Interview 19.08.2008, 16:53 Uhr

Patrick Gelsinger über 30 Jahre Chip-Entwicklung

Dieses Jahr kann die x86-Chiparchitektur von Intel ihr 30jähriges Bestehen feiern. Ein Mann hat in diesem Zusammenhang die Entwicklung besonders geprägt: Patrick Gelsinger. Computerworld.ch bringt aus diesem Anlass ein Interview mit Intels Chip-Guru.
Kaum jemand hat die x86er Chiparchitektur von Intel mehr geprägt als Patrick Gelsinger.
Patrick Gelsinger stiess 1979 zu Intel, also nur ein Jahr nach der Geburt des ersten x86ers. Er arbeitete daraufhin am Design des 80286 und 80386 mit. Er gilt als Vater des 486ers und begleitete später als Chief Technology Officer die Weiterentwicklung des Pentiums. Gegenüber Gary Anthes von unserer US-Schwesterpublikation verrät Gelsinger, warum der x86er zu einem der grössten Erfolge der Computergeschichte wurde.

Computerworld: Intel und Microsoft sind sozusagen zusammen gross geworden. Haben Sie frühe Erinnerungen an Microsoft-Gründer Bill Gates?

Patrick Gelsinger: Ich habe ihn mehrmals getroffen. Er ist einer der intelligentesten, aber auch aggressivsten Menschen in der Branche. Er war ständig am attackieren, forderte sein Gegenüber heraus und wollte immer Höher hinaus.
Besonders in Erinnerung ist mir in diesem Zusammenhang ein Meeting mit ihm nach der Lancierung des 80386. Gates machte nicht gerade schmeichelhafte Aussagen über den Chip, was mich, der an der Entwicklung des Prozessors mitarbeitete, auf den Plan rief. Man muss sich das einmal vorstellen: der Junior-Entwickler fängt mit jemandem an zu streiten, der bereits eine Legende in der Branche ist. Alle Umstehenden verstummten und hörten uns beiden Streithähnen zu. Nachdem wir uns wieder ein wenig beruhigt hatten, nahm mich mein Vorgesetzter zur Seite und bedeutete mir, dass ich für den Rest des Meetings nicht mehr gebraucht würde.

Der 80386 war dann aber ziemlich erfolgreich?

Richtig, der 386er mit seiner 32-Bit-Architektur gilt als Wendepunkt in der ganzen Branche. Der 80286 operierte noch mit 16 Bit. Damals rief die neue Architektur nur Kopfschütteln hervor. Wir wurden gefragt: "Was meint ihr mit 32 Bit? Das ist doch etwas für Mini-Computer und Grossrechner." Unsere Kritiker machten sich über uns lächerlich und meinten, der 386er sei technischer Overkill. Sie waren der festen Überzeugung, 64 KByte Memory reiche ewig. Ich musste alle möglichen Leute überzeugen, dass es bald Applikationen geben wird, die so viel Speicher benötigen werden und mehr.

Interview: Patrick Gelsinger über 30 Jahre Chip-Entwicklung

Der x86 wurde dann in den 1980er und 1990er Jahren von Risc-Prozessoren bedrängt. Was war hierbei Ihre Rolle?

Ich war damals mit der Leitung des Intel-Entwicklungsteams für den 486er betraut worden. Gleichzeitig schrieb ich aber meine Abschlussarbeit an der Stanford-Universität, und zwar bei John Hennessy, einem der Urheber der Risc-Architektur (Reduced Instruction Set Computing).
John und ich hatten sogar öffentliche Debatten über Risc-Prozessoren. Mein Argument war immer folgendes: Zwar ist die Cisc-Architektur (Complex Instruction Set Computing) der x86er-Prozessoren um einiges langsamer als Risc. Aber bis es überhaupt Software geben wird, die Risc wirklich ausnutzt, werden wir unsere Chips so beschleunigt haben, dass der Vorsprung dahinschwindet. Ich sagte zu John: "Deine Architektur ist schon jetzt fehlgeschlagen, weil sie kaum von Software ausgeschöpft wird. Damit steht sie im krassen Gegensatz zur x86er Architektur, für die es genügend Programme gibt". Hierauf konnte Hennessy, bei dem ich meinen Abschluss machen wollte, nur noch fragen: "Wer ist hier eigentlich der Professor? Du oder ich?".

