Ermittlungen eingeleitet
19.09.2018, 17:10 Uhr
EU-Kommission nimmt Amazons Geschäftsmodell unter die Lupe
Die Wettbewerbshüter aus Brüssel machen Ernst: Im Rahmen eines formellen Auskunftsverlangens sammelt die EU-Kommission von Marketplace-Händlern detaillierte Informationen zum Geschäftsgebaren von Amazon ein.
Seit gestern berichten Amazon Marketplace-Verkäufer im Seller Central-Forum von Amazon sowie in den Facebook-Händlergruppen Wortfilter und Multichannel Rockstars gehäuft von einem «förmlichen Auskunftsverlangen» der EU-Kommission, das sie per E-Mail erreicht hat. «Die Kommission untersucht derzeit mutmasslich wettbewerbswidrige Verhaltensweisen von Amazon im Zusammenhang mit der von Amazon betriebenen Verkaufsplattform für Drittverkäufer und Amazons eigenen Online-Einzelhandelstätigkeiten in der Europäischen Union», heisst es in dem Schreiben. «Der Europäischen Kommission liegen Informationen vor, wonach Amazon Daten, die auf Amazon Marketplace im Zusammenhang mit Transaktionen von Drittverkäufern generiert oder erhoben werden, erfasst und für eigene Online-Einzelhandelstätigkeiten innerhalb der EU nutzt.»
Weiter werden die angeschriebenen Händler dazu aufgefordert, einen 16-seitigen, sehr detaillierten Fragebogen zu ihren Geschäften auf und mit Amazon auszufüllen. Da es sich um ein «förmliches Auskunftsverlangen» handelt, sind die Händler laut EU-Verordnung (Artikel 18) gesetzlich dazu verpflichtet «alle erforderlichen Auskünfte zu erteilen, unabhängig davon, ob sie im Verdacht stehen, gegen Wettbewerbsvorschriften verstossen zu haben».
Eine unvollständige oder falsche Beantwortung der Fragen kann mit Geldbussen bis zu einem Höchstbetrag von einem Prozent des im vorausgegangenen Geschäftsjahrs erzielten Gesamtumsatzes geahndet werden.
Im Visier: Amazons Umgang mit den Marketplace-Händlern
Der Fragebogen zielt vor allem auf ein Geschäftsgebaren von Amazon ab, dass Marketplace-Händler seit Jahren beklagen: Läuft ein von einem Händler gelistetes Produkt auf dem Marktplatz gut, wird es oft von Amazon selbst übernommen und günstiger angeboten.
Die EU-Kommission spricht bei ihrer Recherche offenbar gezielt Händler an, die von diesem Vorgehen betroffen waren. Die Fragen haben es dabei durchaus in sich:
«Hat Amazon sich Ihres Wissens an Lieferanten gewandt, um das Produkt von diesem zu beziehen?» heisst es unter Punkt 10.3 beispielsweise. Oder unter Punkt 12: «Bitte erläutern Sie, wie sich der Umstand, dass Amazon das Produkt in sein eigenes Angebot aufnahm, auf der Website von Amazon ausgewirkt hat (Stieg oder fiel die Zahl der Anbieter/Verkäufer des Produkts)?» Oder unter Punkt 15: «Hat Amazon in den vergangenen fünf Jahren begonnen, unter einer Eigenmarke ein Produkt zu verkaufen, das mit einem Produkt, das Sie auf der Verkaufsplattform von Amazon angeboten haben, identisch oder diesem sehr ähnlich ist?»
Einblick ins Geschäftsmodell und die Datennutzung
Der detaillierte Fragebogen scheint darauf hinzudeuten, dass der EU-Kommission sehr konkrete Beschwerden zum Wettbewerbsverhalten von Amazon vorliegen. «Die Fragen sind dazu geeignet sich ein realistisches, aussagekräftiges und umfassendes Bild von Amazons Handeln und deren Daten Nutzung zu machen», meint Mark Steier, Marktplatz-Experte und Betreiber des Blogs «Wortfilter». «Darüber hinaus können die Umfrageangaben auch einmal deutlich aufzeigen, wie sehr KMU-Händler möglicherweise durch Amazon in ihrer Unternehmensführung eingeschränkt werden.»
Bei europäischen und auch deutschen Behörden geriet Amazon bereits seit Ende des vergangenen Jahres zunehmend ins Visier. Zuletzt kündigte Andreas Mundt, Chef des deutschen Bundeskartellamts eine genauere Untersuchung von Amazon an. Hybridplattformen wie Amazon, die Händler und Marktplatz zugleich sind, hätten «ein gewisses Potenzial für eine Wettbewerbsbehinderung der anderen Händler», sagte der Behördenchef Anfang August. «Wir wollen uns daher diesen Teil des E-Commerce genauer anschauen.» Jetzt sieht es so aus, als hätte Mundt sich für sein Vorhaben die EU-Kommission ins Boot geholt.