Entspannter arbeiten 18.12.2014, 08:54 Uhr

So sieht der Arbeitsplatz der Zukunft aus

Arbeiten kann eine Last sein, aber auch grossen Spass machen. So steigern Sie die Zufriedenheit Ihrer Mitarbeiter, erhöhen die Produktivität und verbessern die Unternehmensbilanz. Einige Anregungen zur Arbeitswelt 2.0.
Das Gehalt ist für die meisten Schweizer nur ein Hygienefaktor; das bestätigen Studien immer wieder. Natürlich soll es beim Arbeitsentgeld halbwegs fair und gerecht zugehen. Letztlich entscheidend aber sind andere Faktoren. Besonders bei jungen Menschen, den Top-Shots von morgen, rangiert ein überdurchschnittlich hoher Verdienst auf der Skala der persönlichen Prioritäten erst an 17. Stelle. Viel wichtiger sind ihnen eine sinnvolle und erfüllende Arbeit, eine gute Arbeitsatmosphäre und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Denkt man an den chronischen Fachkräftemangel, den demografischen Knick und die allgemein niedrige Arbeitslosigkeit, dann haben Arbeitnehmer in der Schweiz einen starken Stand und können Forderungen stellen. Schweizer Unternehmen stellen sich darauf ein und locken hoch qualifizierte Mitarbeiter mit Lohnnebenleis­tungen, sogenannten «Fringe Benefits». Gratisgetränke, vergünstigte Mittagessen in der Betriebskantine und kostenlose Smartphones gehören dabei fast schon zum Standardrepertoire.

Kuschel-HP - lohnt sich das?

HP Schweiz hat vor einem Jahr massiv in das Wohlbefinden seiner Angestellten investiert und bietet seitdem Massagen und Lifekinetik-Kurse an ? während der Arbeitszeit wohlgemerkt. Die Ansprüche der derart gehätschelten Mitarbeiter steigen jedoch. Die erwünschte Mitarbeiterbindung der Fringe Benefits verpufft, sobald eine andere Firma noch etwas drauflegt. Der Zuschuss von 150 Franken zum Generalabonnement sei etwas zu gering, meint etwa Sabine Do-Thuong, die als Senior Software Engineer bei AdNovum arbeitet. Ihr vorheriger Arbeitgeber habe zustzlich fast die komplette Krankenkassenprmie fr sie bezahlt.

Spass als Erfolgsfaktor

Eine als sinnvoll erlebte Arbeit, grosser Gestaltungsspielraum, Nebenleistungen und insgesamt ein attraktiver Arbeitsplatz mausern sich zum Wettbewerbsfaktor im Kampf um die Talente. Nur mit den Scheinchen zu wedeln, reicht nicht mehr. «Auch für eine Million Franken möchte ich nicht jeden Tag einer Arbeit nachgehen, die mir keinen Spass macht», meint Software-Ingenieurin Do-Thuong. Ein attraktiver Arbeitsplatz aber fängt bei ganz elementaren Dingen wie der Raumausstattung und -aufteilung an. Bereits dort kann man vieles falsch machen.
Philip Vanhoutte rät, den Arbeitsplatz auf die Tätigkeit abzustimmen, und nennt seine vier «C»: Communicate (kommunizieren/zusammenarbeiten), Contemplate (nachdenken/erholen), Collaborate (besprechen/Ideenfindung) und Concentrate (konzentrieren/fokussieren). Je nach anstehender Arbeit sieht der ideale Arbeitsplatz ganz anders aus; Mitarbeiter müssen je nach Tätigkeit wechseln dürfen. Vanhoutte ist Senior Vice President bei Plantronics und berät in der Schweiz zusammen mit seinem Team die Credit Suisse, die Zürich Versicherungen, die Glarner Kantonalbank und Medtronics bei der Optimierung ihrer Büro­landschaften.

Das nervt am meisten

Studien des Fraunhofer Instituts IAO haben ergeben, dass sich die Mehrheit der Büroarbeiter durch Hintergrund­sprache und Telefonklingeln besonders gestört fühlen. Die Geräuschkulisse schränkt die kognitive Leistung ein und wirkt sich ausserdem negativ auf das Langzeitgedächtnis aus. Am meisten stört ein Sprachsignal mit 55 Dezibel, kombiniert mit einer hohen Sprachverständlichkeit. Verständ­liche Hintergrundsprache verführt dazu, sich auf die ungewollt mitgehörten Gespräche zu konzentrieren und seine kognitiven Aufgaben zu unterbrechen. Sprachsignale mit geringer Sprachverständlichkeit beeinflussen die Leistung dagegen weniger negativ. Vanhoutte empfiehlt daher so praktische Dinge wie schalldämpfende Decken, Stellwände und Teppiche statt Parkett, um die Lärmbelästigung auf ein erträgliches Minimum zu reduzieren. Denn Lärm ist der Produktivitätskiller Nummer eins. Zusammen mit einem Bündel weiterer das Büro optimierender Massnahmen, die Vanhoutte gemeinsam mit dem Wirtschaftsjournalisten Guy Clapperton im «Smarter Working Manifest» niedergelegt hat, zahlen sich derartige Investitionen für Unternehmen auch finanziell aus. Der Headset-Anbieter Plantronics hat «Smarter Working» seit 2010 schrittweise in die Tat umgesetzt. Seitdem sind die freiwilligen Kündigungen von 15 auf 3,2 Prozent zurückgegangen, die Fluktuationsrate sank von 12 auf 2 Prozent, die Fehlzeiten gingen von 12,7 auf 3,5 Prozent zurück. Durch die konsequente Einführung von Home Office und Mobile Office konnte die Plantronics-Niederlassung in Grossbritannien ihre Büroräume von 4407,3 auf 1965,3 Quadratmeter reduzieren und dadurch pro Jahr 400000 US-Dollar an Immobilienkosten einsparen (vgl. Vanhoutte/Clapperton, Das Smarter Working Manifest, Seite 246f). Lesen Sie auf der nächsten Seite: Arbeit ist (auch) Einstellungssache

