16.08.2017, 10:25 Uhr

Die smarten Netzanalysten

Der ETH-Spin-off Adaptricity hat eine Software entwickelt, mit der sich die zunehmend intelligenteren Stromnetze analysieren lassen. Bald folgt die unternehmerische Bewährungsprobe: Im Herbst startet der Verkauf der Software-Lizenzen.
Die Köpfe hinter Adaptricity: Stephan Koch, Andreas Ulbig und Francesco Ferrucci (v.l.)
Andreas Ulbig und Stephan Koch hatten einen guten Riecher. Als die beiden ETH-Doktoranden ab 2010 begannen, an einer Software für intelligente Stromnetze zu tüfteln, konnten sie noch nicht wissen, dass sich in den folgenden Jahren Bundesrat und Volk für den Atomausstieg aussprechen würden. Ohne diese Energiewende hätten die beiden womöglich aus ihrer Idee nie ein Startup gemacht. So aber taten sie sich mit dem Wirtschaftsinformatiker Francesco Ferrucci zusammen und gründeten Anfang 2014 die Firma Adaptricity. Eines der grössten Probleme der Energiewende sind deren hohe Kosten. So müssen zum Beispiel die Stromnetze ausgebaut werden, um dem steigenden Anteil an erneuerbaren Energien, Wärmepumpen und Elektroautos zu genügen. In Zeiten, in denen Kupferkabel für den Leitungsbau immer teurer werden, sind Investitionen in Milliardenhöhe nötig. Dort setzt Adaptricity an: Die Firmengründer haben eine Software entwickelt, die Betreibern von Stromnetzen hilft, ihre Netze besser zu verstehen und zu planen. Dadurch lassen sich unnötige Investitionen verhindern und notwendige Netzinvestionen kosteneffizienter gestalten.

Das Verteilnetz als grosse Black Box

Andreas Ulbig, 35, operativer Leiter bei Adaptricity und genauso wie Geschäftsführer Koch aus Deutschland für sein Doktorat an die ETH gekommen, klappt seinen Laptop auf und zeigt anhand eines Beispiels, wie die Simulation funktioniert. Auf dem Bildschirm ist eine Satellitenkarte zu sehen, auf der die Stromleitungen bis zu den einzelnen Haushalten eingezeichnet sind. Nun kann Ulbig simulieren, was passiert, wenn im Quartier eine Fotovoltaik-Anlage gebaut wird. Per Mausklick zieht er eine solche in die Karte. Sofort verändern sich die Spannungen im Netz, allerdings nur minim. Ausserdem ist das Stromnetz in diesem Gebiet auch in Spitzenzeiten maximal zu 15 Prozent ausgelastet. Ulbigs Fazit: «Diese Solaranlage könnte man ohne Probleme bauen, ohne dafür das Stromnetz verstärken zu müssen.» Ulbig ist erstaunt, wie wenig bis heute über die Stromnetze bekannt ist. «Die Verteilnetze sind nach wie vor eine grosse Black Box», sagt er. So würden Netzbetreiber oft erst dann von Stromunterbrüchen erfahren, wenn Betroffene den Stördienst der Elektrizitätswerke anrufen. In Schweizer Haushalten werden Stromzähler meistens nach wie vor von Mitarbeitern der Stromwerke abgelesen. Doch das könnte sich bald ändern, denn der Bund plant Investitionen in so genannte Smartmeter, mit welchen sich Daten in Echtzeit abrufen lassen. Sobald diese intelligenten Stromzähler Daten liefern, kann Adaptricity diese analysieren und die entsprechende Netzbelastung berechnen. Damit bringt die Firma Licht ins Dunkel der Black Box und schafft Netztransparenz. Nächste Seite: Mitten im Wachstumsschub

Mitten im Wachstumsschub

Bis vor kurzem war der Firmensitz von Adaptricity ein 25 Quadratmeter kleiner Raum am Power Systems Laboratory der ETH. Anfangs war es Koch, der nach seiner Dissertation im Rahmen des Pioneer Fellowship Programms von der ETH angestellt wurde. Nach der Firmengründung kamen weitere Mitarbeiter dazu, viele von ihnen Studenten oder Praktikanten. Man arbeitete an der Software, partizipierte an Forschungs- und Pilotprojekten zusammen mit der ETH. Der kleine ETH-Spin-off finanzierte sich anfangs hauptsächlich über solche Projekte sowie über erste kleinere Beratungsmandate für Schweizer Netzbetreiber. 2015 erhielt Adaptricity von der Förderinitiative Venture Kick zudem 130'000 Franken Starthilfe. Seit Anfang 2017 ist Adaptricity aber auf Wachstumskurs. Im Februar übernahm der Kabelhersteller LEONI zwei Drittel der Aktien und stellte die Firma finanziell vorerst auf sichere Beine. Das Startup zog daraufhin von der ETH an die Hohlstrasse im Zürcher Kreis vier um. 22 Mitarbeiter beschäftigt die Firma heute, einige davon in Deutschland.

Vom Lizenzverkauf hängt der Erfolg ab

Die grösste Veränderung steht allerdings noch bevor. Bis anhin machte Adaptricity seinen Umsatz vor allem mit Beratermandaten bei Netzbetreibern in der Schweiz und Deutschland. Im letzten Jahr erzielte das Unternehmen so immerhin schon einen sechsstelligen Betrag. Das skalierbare Modell, von dem die Zukunft der Firma abhängt, ist jedoch ein anderes: Der Verkauf von Lizenzen für ihre SmartGrid-Softwareplattform. Momentan sind die IT-Leute von Adaptricity mit den letzten Arbeiten am Produkt beschäftigt. Verkaufsstart ist für diesen Herbst geplant. Vom Erfolg dieses Geschäfts wird abhängen, ob Adaptricity seine Ziele erreicht: Im Geschäftsjahr 2019 möchten die Firmengründer die Gewinnzone erreichen. Dem Erfolg wird derzeit alles untergeordnet. So schlug Mitgründer Ulbig, der nebenberuflich als ETH-Dozent tätig ist, vor kurzem gar den Ruf auf eine Voll-Professur an einer deutschen Universität aus. Die potenziellen Kunden von Adaptricity sind schnell ausgemacht, da als solche ausschliesslich Netzbetreiber infrage kommen. In der Schweiz sind diese allesamt in öffentlicher Hand. Adaptricity orientiert sich aber auch in Richtung Ausland. Zum Glück für die Firma ist die Energiewende nicht nur in der Schweiz, sondern auch in anderen Ländern wie etwa Deutschland ein politischer Trend. Die Ausgangslage ist für Adaptricity also dieselbe geblieben wie vor der Gründung: Letztlich wird die Politik entscheiden, wie viel Geld in erneuerbare Energien und somit auch in die intelligenten Stromnetze fliesst. Je mehr die Politiker diesbezüglich aufs Tempo drücken, desto besser für die smarten Netzanalysten aus Zürich.



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