IBM 27.02.2012, 10:51 Uhr

Durchbruch auf dem Weg zum molekularen Chip

Wissenschaftler des IBM-Forschungslabors in Rüschlikon bei Zürich haben erstmals ein Rastersondenmikroskop hergestellt, mit dem die Ladungsverteilung innerhalb eines Moleküls sichtbar wird. Dadurch erhält die Wissenschaft neue Einblicke in das Verhalten von Molekülen, ein weiterer Schritt auf dem Weg zu molekularen Computern.
Aus dem Bild mit der Ladungsverteilung entstand auch diese 3D-Darstellung
Die Forscher konnten dabei erstmals mithilfe der Rastersondenmikroskopie zeigen, wie sich Ladung innerhalb eines einzelnen Moleküls verteilt. Mit dieser Fähigkeit könnten weitere fundamentale Erkenntnisse etwa über das Schalten einzelner Moleküle sowie deren Bindungsverhalten gewonnen werden, hoffen die Wissenschaftler. Darüber hinaus eröffne sich die Möglichkeit, die Ladungsverteilung in ganzen Molekülkomplexen direkt abzubilden. Dies sei von grosser Bedeutung für die Erforschung von neuartigen Schaltelementen auf der Nanoskala und funktionalen molekularen Strukturen, zum Beispiel für Anwendungen in der Computertechnologie, der Solartechnik oder der Energiespeicherung, heisst es. In der Fachzeitschrift Nature Nanotechnology berichten Fabian Mohn, Leo Gross, Nikolaj Moll und Gerhard Meyer von IBM Research in Zürich, wie sie mithilfe der so genannten Kelvin-Rasterkraftmikroskopie bei tiefen Temperaturen und Ultrahochvakuum erstmals die Ladungsverteilung innerhalb eines einzelnen Moleküls – im vorliegenden Fall Naphthalocyanin – direkt abbilden konnten.

«Diese Arbeit demonstriert eine bedeutende neue Fähigkeit», unterstreicht Michael Crommie, Professor an der University of California in Berkeley. «Die Ladungsverteilung ist entscheidend, um zu verstehen, wie sich Moleküle in unterschiedlichen Umgebungen verhalten. Ich erwarte, dass diese Technik künftig grosse Bedeutung in Gebieten haben wird, in denen Physik, Chemie und Biologie zusammentreffen.» Lesen Sie auf der nächsten Seite: Mehr Kanäle sehen mehr

Ein zusätzlicher Informationskanal

Neben den bisherigen Messungen mit dem Rastertunnelmikroskop und dem Rasterkraftmikroskop liefert die neue Technik zusätzliche Informationen über die physikalischen und elektronischen Eigenschaften von Molekülen. Das ist vergleichbar mit Bildgebungsverfahren in der Medizin. Dort liefern Röntgen-, Magnetresonanztomographie- oder etwa Ultraschallaufnahmen unterschiedliche, sich ergänzende Informationen über den Zustand eines Patienten.    «Unsere Technik bietet einen zusätzlichen Informationskanal, der hilft, das Wissen über die Physik auf der atomaren und molekularen Skala zu erweitern und die Entwicklung neuer funktionaler und massgeschneiderter Nano-Bauelemente voranzubringen», erklärt Fabian Mohn, Doktorand in der IBM Forschungsgruppe Physics of Nanoscale Systems.

Die Technik könnte zum Beispiel verwendet werden, um die Ladungstrennung und den Ladungstransport in so genannten Ladungs-Transfer-Komplexen zu untersuchen. Diese bestehen aus zwei oder mehreren Molekülen und sind Gegenstand intensiver Forschungstätigkeit, weil ihnen grosses Potenzial für Anwendungen wie Energiespeicherung oder Photovoltaik zugeschrieben wird.  Für Gerhard Meyer ist die vorliegende Arbeit «ein wichtiger Schritt in unseren langfristigen Bemühungen zur Kontrolle und Erforschung molekularer Systeme auf atomarer Skala mit der Rastersondenmikroskopie.» Lesen Sie auf der nächsten Seite: So kamen die Forscher zu den Bildern

Bestimmung der Ladungsverteilung mit submolekularer Auflösung

Wird die Spitze eines Rastersondenmikroskops sehr nahe über eine leitende Probe gebracht, so entsteht ein elektrisches Feld aufgrund der unterschiedlichen elektrischen Potenziale von Spitze und Probe. Durch Anlegen einer Spannung an die Spitze, die exakt dieses elektrische Feld kompensiert, kann die Potenzialdifferenz gemessen und dadurch die Ladungsverteilung bestimmt werden.   

Den IBM-Forschern gelang es nun, die Potenzialdifferenz für tausende einzelner Messpunkte über einem Molekül zu bestimmen und dadurch ein präzises Bild der Ladungsverteilung innerhalb des Moleküls zu erlangen. Bei diesem Kelvin-Rasterkraftmikroskopie genannten Verfahren wird dabei nicht direkt die elektrische Ladung gemessen, sondern das elektrische Feld, das von dieser Ladung erzeugt wird. Dieses variiert lokal mit der Ladungsverteilung. Die hellen und dunklen bzw. roten und blauen Bereiche in den Abbildungen entsprechen dabei den Regionen negativer und positiver Ladung im Molekül.

Um die erstmalige submolekulare Auflösung der Ladungsverteilung zu erreichen, waren eine sehr hohe thermische und mechanische Stabilität sowie atomare Präzision über den gesamten Zeitraum des Experiments von mehreren Tagen notwendig. Dichtefunktionaltheorie-Berechnungen, die in Zusammenarbeit mit Nikolaj Moll von der Forschungsgruppe Computational Sciences durchgeführt wurden, untermauerten die experimentellen Resultate.



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