eGovernment
07.12.2012, 16:00 Uhr
mit den Bürgern Schritt halten
Jahrelang hinkte die Schweiz beim eGovernment hinterher. Nun soll Cloud Computing die Behörden an die Weltspitze bringen. Firmen, Bürger und die Ämter selbst könnten profitieren.
Jahrelang hinkte die Schweiz beim eGovernment hinterher. Nun soll Cloud Computing die Behörden an die Weltspitze bringen.
Für das eGovernment in der Schweiz kennt Bundesrätin Doris Leuthard nur eine Vorgabe: «Der 24-Stunden-Behördenschalter muss Realität werden.» Am jüngsten eGovernment-Symposium in Bern schrieb Leuthard den Verantwortlichen von Bund, Kantonen und Gemeinden ins Pflichtenheft: «Die öffentliche Verwaltung muss ihre Abläufe auf eine vollständig elektronische Basis umstellen. Einzellösungen sind durch flächendeckende Angebote zu ersetzen.» Die Vision hinter diesen Forderungen laut Bundesrätin Leuthard: eGovernment werde eine echte ePartizipation der Bürger am Staat möglich machen. Zugleich sollen die elektronischen Prozesse dabei helfen, Bürokratie abzubauen.
Im Schweizer eGovernment herrscht neu der Imperativ vor. Der elektronische Behördenschalter «muss» Realität werden, Einzellösungen «sind» durch flächendeckende Angebote «zu ersetzen». Das klare Signal: Die Politik und die Verantwortlichen der Informatiksteuerung in den Behörden wollen eGovernment nun mit Vehemenz voranbringen. Der Blick auf die Praxis von Unternehmen, Bürgern und den Ämtern offenbart, dass es damit auch höchste Zeit wird.
Internet erste Anlaufstelle
Das Web ist heute die wichtigste Schnittstelle zwischen Unternehmen und Behörden. Laut einer Umfrage des Forschungsinstituts gfs.bern unter 1005 Firmenvertretern messen die Befragten dem Onlinekanal inzwischen eine höhere Bedeutung zu als dem telefonischen oder persönlichen Kontakt – und sie möchten den Kanal auch effizient nutzen können. Die Mehrheit der befragten Unternehmen (57 Prozent) will nicht nur Informationen online abrufen, sondern Behördengänge direkt elektronisch abwickeln. 44 Prozent möchten amtliche Formulare rechtsgültig unterschreiben und online einreichen, 37 Prozent sich mit einem elektronischen Identitätsnachweis auf Behördenplattformen anmelden und 34 Prozent auch die Mehrwertsteuer via Internet abwickeln.
Der elektronische Identitätsnachweis als Schlüsselkomponente für die Onlineinteraktion mit den Behörden ist laut Umfrage jedoch noch nicht im Geschäftsalltag angekommen. Eine Mehrheit von 67 Prozent kennt die Bezeichnung SuisseID nicht einmal. Immerhin können sich aber 62 Prozent eine Nutzung vorstellen. Im Einsatz ist die SuisseID jedoch nur bei 5 Prozent der Unternehmen.
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Heute verfügen 85 Prozent der Einwohner der Schweiz über einen Onlinezugang. Der Bürger ist daheim, im Büro und auch mobil im Internet unterwegs. Allerdings erwarten Frau und Herr Schweizer nicht, dass die Behörden mit ihrem eigenen Konsumverhalten Schritt halten. Laut einer weiteren Umfrage des gfs.bern unter 1002 Einwohnern schlägt sich die grosse Verbreitung von Internetanschlüssen nicht in der vermehrten Nutzung von eGovernment-Angeboten nieder: Anders als bei den Unternehmen kontaktiert nur jede dritte Privatperson (32 Prozent) das Amt via E-Mail oder Webseite. Die Einwohner greifen vielmehr zum Telefonhörer (40 Prozent) oder sprechen persönlich am Schalter vor (20 Prozent).
Wie bei den Unternehmen besteht aber auch bei Privatpersonen der Wunsch, einige Behördengeschäfte vermehrt via Internet zu erledigen. Jeweils eine Mehrheit will die Stimme online abgeben, einen Umzug melden oder die Steuererklärung auf den Webseiten der Ämter ausfüllen. Alles drei funktioniert nicht landesweit, teils nicht einmal kantonsweit oder auf Gemeindeebene. «Damit hält eGovernment mit der zunehmenden Bedeutung von Internet in der Lebensführung nicht mit», resümieren die Studienautoren vom gfs.bern ernüchtert.
Ämtern fehlt das Personal
Auf der Anbieterseite, den Verwaltungen von Bund, Kantonen und Gemeinden, hemmen insbesondere mangelnde personelle Ressourcen den Ausbau von eGovernment. Laut einer dritten Umfrage des gfs.bern ist dieses Problem allerdings nicht neu. Trotzdem wird zu wenig gegen den Fachkräftemangel getan, kritisieren die Wissenschaftler des Berner Instituts. Statt eines Ausbaus sind die Stellenprozente für eGoverment im Vergleich zu 2010 sogar noch zurückgegangen. Insbesondere Kantonsverwaltungen litten unter den personellen Engpässen – mit 91 Prozent ist die dünne Personaldecke der am häufigsten genannte Grund, warum das eGovernment in den Kantonen nicht vorankommt.