Schlussendlich haben Sie die Debatte gewonnen. Gab Hennessy Ihnen Ihren Titel?

Ja. Wir hatten einfach diesen ökonomischen Vorteil mit dieser riesigen installierten Basis, die der Risc-Prozessor nicht einholen konnte. Hennessy und ich sind bis heute gute Freunde geblieben.

Wie war das eigentlich, als Sie im zarten Alter von 25 Jahren Chefarchitekt des 486er Team wurden?

Der 80486 war mein Baby von Anfang an bis zum Ende. Das war beängstigend und anspornend zugleich. Ich hatte ja nur ein paar Jahre Erfahrung, hatte meinen Stanford-Abschluss gerade erst gemacht und sollte ein Team leiten, das eines der wichtigsten Projekte der Branche in Angriff zu nehmen hatte. Mehr als 100 Leute waren mit der Entwicklung beschäftigt, und einige von ihnen waren doppelt so alt wie ich.

In dieser Zeit machte auch die berühmt-berüchtigte "Software-Spirale" die Runde. Was hat es damit auf sich?

Dieser Ausdruck wurde vom damaligen Intel-Chef Andy Grove geprägt, und zwar während der Präsentation des 80486 am 10. April 1989. Die Idee dahinter: Wir bauen Chips, die viel schneller sind, als die Software zur besagten Zeit. Die Programmier können daraufhin Programme schreiben, die die Hardware ausnützen. In der Zwischenzeit haben wir dann bereits die nächste Hardware-Generation parat. Dieser Kreislauf oder eben diese Spirale hat die ganze IT-Industrie jahrelang angetrieben.

Interview: Patrick Gelsinger über 30 Jahre Chip-Entwicklung

...eigentlich bis heute. Denn nun gibt es mittlerweile Mehrkernprozessoren, aber kaum Software, die auf mehr als einem Chip auf einmal laufen kann.

Genau. Mit den Multicore-Prozessoren haben wir der Spirale eine weitere Drehung verpasst.

Wann realisierte Intel, dass mit der Erhöhung der Taktraten keine weitere Leistungssteigerung mehr zu holen und die Zukunft in mehreren Prozessorkernen zu suchen sei?

Das war 2001. Ich war CTO und veröffentlichte einen Bericht über die Tatsache, dass wir mittlerweile so viel Leistung auf einem Stück Silizium unterbringen, dass dessen thermische Dichte derjenigen im Innern eines Atomreaktors oder auf der Oberfläche der Sonne entspricht. Mir war also klar, dass wir diesbezüglich das Ende der Fahnenstange erreicht hatten.
Intern war es allerdings alles andere als einfach, das Gigahertz-Rennen für beendet zu erklären. Neben technischen Vorbehalten war es vor allem vom Marketing her bedenklich. Denn die Anwender assoziierten automatisch höhere Taktraten mit schnelleren Chips.

Wie sieht die Zukunft des x86er aus?

Die Architektur ist noch lange nicht am Ende. An der letzten Entwicklerkonferenz von Intel in Schanghai habe ich unsere Chips mit dem "König der Affen" verglichen. In der chinesischen Tradition hat dieser ein sehr mächtiges Werkzeug, den goldenen Stab. Dieser kann so klein wie eine Nadel sein oder so gross werden wie eine Säule, mit der der ganze Himmel getragen werden kann. Für mich ist die x86er Architektur unser goldener Stab. Sie wird es uns erlauben, riesige Computer zu bauen mit Petaflops an Rechenleistung. Gleichzeitig werden x86-Chips die kleinsten nur vorstellbaren Rechner der Welt antreiben.
Übersetzung: Jens Stark



Das könnte Sie auch interessieren