der KI-Projekte fehlerhafte Ergebnisse aufgrund von Verzerrungen in den Datensätzen, in den Algorithmen oder wegen Voreingenommenheiten in den Teams, die all das zu managen hatten. Entsprechend gering scheinen die Vorteile von KI in der Realität zu sein.
Doch vielleicht liegt die Ursache für diese Misere gar nicht an der Technologie? Die Geschichte von Forschung und Entwicklung zeigt, dass sich scheinbar unmöglich zu behebende Probleme manchmal ganz einfach lösen lassen, indem man etwa die zugrunde liegende Frage umformuliert. Oder aber auch falsche Ziele neu definiert. Umfasst also die Einführung von KI vielleicht mehr als «lediglich» die Einführung einer neuen Technologie? Und werden eventuell einfach nur andere, nicht technische, aber überaus wichtige Faktoren vernachlässigt?
Afke Schouten und Peter Metzinger sind diesen Fragen im Rahmen einer Forschungsarbeit an der HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich über das Management der Einführung von KI nachgegangen. Ihrer Arbeit liegen zwei Dinge zugrunde. Zum einen ein Rahmenwerk, das auf einem von Metzinger Ende 2018 entwickelten Modell für die Einführung disruptiver Veränderungen, wie etwa von KI, in Unternehmen beruht. Dieses Konzept mit dem Namen «The Science of Change Triangles» fasst Metzingers Erfahrung aus fast 40 Jahren Praxis zusammen und beruht auf seinem Modell «Business Campaigning Framework», das er schon 1998 auf der Basis seiner Erfahrungen in der Kampagnenarbeit entwickelte. Seitdem wird dieses Modell bei der Planung, Umsetzung und Auswertung von Kampagnen und Veränderungsprozessen eingesetzt.

Die Vier «Dreiecke des Wandels»

Die «Dreiecke des Wandels» mit den ­zugeordneten ­Erfolgsfaktoren
Quelle: Computerworld
In dem unlängst neu erarbeiteten Rahmenwerk stehen vier «Dreiecke des Wandels» für «Anreize» (Erfolg, Emo­tionen, Leichtigkeit), «Organisation» (Kultur, Prozess, Technologie), «Menschen» (Verhalten, Verständnis, Einstellung) und «Interventionen × Kommunikation». Letzteres ist eine Möglichkeit, das Campaigning – das Bewirken von Veränderungen – im Sinne Metzingers zu definieren. Diese Definition besagt, dass strategisch geplante Veränderungsprozesse aus dem Zusammenspiel von Kommunikation und Interventionen entstehen.
Die aktuelle Forschungsarbeit befasste sich mit der Frage, ob dieses Modell – das Destillat – genug allgemeingültige und umfassende Anleitungen anbietet, um für beliebige Projekte der KI-Einführung die Erfolgschancen zu erhöhen. Dazu diente die zweite Grundlage, eine von Afke Schouten durchgeführte Literaturrecherche zu den Erfolgsfaktoren von Veränderungsprojekten in Unternehmen, speziell bei Veränderungen der Unternehmens­kultur oder bei der Einführung neuer Technologien.
Die Arbeitshypothese lautete, dass das neue Framework einen vollständigen Überblick über alle für solche Veränderungsprozesse relevanten Punkte enthalten sollte. Damit wäre es bei der Einführung von KI eine Art Pendant zum Schweizer Taschenmesser. Die Absicht war, ein einfach zu nutzendes, schlankes Modell zu entwickeln, das dennoch alles enthält, was das mittlere Management, Change Manager oder die oberste Führungsebene brauchen.