Das vorhandene Personal legt angesichts des grossen Arbeitsaufwands aber keineswegs resigniert die Hände in den Schoss. Vielmehr wird an den Onlinepräsenzen von 1017 Gemeinden, 23 Kantonen und 37 Bundesämtern laut Studie permanent gearbeitet. Alle Websites sind mehr oder weniger auf aktuellem Stand. Allerdings werden die Fortschritte auch erwartet. Auf allen staatlichen Ebenen wird vor allem der Ausbau von Dienstleistungen wie ePayment oder Einwohnerkontrolle gewünscht. Die Kantone sollen insbesondere bei den Onlineschaltern nachbessern.
eGovernment zahlt sich aus
Europaweit gibt es dafür durchaus Vorbilder: In Schottland wurde in den vergangenen Jahren das eGovernment stark vorangetrieben. Dort sind fast 33 Prozent der Verwaltungsvorgänge elektronisch unterstützt. Der europäische Durchschnitt – auch in der Schweiz – liegt bei circa 5 Prozent. Laut eGovernment-Benchmark der Europäischen Kommission konnte Schottland durch den hohen IT-Anteil innerhalb vier Jahren Einsparungen in Höhe von 800 Millionen Pfund realisieren. Kein anderes Land der Welt kann nachweisen, dass sich der Computereinsatz in Behörden in barer Münze auszahlt.
Schlimmer noch: Das Insieme-Projekt hierzulande hat Millionen gekostet und kaum Nutzen für die Behörden geschweige denn die Bürger eingebracht. Jenseits der Diskussion über den Sinn und Unsinn von bürokratischen Ausschreibungsverfahren für Software-Projekte zeigt Insieme aber insbesondere eines: Informationstechnologie für öffentliche Verwaltungen ist komplex und damit teuer.
Allerdings sind die Systeme für Behörden nicht grundlegend anders als diejenigen für kommerzielle Unternehmen. Wenn jedoch ein Projekt scheitert, müssen in Firmen schlimmstenfalls die zuständigen Manager ihren Hut nehmen. Bund, Kantone und Gemeinden sind zusätzlich den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern gegenüber Rechenschaft schuldig – beides unangenehme Konsequenzen.
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Den Problemen zumindest teilweise aus dem Weg gehen Unternehmen, die ihre Informatik auslagern. Wenn Schwierigkeiten überhaupt an die Öffentlichkeit gelangen, ist zumindest ein Dritter der Buhmann. Neudeutsch wird auch von Cloud Computing gesprochen, wenn tatsächlich Outsourcing gemeint ist. Auch die Verwaltungen liebäugeln mit solchen Modellen.
Risiken, die ähnlich gelagert sind wie etwa in der Finanzindustrie, gibt es aber auch. Peter Fischer, Delegierter für die Informatiksteuerung des Bundes, deutet diese in einem Gespräch mit Computerworld an: «Die Public Cloud eignet sich für Anwendungen, die grosse Datenmengen abfedern müssen. Steuerdaten sind aber sehr heikel, insbesondere weil man heute beim Cloud Computing nie genau weiss, wo die Daten exakt liegen.» Für den Berner IT-Strategen kommt damit ein Auslagern der Bundesinformatik an beispielsweise Google oder Microsoft nicht infrage.
Trotzdem setzt der Bund gemeinsam mit Kantonen und Gemeinden auf Cloud Computing. Das Engagement soll mit einem Aktionsplan des Steuerungsausschusses eGovernment beschleunigt werden. Die Umsetzung der Cloud-Computing-Strategie ist neu ein priorisiertes Vorhaben für 2013. An der Strategie arbeitet der Bund seit gut drei Jahren. Uwe Heck von der Fachhochschule in St. Gallen und Projektleiter Willy Müller vom Berner Informatiksteuerungsorgan kamen in ihrem Abschlussbericht des Vorprojekts zu dem Schluss: «Um bei geringsten Risiken den höchsten Mehrwert für Bürger und Verwaltung durch Cloud Computing zu erreichen, liegt unsere Empfehlung klar auf dem Aufbau einer dedizierten privaten Cloud für Schweizer Behörden.» Kurz gesagt: Der Bund, die Kantone und die Gemeinden bauen ein Rechenzentrum innerhalb der Landesgrenzen. Aus den Serverräumen heraus werden alle Ämter der Schweiz – vom Bundesdepartement bis zum Gemeindehaus – mit IT versorgt.
