Justitia 4.0 14.02.2019, 14:29 Uhr

Schweizer Justiz bald papierlos

Der Weg zum Recht soll in der Schweiz künftig nicht mehr über Papierberge führen. Unter diesem Motto ist am Donnerstag in Luzern der Startschuss für das Digitalisierungsprojekt «Justitia 4.0» gefallen. Dazu braucht es viel Technik und eine neue Gesetzesänderung.
Aktenberge sollen in der Schweizer Justiz der Vergangenheit angehören
(Quelle: Tim Reckmann/Pixelio)
30 Jahre habe er sich nun durch Aktenberge gequält, Post-It gesetzt und Textpassagen gesucht. «Es gibt etwas Besseres», sagte Bundesgerichtspräsident Ulrich Meyer vor den rund 350 Personen aus der Schweizer Justizlandschaft, die zur Lancierung des Projekts nach Luzern gekommen waren.
«Justitia 4.0» bringt im Schweizer Justizwesen einen Paradigmenwechsel. So sollen künftig die rechtsgültigen Akten elektronisch sein und alle professionellen Akteure dazu verpflichtet werden, elektronisch zu kommunizieren. Dazu entsteht mit dem schweizerischen Justizportal «Justitia.Swiss» ein sogenannter One-Stop-Shop für die Schweizer Justiz.
Es handle sich um ein Organisations- und Kulturprojekt, sagte Jacqueline Fehr, Zürcher Regierungsrätin und Vorstandsmitglied der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD), in ihrer Eröffnungsrede.

30'000 Arbeitsplätze werden verändert

Denn die digitale Transformation erhöhe die Transparenz, steigere die Qualität, erhöhe die Interdisziplinarität, trenne Leistung von Status, öffne Zugänge, mache das Leben einfacher, die Justiz als Arbeitgeber attraktiver und die Betroffenen bescheidener, sagte Fehr. Der Inhalt werde sich nicht verändert. Ändern werde sich der Zugang zur Information.
Justitia 4.0 sei eine grosse Herausforderung, ein ambitioniertes Projekt für ein ambitioniertes Land und gleichzeitig eine grosse Chance, sich an die komplexere Zukunft anzupassen. Jens Piesbergen von der Projektleitung sagte, mit der Einführung würden gegen 30'000 Arbeitsplätze verändert.
Die erste Phase des auf acht Jahre ausgelegten Vorhabens koste einen Betrag im tiefen einstelligen Millionenbereich. Weitergehende Angaben zu den Kosten könne man zum jetzigen Zeitpunkt nicht machen.

Gesetzesänderung nötig

Die Justizkonferenz und die KKJPD finanzieren das Projekt je zur Hälfte. Der Anteil, der auf die Kantone entfällt, wird nach Einwohnerzahl aufgeschlüsselt. Dass Kantone und Bund gemeinsam ein Projekt im Justizbereich angehen, sei gelebter Föderalismus, sagte Bundesgerichtspräsident Meyer.
Synchron zum Aufbau der technischen Lösung muss auch die Gesetzgebung angepasst werden. Möglich wäre es, in ein neues Bundesgesetz über die Elektronische Kommunikation eine Delegationsklausel für die Plattform Justitia.swiss aufzunehmen und etwa Obligatorium, Anwendungsbereich oder Anforderungen an die Identifizierung zu regeln. Auf Stufe Kanton müssten sodann die Gerichtsorganisationsgesetze angepasst werden. Der parlamentarische Prozess ist für 2023 vorgesehen.
Bereits heute sind rechtsgültige Eingaben auf dem elektronischen Weg an die Gerichte möglich. Doch würde dies nur in weniger als einem Prozent der Fälle genutzt. So seien im vergangenen Jahr am Bundesgericht 50 von 8000 Fällen digital eingegangen, sagte Jacques Bühler von der Projektleitung.

«Kein E-Voting»

Höchstens IT-affine Anwälte würden heute von der Möglichkeit Gebrauch machen. Denn die digitale Signatur sei teuer und komplex, der Poststempel für die Frist beherrschbarer, und weil oft nicht alle Unterlagen elektronisch vorlägen, würde die Papierform bevorzugt. Angedacht sei mit dem Projekt, die technischen Risiken künftig zum Staat zu nehmen.
Apropos Risiken: Für die vollständige Digitalisierung der Justiz gebe es anders als etwa beim E-Voting aus heutiger Sicht kein No-Go, sagte Fehr. Es entfalle der Punkt der Anonymität. Und was bei AKW und Patientendossiers funktioniere, müsse auch bei der Justiz möglich sein. Die Bürger können am Ende wählen, ob sie von der Justiz in Papier- oder elektronischer Form bedient werden wollen.



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