Arbeit ist (auch) Einstellungssache

Arbeit sei heutzutage kein Ort mehr, an den man sich jeden Morgen hinbewege, sondern eher eine mentale Einstellung, meint Nicola Millard, Futurologin bei British Telecon (BT). Sie versteht Arbeit als Tätigkeit, nicht als Destination. Wissensarbeiter sind heute in der Lage, mit wenig mehr als einem Smartphone, einem Laptop und einer Internet­verbindung ausgerüstet ihrer Arbeit nachzugehen. Etwa 10 Prozent der Mitarbeitenden bei BT arbeiten von zu Hause aus. Die anfängliche Befürchtung der Chefs, dass ihre Untergebenen in den eigenen vier Wänden die Füsse hochlegen und nichts tun, hat sich dabei nicht bestätigt. Im Gegenteil: Die meisten arbeiten dort intensiver, weil Unterbrechungen wie der Kollegenplausch an der Kaffeemaschine wegfallen und auch, weil die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben zu verschwimmen beginnen.

Grossraumbüros sind preiswerter

Bürolandschaften sieht Millard als Kollaborationswerkzeuge (Collaboration Tools), die auch dementsprechend gestaltet werden müssen. «Wie im Theater die Bühnen­bilder ausgetauscht werden, so sollte sich auch das Büro an die Tätigkeiten anpassen. Dem Grossraumbüro, einem Office-Dinosaurier der 70er-Jahre, erteilt Millard eine entschiedene Absage. Die Hoffnung, dass wir wunderbar zusammenarbeiten, wenn man nur alle in einen grossen Raum sperrt, hat sich nicht erfüllt. Die Wahrheit sei: Bei Grossraumbüros stünden generell Kapazitäts- und Effizienzentscheidungen des Managements im Vordergrund. Die Kostenersparnis ? die sogenannten Entwicklungskosten ? beträgt im Durchschnitt 20 Prozent. Die «Open Plan Offices» seien jedoch laut und lenkten von der Arbeit ab. Flexible Büro-Einrichtungen, Lounge-Zonen und Meeting-Theken dagegen senken den Lärmstress, steigern das Wohlbefinden und die Produktivität der Mitarbeiter (Millard: BT Let?s Talk Blog).

Nicht jeder ist der Typ dafür...

Home-Office-Arbeiter gehen dem durch Kollegen ver­ursachten Lärmstress elegant aus dem Weg. Sie benötigen aber eine gewisse Freelance-Attitüde, um erfolgreich zu sein, und nicht jeder ist der Typ dafür. Wer im Home Office arbeitet, kombiniert die autonome, eigenverantwortliche  Zeiteinteilung eines Freien mit der Sicherheit einer Fest­anstellung. Er wird an Arbeitsergebnissen gemessen, nicht an Arbeitsfortschritten oder Präsenzzeiten im Büro. Zur neu gewonnenen Autonomie gesellt sich also auch ein starker Erfolgsdruck: Allein das Ergebnis zählt. Hinzu kommt ein weiterer Negativfaktor: Zwar gestatten ICT-Technologien wie Unified Communications, Intranet oder Telefon- und Videokonferenzen auch dem Freelance- oder Home-Office-Arbeiter, jederzeit den Kontakt zur Kollegschaft zu halten. Die Face-to-Face-Kommunikation ersetzen können solche technologischen Krücken, so wertvoll sie auch sein mögen, jedoch nicht.