Ein Beispiel aus der Praxis

Das Ergebnis der Forschungsarbeit bestätigte die Hypothese. Das neue Rahmenwerk lässt sich am besten anhand eines Beispiels erklären: Betrachten wir den angenommenen Fall, dass eine Firma beschliesst, eine KI-basierte Business-Software namens «E-Mail-Router» einzusetzen. Diese schlägt vor, wie eine Kundenanfrage an einen Mitarbeiter weitergeleitet werden kann. Sie liefert Informationen über das Thema, die Wichtigkeit des Kunden und das vorgeschlagene Team, an das die Frage gerichtet werden sollte. Die Implementierung dieser neuen Technologie bedingt, dass ein Feld in die CRM-Anwendung eingebettet wird, die von der ersten Support-Linie verwendet wird, die eingehende Kundenanfragen bearbeitet.
Die Framework-Co-Autorin Afke Schouten ist Gründerin von AI Bridge und Stu­dienleiterin des CAS AI Management und AI Operations an der HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich
Quelle: HWZ
In diesem Beispiel besteht die gewünschte Änderung darin, dass das Unternehmen den E-Mail-Router wie vorgesehen verwendet. Dies erfordert neue Prozesse, die in einer Checkliste beschrieben werden. Eine erneuerte Checkliste ist eine konkrete Änderung und steht für die Einführung zum Beispiel eines neuen Verfahrens. Dies entspricht der Definition einer Intervention. Eine Diskussion über den Zweck des Verfahrens und Anweisungen zu seiner Anwendung wäre ein Element der Kommunikation.
Ziel ist es, das Verhalten der Mitarbeitenden zu ändern, weil dies Voraussetzung für eine veränderte Kultur und die Einhaltung neuer Prozesse ist. Menschen ändern ihr Verhalten jedoch nur dann nachhaltig, wenn sie eine positive Einstellung zur Veränderung entwickeln. Damit das gewünschte neue Verhalten eine dauerhafte Wirkung hat, ist wiederum das Verständnis entscheidend. Die Menschen wollen begreifen, warum sie etwas Neues annehmen sollen. Das Verständnis sicherzustellen, ist daher der erste Schritt auf dem Weg zur Verhaltensänderung.
Konkret beginnt die Implementierung des E-Mail-Routers mit einer Schulung für alle betroffenen Mitarbeiter – mit dem Ziel, dass diese Verständnis für das Projekt haben. Dort erfahren sie, warum und wie sie diesen verwenden sollen. Diese Schulung sollte so angekündigt und durchgeführt werden, dass die Teilnehmer eine positive Einstellung gegenüber dem neuen Tool entwickeln und bereit sind, ihre Arbeit (respektive ihr Verhalten) zu ändern, um den E-Mail-Router anzunehmen und die neuen Prozesse einzuhalten. Verhalten, Verständnis und Einstellung bilden das «menschliche Dreieck».

Anreize für die Mitarbeitenden schaffen

Es reicht jedoch selten aus, dass die Mitarbeiter Verständnis für die neue Technologie haben, wenn sie darüber hinaus auch ihre Einstellung und ihr Verhalten ändern sollen. Meist sind zusätzliche Anreize erforderlich.
Der Framework-Co-Autor Peter Metzinger ist Gründer und In­haber der Mr. Campaigning AG. Seit 1998 ist er interna­tional als Coach oder Berater von über 200 Kunden tätig
Quelle: Mr. Campaigning AG
Ein Beispiel: Nehmen wir an, die Einführung des E-Mail-Routers ermöglicht eine Reduzierung des Personalbestands um 50 Prozent. Was aber, wenn der Erfolg in dem Unternehmen kulturell durch die Anzahl der dem Projektleiter unterstellten Mitarbeiter definiert wird? In diesem Fall wird das Vorhaben kaum über das Proof-of-Concept-Stadium hinauskommen – das Unternehmen wird in diesem Fall die Verantwortung nicht übernehmen.
Es gibt drei Arten von Anreizen: Jene, die den Einzelnen erfolgreicher machen; jene, die das Leben und/oder die Arbeit erleichtern; und jene, welche die gewünschten Emotionen hervorrufen. Die meisten Mitarbeiter wollen erfolgreich sein oder zu einem erfolgreichen Team gehören. Kaum jemand würde etwas ablehnen, das sein Leben leichter macht. Andererseits stösst jede Veränderung, die als hinderlich für die Karriere empfunden wird, oder die zu Mehrarbeit führt oder die Arbeit erschwert, auf Ablehnung. In manchen Fällen mag es ausreichen, in einer Schulung zu erklären, wie die Mitarbeiter durch den Einsatz des E-Mail-Routers erfolgreicher sein werden. In anderen Fällen ist mehr nötig.
Emotionen können dabei ein grosser Anreiz sein. Dazu gehören Gefühle der Zugehörigkeit, Identifikation, Sehnsucht, Spannung, Aufregung, Freude, Vertrauen, Zuversicht und so weiter. Die Ankündigung des E-Mail-Routers sollte so erfolgen, dass mindestens eine dieser Emotionen ausgelöst wird. Wenn etwa die Mitarbeiter davon begeistert sind, durch die Einführung des E-Mail-Routers die Konkurrenz hinter sich zu lassen, kann dieses Gefühl zu einem wichtigen Motor für die notwendige Veränderung werden. Die Zahl der Anreize wird vervollständigt, wenn die Mitarbeiter nicht nur mehr Erfolg haben, sondern auch sehen, wie viel einfacher sie mit dem E-Mail-Router ihre Ziele erreichen können.
Erfolg, Emotionen und Leichtigkeit bilden das «Dreieck der Anreize», mit dem eine positive Einstellung zu den gewünschten Veränderungen geschaffen werden kann.

