25.05.2007, 08:52 Uhr
Operation am offenen Herzen
Credit Suisse hat gerade eines der aufwändigsten IT-Projekte der Schweizer Finanzwelt der letzten Jahre hinter sich. Die Grossbank hat mit OTEx in drei Jahren eine neue Order- und Trading-Plattform implementiert, die von mehr als 10000 Mitarbeitenden genutzt wird.
Roger Huber arbeitet als freier Journalist in Zürich.
Der Handel mit Wertschriften erlaubt keine Pausen. Das gilt erst recht für das Abwicklungssystem, das die Börsenaufträge ausführt. Den Anwendungsentwicklern und IT-Spezialisten bei Credit Suisse ist nun die diffizile Aufgabe zuteil geworden, ein neues System einzuführen, und zwar ohne dass auch nur ein Aktienkauf nicht fristgerecht hätte ausgeführt werden können.
Ein System mit Geschichte
Die Credit Suisse verfügte bereits 1980 über ein zentrales Wertschriftenabwicklungssystem. Als in den folgenden Jahren die elektronischen Börsen aufkamen, baute die Credit Suisse auf ihrem Host weitere Systeme um das Bestehende auf. Damit war der Zugriff auf die Schweizer Börse SWX und später auch auf weitere Handelsplätze möglich. Ende der 90er Jahre, das Internetzeitalter startete durch, wurde zusätzliche Software eingeführt. Die daraus entstehenden Redundanzen verursachten mit der Zeit einen sehr hohen Wartungsaufwand.
Unter der Projektleitung der beiden Credit-Suisse-Manager Peter Thüring und Stephan Hug wurde deshalb 2003 das Projekt OTEx mit dem Ziel lanciert, eine schlanke und kosteneffiziente Lösung bereitzustellen. Thüring erklärt: «Kern unseres Business Case war es, den Aufwand für die Wartung und Lizenzen um zwei Drittel zu reduzieren.»
Credit Suisse investierte in drei Jahren über 30 Millionen Franken in das Projekt OTEx Clientside. «In Spitzenzeiten waren bis zu 100 Mitarbeitende an verschiedenen Teilprojekten beteiligt», erklärt Hug. «Das Spezielle am Projekt OTEx war sicher die Tatsache, dass es eine eigentliche der Bank war», meint er weiter. «Der laufende Betrieb, also rund eine Million Kundenaufträge pro Monat, durfte nicht gestört werden und der Übergang sollte für die rund 10000 Benutzer inner- und ausserhalb der Bank möglichst reibungslos sein». Kein Wunder war OTEx im vergangenen Jahr, was Kosten und Komplexität angeht, das wichtigste Projekt der Credit--Suisse-Anwendungsentwicklung.
Operation am offenen Herzen
Mit welchen Datenfluten OTEx umgehen muss, veranschaulicht folgendes Beispiel. «Praktisch alle Börsenplätze dieser Welt mit rund 500000 Finanzinstrumenten müssen auf OTEx abgerechnet werden können und die Verarbeitung erfolgt von der Auftragserfassung bis zur Abrechnung vollautomatisiert. Die Auftragserfassung, Execution und Platzierung an den Börsen erfolgt damit innert wenigen Sekunden», erklärt Peter Thüring sichtlich stolz.
Obwohl die Straffung der Architektur und die Senkung der Wartungskosten die wichtigsten Projektziele waren, sollte das Projekt auch zusätzliche Business-Wertschöpfung generieren. Der zeitlich verzögerte Zugriff auf statische Daten war dabei eines der Hauptprobleme. Die neue Architektur löste dieses Problem durch die Implementierung von hostbasierten Corba-Services (Common Object Request Broker). Client-Applikationen wie Frontnet/Tradenet oder Directnet konnten nun über die zentralen Hostsysteme in Echtzeit auf sämtliche Daten zuzugreifen.
Schwieriges Projektumfeld
Das Ziel, eine zuverlässige, schlanke und kosteneffiziente OTEx-Lösung zu implementieren, stellten das Team von Thüring und Hug vor zahlreiche Herausforderungen. Schwierig war gemäss Hug der Projektsetup. Hier ging es darum, Lösungen zu definieren, Stakeholders zu überzeugen und die Teams zu bilden. Ebenso galt es, den Mitarbeitern der Systeme, die abgelöst wurden, eine neue Perspektive zu geben, ohne den laufenden Betrieb zu gefährden. «Die zweite Herausforderung war die Projektdauer», erklärt Thüring. «Drei Jahre waren für das Handelsumfeld sehr lang. Dafür Verständnis zu finden war nicht immer einfach», blickt er zurück.