Das soziale Dreieck

Der Wirtschaftssoziologe Richard Sennet bringt den Begriff des sozialen Dreiecks ins Spiel. Das soziale Dreieck besteht laut Sennet aus den Komponenten verdiente Autorität gegenüber Vorgesetzten, Vertrauen untereinander und Kooperation unter Kollegen. Es beschreibt die informellen Bande, die Arbeiter und Angestellte in den Produktionsstätten der alten Ökonomie untereinander knüpften. Ein stark ausgeprägtes Dreieck half der Belegschaft, Krisen­situationen erfolgreich zu meistern und sich auch einmal schützend vor einen schwachen Kollegen zu stellen oder für ihn einzuspringen. Sennet beschreibt ein selbst erlebtes Praxisbeispiel: In einer Bäckerei überhitzten die Backöfen, es drohte ein Brand. Durch langjährige Zusammenarbeit wusste jeder, auf wen er sich verlassen konnte. Nervöse Kollegen wurden gebeten, die Backstube zu verlassen. Von draussen rückten die Verkäuferinnen mit Wassereimern an. Der Backstubenchef unterstellte sich kurzzeitig dem Kommando des Heizers, der in dieser Krisensituation am besten wusste, was zu tun war. Jeder kannte die Stärken und Schwächen des anderen. Lesen Sie auf der nächsten Seite: schwach ausgeprägte Loyalität

Schwach ausgeprägte Loyalität

Damals war es noch durchaus üblich, sein gesamtes Arbeitsleben in einem einzigen Unternehmen zu verbringen, was eine starke Ausprägung des sozialen Dreiecks begünstigt. Das ist heute nicht mehr so. Die dadurch neu gewonnene individuelle Freiheit hat aber auch eine Kehrseite. Sennets Negativbeispiel ist die Wall Street, die in der modernen Arbeitswelt 2.0 eine Vorreiterrolle einnimmt. Die kurzfristige Orientierung auf Quartalsgewinne und häufige Stellenwechsel erschweren es den Mitarbeitenden, Loya­lität zur Firma zu entwickeln und Vertrauen untereinander aufzubauen. Organisationen mit schwachen informellen Bindungen tendieren jedoch dazu, unter Druck zusammenzubrechen. Die entscheidende Frage für Schweizer Führungspersönlichkeiten lautet jetzt natürlich: Wie gelingt es in Zeiten der kurzfristigen Orientierung, des Home Office und der Freelance-Attitüde, ein starkes soziales Dreieck, kurz: eine belastbare Corporate Identity aufzubauen, die auch Krisenzeiten standhält? Darauf haben die Apologeten der neuen Arbeitswelt 2.0 noch keine wirklich überzeugenden Antworten gefunden. Direkte Begegnungen, persönliche Beziehungen und physische Präsenz werden in der zukünftigen hochflexiblen Arbeitswelt immer mehr zum Luxus, der nicht jedem zuteil wird. Wer jedoch für längere Zeit isoliert im Home Office vor sich hinwerkelt, unterliegt einem erhöhten Burnout-Risiko. Heimarbeit bedeutet ein ständiges Ringen, «sich zu viel aufzuladen und nicht mehr auf sich selbst zu achten oder Probleme damit zu haben, sich selbst zu motivieren und nicht genug zu arbeiten», sagt Smart-Working-Evangelist Vanhoutte. Überlastung, so betont er, sei beim Home Office jedoch das grössere Problem.

Burnouts vorbeugen

Laut einer Studie des Seco geniessen Schweizer Beschäftigte einen breiteren Handlungsspielraum und grosszügigere Fringe Benefits als die meisten Kollegen in der EU. Allerdings erreichen auch Belastung und Stress ? etwa ein hohes Arbeitstempo und grosser Termindruck ? in der Schweiz Spitzenwerte. Das mag ein Grund sein, weshalb sich auch in Schweizer Büros die Ausfallzeiten wegen sogenannter seelischer Erschöpfung häufen. Die Schuld daran trifft Arbeitgeber und Mitarbeiter gleichermassen. Arbeitgeber müssen aufhören, ihre Belegschaft als «Human Resources» zu betrachten, die man wie andere Ressourcen auch möglichst effizient ausbeutet und wegwirft, wenn der Mehrwert erschöpft ist. Mitarbeitende sollten sich auch einmal mit weniger zufrieden geben und aufhören, dem eigenen Perfektionismus zu frönen. Auf beiden Seiten ist schlaueres Arbeiten angesagt. Burnout gilt allgemein als Krankheit der Top-Manager. In Wirklichkeit entwickelt sich das Krankheitsbild jedoch am häufigsten unter Berufsgruppen, die andere Menschen pflegen oder betreuen: Angestellte in der Krankenpflege, Heimleiter, Sozialpädagogen, Lehrer und Mitarbeiter von Callcentern leiden am stärksten, hat die deutsche Gesundheitskasse AOK herausgefunden. Computerworld hat mit einem Schweizer Burnout-Opfer gesprochen: Den Bericht lesen Sie im aktuellen Swiss Leader.

Ausserdem im Swiss Leader

Die grosse Computerworld-Zufriedenheitsstudie: IT-Leiter benoten Qualität, Preis und Service ihrer IT-Anbieter und IT-Dienstleister; Trends und Technologien, die 2015 zum Wachstumstreiber werden; Rechtsrisiko Big Data und spannende Interviews zur digitalen Transformation in Schweizer Unternehmen, u.a. mit Antimo Perretta, CEO der Axa Winterthur, und Brigitte Ross, Head of Key Initiatives & Digital Innovation bei der Credit Suisse.



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