Cloud-Computing-Strategie
Die Einstufung als priorisiertes Vorhaben bedeutet indes nicht, dass der Grundstein des neuen Rechenzentrums schon am 1. Januar 2013 gelegt wird. Vielmehr sieht der Massnahmenkatalog zunächst den schrittweisen Einsatz von Cloud-Diensten vor. Schritte sind zum Beispiel, dass 10 Verwaltungseinheiten des Bundes, 80 Prozent der Kantone und 10 Gemeinden bis Ende 2014 erste Erfahrungen mit Cloud-Diensten gemacht haben sollen. Auch evaluieren der Bund, 15 Kantone und 20 Städte standardmässig Cloud Computing als Option bei neuen Projekten – per sofort.
Ein behördenübergreifendes eGovernment-Rechenzentrum sieht der Massnahmenkatalog erst Ende 2014 vor. Dann soll «mindestens eine Community-Cloud für Anwendungen und Daten mit erhöhtem Schutzbedarf operativ» sein. Die Grundlage für den Übergang in die wolkige Zukunft legen Bund und Kantone mit jeweils eigenen Plattformen, auf denen interne Dienstleister und externe Lieferanten neue Speziallösungen entwickeln können. Der Zeithorizont ist hier Ende 2015. Dann wird es laut Vorgabe des Steuerungsausschusses eGovernment keine Alternative zum Cloud Computing mehr geben.
Für Lieferanten bedeutet das: Heute schon aktiv werden, sich an der Diskussion beteiligen und Kompetenzen für die kommende eGovernment-Cloud aufbauen. Anbieter von Hard- und Software dürfen sich auf grossvolumige Aufträge seitens der öffentlichen Hand freuen. Jedoch sind die Bestelllisten voraussichtlich kurz, denn Cloud Computing lebt von der Standardisierung.
Mit Blick auf jüngste Gemeindefusionen – die auch Kostengründe hatten – sieht Thomas Flatt, CEO des im Behördenumfeld tätigen ICT-Dienstleisters Abraxas, noch einen anderen Vorteil der Cloud-Strategie: «Dank Cloud Computing können Gemeinden ihre IT-Services zusammenlegen, ohne dafür ihre politische Eigenständigkeit aufgeben zu müssen.» Wenn künftig vergleichbare Gemeinden aus der ganzen Schweiz eine IT-Plattform teilen würden, liessen sich wesentlich grössere Skaleneffekte erzielen, meint Flatt.
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Der Weg in die Cloud scheint für Schweizer Verwaltungen der richtige. Er adressiert die Bedürfnisse von Unternehmen, die Behördengeschäfte künftig vermehrt online abwickeln wollen. Eine einheitliche Infrastrukturplatt-form erlaubt – zumindest in der Theorie – das schnelle Entwickeln und Bereitstellen von neuen Dienstleistungen. Davon profitiert auch der Bürger. Indem Onlineangebote von Bund, Kantonen und Gemeinden gebündelt und vereinheitlicht werden, wird das Amt im Internet für die Endanwender attraktiver. Dann schaffen es allenfalls auch die elektronischen Kanäle, das altbackene Telefon als bevorzugte Interaktionsform mit den Amtsstuben abzulösen. Wenn sich die Angestellten selbst nicht mehr so intensiv mit Verwaltungsabläufen auf Papier befassen müssen, haben sie mehr Ressourcen für den direkten Kontakt zum Bürger – auch via Social Media.
Das Ablösen von Altsystemen und Konsolidieren von IT-Lösungen durch Cloud-basierte Plattformen schafft in den öffentlichen Verwaltungen selbst mehr Kapazität für das Tagesgeschäft. Der heute in den Amtsstuben beklagte Personalmangel könnte sich sogar ins Gegenteil verkehren. Bis es allerdings so weit ist, benötigen Bund, Kantone und Gemeinden noch viel mehr IT-Ressourcen für den Wechsel in die Cloud. Jetzt ist es an dem im Projekt federführenden Informatiksteuerungsorgan des Bundes, Doris Leuthards Imperativ auch Taten folgen zu lassen. Der jüngst beschlossene Aktionsplan gibt konkrete Meilensteine vor, an denen sich die hiesigen Behörden messen lassen müssen – auch von der Öffentlichkeit.
Essenzielle Grundlagen für Cloud-Projekte
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Stakeholder einbeziehen: Bei bestehenden Dienstleistungsverträgen müssen Laufzeit- und Ausstiegsklauseln einkalkuliert werden, damit es zu keinen Doppelbelastungen oder auch Strafzahlungen kommt. Bestenfalls wird der Dienstleister in die Diskussion über das Cloud-Projekt einbezogen, um Transparenz zu schaffen und Wechselmöglichkeiten auszuloten.
Ausstiegsstrategie: IT-Projekte in den eigenen vier Wänden kommen heute meist ohne das Zurückstellen von Ressourcen für einen allfälligen Exit aus. Beim Auslagern von IT-Ressourcen in die Cloud sind Überlegungen für eine spätere Migration oder das Insourcing aber unbedingt erforderlich. Andernfalls wird auch der Wechsel zu einem anderen Provider unmöglich, der allenfalls gleichartige Leistungen für einen Bruchteil des Preises anbietet.