Praxis 28.09.2015, 06:40 Uhr

Versicherer sparen hunderte Millionen dank Softwarelösung

Von insgesamt 30 Milliarden Franken Leistungskosten, die von den Schweizer Krankenkassen übernommen werden, führt ein beträchtlicher Teil zu Falschzahlungen. Felix Musterle, Division Head Health & Insurance bei ELCA und Rolf Schmidiger, Strategie- & Innovationsmanager bei der SUVA, erläutern im Interview, wie Versicherer dies mit moderner Datenanalyse verhindern können.
Jetzt den ELCA-Newsletter abonnieren Die Software Sumex ersetzt die manuelle Überprüfung von Papierrechnungen durch automatisierte elektronische Verfahren. Wie erkennt die Software was falsch ist an einer Rechnung?
Felix Musterle:
Das Kernmodul der Sumex Suite basiert auf einem Framework, welches die gesetzlichen Vorgaben für die elektronische Rechnungsstellung im Gesundheitswesen prüft und inhaltliche und tarifliche Plausibilitätsprüfungen durchführt. Zusätzlich zu den Kernmodulen gibt es spezialisierte Fachmodule, wie das neue Fraud-Detection-Modul, das Millionen von Rechnungen analysiert und typische Verläufe medizinischer Fälle miteinander vergleicht. Die SUVA bearbeitet beispielsweise rund 50.000 Knieverletzungen pro Jahr, deren Therapie immer ähnlich verläuft. Passt eine Abrechnung nicht in das entsprechende Muster, wird sie von der Software als auffällig markiert und von einem Fachbearbeiter manuell überprüft. Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit Sumex Fehler findet? Felix Musterle: Es braucht keine besonderen Voraussetzungen dafür. Wichtig ist, dass die Versicherung ihre Abrechnungen elektronisch verarbeitet. Ist dies nicht der Fall, gibt es ein Sumex-Modul, welches sowohl strukturierte als auch unstrukturierte Papierrechnungen effizient digitalisiert. Was prüft die Software Sumex genau? Felix Musterle: Sumex überprüft die Rechnungen nach vielen unterschiedlichen Parametern, übrigens komplett anonym. Das sind unter anderem Formalien wie doppelt aufgeführte Medikamente oder Fälle, wo die Abrechnung des Leistungsträgers an die falsche Versicherung erfolgt ist. Taucht auf einer Abrechnung an die Unfallversicherung für einen unfallbedingten Knochenbruch zum Beispiel Hustensaft auf, müsste dieser wahrscheinlich von der Krankenkasse übernommen werden. Auch wenn eine Abrechnung aus Sicht des Systems inhaltlich nicht stimmig ist, meldet es eine Auffälligkeit, zum Beispiel, dass ein Medikament nicht zur Diagnose, dem Alter des Patienten oder nicht zu einem anderen Medikament auf der Rechnung passt. Aber woher weiss Sumex, welche Parameter es prüft und funktioniert diese Prüfung für alle medizinischen Leistungen, egal welche Fachrichtung oder welche Leistungsart? Felix Musterle: Das Framework von Sumex baut auf einer offenen Architektur auf, die einfach um beliebige Fachprüfungen ergänzt werden kann. Die Versicherungen können zum Beispiel die Parametrierung von Schwellwerten anpassen, eigene Plausibilisierungen hinzufügen und spezifische Fachregeln (Business Rules) durch ihre Experten erstellen lassen. Wir arbeiten eng zusammen, um solche Szenarien sowie entsprechende Regeln und Algorithmen im System zu berücksichtigen. Über das neue Fraud-Detection-Modul lernt das System kontinuierlich hinzu, da mit jeder neuen Rechnung neue Informationen ins System fliessen. Wir entwickeln die Software konstant weiter und pflegen neue Erkenntnisse ein. Dazu gehören zum Beispiel das Feedback der Sachbearbeiter zu auffälligen Rechnungen, aber auch neue fachliche Erkenntnisse die in der Sumex-Benutzergruppe diskutiert werden. Der Unfallversicherer SUVA hat Sumex in Auftrag gegeben und mitentwickelt. Was war die Motivation zur Zusammenarbeit mit einem IT-Spezialisten?
Rolf Schmidiger:
Die Kapazitäten unserer eigenen IT-Abteilungen reichten nicht aus, um neben dem Alltagsgeschäft eine so spezialisierte IT-Lösung zu entwickeln. Daher haben wir nach einem externen IT-Spezialisten gesucht, der in der Softwareentwicklung stark ist, sich im Gesundheitswesen auskennt sowie Erfahrung mit komplexen Aufgabenstellungen hat. So sind wir auf ELCA gestossen. Wie lange nutzt die SUVA bereits Sumex und was hat sich seitdem verbessert? Rolf Schmidiger: Bereits Anfang der 2000er haben wir mit der Zusammenarbeit gestartet und in einem ersten Schritt den Abrechnungsprozess sowie die Referenzdaten digitalisiert. Referenzdaten sind beispielsweise die Verträge, die den Leistungsumfang einer Versicherung beschreiben und mit denen die Abrechnungen abgeglichen werden müssen. Im Laufe der Jahre entwickelte sich Sumex immer weiter und bietet heute auch Module für die Verwaltung und Abrechnung gemäss SwissDRG, also den Diagnosis-Related-Groups. 2014 kam dann das neueste Sumex-Modul „Fraud Detection“ für die automatische Rechnungskontrolle hinzu. Was sind die häufigsten Fehler in den Rechnungen, die Sie erhalten? Rolf Schmidiger: Wir müssen immer wieder feststellen, dass mit zu geringer Sorgfalt abgerechnet wird. Als Unfallversicherer erhalten wir immer wieder Leistungspositionen auf den Rechnungen, welche keine Kausalität zum Unfall besitzen. Der Leistungserbringer müsste anstelle der einen Rechnung mehrere Rechnungen an verschiedene Versicherer stellen. Dies ist mit Aufwand verbunden wird des Öfteren nicht erbracht. Worin sehen Sie die Ursache für diese Fehler? Rolf Schmidiger: Wo Menschen arbeiten, passieren Fehler, das ist ganz normal. Doch die Summe macht es und da wir als Versicherung die Verpflichtung haben, gewissenhaft mit den Versichertenprämien umzugehen, möchten und müssen wir die Rechnungen kontrollieren. Im letzten Jahr haben wir so rund 100 Millionen Schweizer Franken eingespart. Aber auch das Risiko von organisiertem Betrug sollte man nicht gänzlich ausser Acht lassen, schliesslich belaufen sich die von Schweizer Krankenkassen übernommenen Leistungskosten auf rund 30 Milliarden Franken pro Jahr. Wie viele Rechnungen verarbeitet die Software pro Jahr und wie kommen die Rechnungen überhaupt „in“ die Software? Felix Musterle: Da Sumex nicht nur von der SUVA, sondern auch von anderen Versicherern Rechnungen kontrolliert, verarbeitet Sumex schweizweit momentan mehr als 20 Millionen Rechnungen jährlich. Die elektronischen Rechnungen werden in einem standardisierten Format gemäss dem Forum Datenaustausch angeliefert. Die Software prüft die Konformität der angelieferten Dateien und liest diese in die interne Datenbank ein. Durch Kontrolle Geld sparen, beziehungsweise Fehlzahlungen vermeiden. Wie viele Versicherer nutzen Sumex und was hindert andere daran, mit Sumex zu arbeiten? Rolf Schmidiger: Die Sumex Suite wurde ursprünglich von der SUVA initiiert, daher auch ihr Name. Da die Prozesse und Funktionen, die die Software abdeckt, für die ganze Branche interessant sind, hat sich im Laufe der Jahre eine Benutzergruppe organisiert, die aus insgesamt sechs Versicherungsunternehmen besteht. Wir teilen uns die Kosten für diese umfassende Softwarelösung. ELCA ist unser Technologiepartner. Versicherungsunternehmen, die Sumex nicht nutzen, haben oft selbst entwickelte Lösungen. Können Sie kurz beschreiben, wie es mit dem Produkt weiter geht? Rolf Schmidiger: Wir möchten das neue Modul für Fraud-Detection natürlich weiter ausbauen. Des Weiteren möchten wir die Digitalisierung im Gesundheitswesen weiter vorantreiben und haben diesbezüglich schon zwei Innovationen in Arbeit, die wir demnächst ankündigen werden. Ziel ist es, die Versicherten noch stärker in die Abrechnungsprozesse einzubinden, denn nur sie können wirklich prüfen und bestätigen, welche Leistungen erbracht wurden.


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