Einer der wichtigen Faktoren war gemäss Hug die Zusammenlegung der Teams in einem Gebäude, sowie das Integrieren der Mitarbeiter der abzulösenden Systeme ins Projekt. «Wir haben vier Teams aus vier verschiedenen Lokationen mit vier sehr verschiedenen Kulturen an einem Ort in Zürich konzentriert», erklärt Thüring. «Wir hatten damit alle Mitarbeiter an einem Standort und damit die Vorteile kurzer Wege, schneller Kommunikation, Interaktion, Zusammenarbeit und Entscheidungen». Damit sei auch der Teamgeist gefördert worden, welcher zur Überwindung der zahlreichen Hindernisse unerlässlich gewesen sei.
Ein komplexes Projektumfeld wie dasjenige von OTEx erfordert die aktive Mitarbeit des Linien- und Projektmanagements auf allen Ebenen. Hier wurde das Prinzip «No involvement, no commitment» des Effizienzgurus Stephen R. Covey gelebt. Ausgewogene Projektteams mit den richtigen Leuten und Fachkompetenzen waren für den Projektfortschritt entscheidend. Das Vorhaben wurde dabei in einzelne Sub-Projekte aufgeteilt und die Funktionsblöcke wurden von verschiedenen Projektteams bearbeitet.
Operation am offenen Herzen
Die Implementation wurde dann in viele kleine Lieferungen aufgeteilt, die unter anderem parallel entwickelt wurden. So wurden bis zu acht Sub-Releases pro Jahr in die Produktion eingespielt. Damit konnte die Auslastung der Analysten und Entwickler optimiert werden. Zudem wurden Klumpenrisiken vermieden. Zusätzlich wurden im Bereich des Projektmanagements regelmässige Riskmanagement-, Issue- und Status-Meetings sowie proaktiv qualitätssichernde Massnahmen wie Reviews von Planungen und Lösungsvorschlägen in enger Abstimmung mit den Endbenutzern durchgeführt. Alle Kernfunktionen hatten eine Fallback-Option implementiert, um das Order-Processing bei Bedarf wieder auf die alten Anwendungen zurückzusetzen. Dieses Vorgehen ermöglichte eine nahtlose Integration neuer Funktionen und garantierte gleichzeitig eine zuverlässige Auftragsverarbeitung in allen Phasen des Projekts.
«Damit wir die nötige Performance erreichen, wurden umfangreiche Load- und Performance-Tests durchgeführt. So konnten wir das System laufend optimieren. Am Schluss war dann die Performance mit dem neuen System auf Mainframe-Basis in allen Bereichen besser als mit dem alten System. Thüring: «Um die Performance sicherzustellen wurde bereits ein Jahr vor Einführung parallel zur Implementierung mit Tuning-Massnahmen gestartet.» Und Hug ergänzt: «Zudem arbeiteten wir mit Pilotbenutzern. Sie haben über mehrere Monate mit dem alten wie auch dem neuen System gearbeitet. Erst als diese zufrieden waren, wurde mit dem Rollout, der sich über fast fünf Monate hinzog, gestartet.»
«Es war eine Operation am offenen Herzen», erklärt Hug nochmals. «Der laufende Betrieb durfte nicht gestört werden und der Übergang sollte für die Beteiligten möglichst reibungslos sein». Dies sei gelungen, freut sich Thüring. «Die meisten der 10000 internen Benutzer sowie alle Benutzer des Internet Banking haben vom Wechsel gar nichts mitbekommen.»
Was hat sich für die User verändert? Thüring: «Die Daten im System stehen nun in Realtime zur Verfügung. Neue Instrumente, die von externen Providern wie der Telekurs geliefert werden, sind sofort verfügbar und es kann damit gehandelt werden.» Hug ergänzt: «Wir haben heute keine Redundanzen mehr, der Endbenutzer hat nur noch ein System, welches direkt die Originaldaten anzeigt. Der Wissenstransfer und die Projektübergabe an die Supportorganisation erfolgten im Rahmen von strukturierten, von Mitgliedern des Projektteams entwickelten Schulungskursen.» Thüring rechnet derweil die Einsparungen vor: «Das OTEx-Projekt generiert über einen Zeitraum von fünf Jahren einen positiven Net Present Value von 33 Millionen Franken, wobei der grösste Teil dieses Betrags auf Einsparungen bei den Wartungskosten von jährlich sechs Millionen Franken entfällt.»
Roger Huber