Gute Kommunikation ist sehr wichtig

Das Dreieck «Kommunikation × Intervention» enthält das Produkt aus Kommunikation und Intervention. Kommunikation ist in diesem Zusammenhang der gegenseitige Austausch von Informationen respektive das Produkt aus Interaktion und Information.
Interventionen sind direkte Eingriffe in Prozesse oder (Teil-)Systeme. Kommunikation und Intervention werden als ein Produkt betrachtet. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass jede Massnahme unter beiden Aspekten zu betrachten ist, da «man nicht nicht kommunizieren kann» und weil jede Kommunikation eine Auswirkung auf die Organisation oder ihre Prozesse hat. Jede einzelne Massnahme – ob ein neuer Prozess definiert, eine Schulung zum Projektverständnis durchgeführt oder ein neuer Anreiz geschaffen wird – stellt eine direkte Veränderung des Systems dar. Sie hat jedoch immer auch einen kommunikativen Aspekt, der unter keinen Umständen ignoriert werden darf.
Die Ankündigung der Einführung eines E-Mail-Routers mit einer bereits angesetzten Schulung sendet eine ganz andere Botschaft aus, als eine Ankündigung des Vorhabens, ohne dass eine Schulung vorgesehen ist. Wenn eine Schulung angesetzt wird, kann die Botschaft so wahrgenommen werden: «Das muss unserer Führung wichtig sein und sie sorgt dafür, dass wir alles bekommen, was wir für die Arbeit mit dem E-Mail-Router brauchen.» Wohingegen die Botschaft, wenn keine Schulung auf der Tagesordnung steht, so aufgefasst werden kann: «Es scheint nicht wichtig zu sein, ob wir den E-Mail-Router verwenden oder nicht.»

Wie das Framework genutzt werden kann

Bei der Einführung von KI im Unternehmen ist eine gute Kommunikation mit den Mitarbeitenden sehr wichtig
Quelle: Shutterstock/NicoElNino
Die Anwendung des Frameworks in einer Organisation wird nach folgendem Ansatz empfohlen:
Der erste Schritt ist, ein KI-Projekt oder ein Portfolio von Projekten zu starten. Der zweite Schritt besteht darin, das Framework und die zugeordneten Erfolgsfaktoren durchzugehen und die Erfolgsfaktoren hervorzuheben, die für die KI-Projekte relevant sind. Zu beachten ist, dass bestimmte Erfolgsfaktoren auf Projektebene, andere wiederum auf Organisationsebene liegen können und dass die Erfolgsfaktoren an die eigene Organisation angepasst oder erweitert werden müssen. Die Projektmanager müssen genau wissen, was passieren muss, damit das Vorhaben erfolgreich implementiert wird. Sobald die Erfolgsfaktoren identifiziert sind, besteht der nächste Schritt darin, die Änderungsinitiativen zu definieren, welche die Änderungen unterstützen. Dies kann der Aufbau eines Daten-Ökosystems im «Dreieck der Organisation» (Technologie etc.) oder die Einrichtung einer Daten- und KI-Akademie im «Dreieck des Menschen» sein.
In einem nächsten Schritt beginnt die Festlegung der erwünschten Ergebnisse. Dabei kann es sich um harte Ziele handeln (zum Beispiel, bis wann das Daten-Ökosystem implementiert oder 30 Prozent der Belegschaft geschult sein sollen). Es können auch weiche Ziele sein, etwa wenn es eine Kultur der Zusammenarbeit gibt, die in harte, messbare Ziele übersetzbar ist (beispielsweise die Anzahl der regelmässigen abteilungsübergreifenden Meetings wurde um 10 Prozent erhöht).
Wenn man alle Veränderungsinitiativen in einer Kampagne zusammenfassen möchte, können die verschiedenen Initiativen gestrafft werden, um gemeinsam auf das übergeordnete Ziel hinzuarbeiten: mit KI Mehrwert zu schaffen. Die Einrichtung einer Kampagne selbst zeigt das Engagement der Führungsebene für dieses Thema, das bereits als Erfolgsfaktor identifiziert wurde.
Auf dem Weg zur Akzeptanz geht es um die Durchführung der Kampagne und verschiedener Veränderungsinitiativen. Während der Durchführung lässt sich der Erfolg der Kampagne messen, indem bewertet wird, ob die Ziele erreicht wurden, um je nach Erfolg die verschiedenen Initiativen im Lauf der Zeit anzupassen.

Fazit

Das konzeptuelle Rahmenwerk von Schouten/Metzinger kombiniert die harte und die weiche Seite der Einführung von KI in einem Unternehmen. Es zeigt auch, dass die Schlüsselelemente der Einführung von KI miteinander verbunden sind und dass es nahezu unmöglich ist, in einem Unternehmen erfolgreich mit KI zu arbeiten, wenn KI nur als «Nebeneffekt» betrachtet wird. Solch eine Einführung erfordert eine Umgestaltung vieler verschiedener Aspekte der Organisation – ähnlich wie bei der Digitalisierung generell.



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