Zwischen 0 und 1 25.10.2021, 14:45 Uhr

Technologiedefizite als Handicap

Dass die IT mit dem Business auf Augenhöhe spricht, wird oftmals bereits als Erfolg gewertet. Doch das reicht nicht. Stattdessen sollte die Technik ins Zentrum gestellt werden, um Geschäftsinnovationen voranzutreiben
(Quelle: Fotolia / Elnur)
Ist Ihnen schon aufgefallen, dass Firmen mit Weltklasse-IT auch zu den führenden Unternehmen in Sachen Digitalisierung zählen? Und dass umgekehrt jene, die sich als Vorreiter der digitalen Transformation etabliert haben, eine hervorragende IT besitzen? Wahrscheinlich wissen Sie das. Technologie und Transformation sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Doch wir können seit Langem beobachten, dass Firmen mit Top-IT weitgehend identisch sind mit jenen, die bei der Digitalisierung an der Spitze stehen.
Auch Unternehmen, welche die digitale Transformation nicht auf die Reihe bekommen, sind weitgehend identisch mit jenen, deren IT sich in einem schlechten Zustand befindet. Nur beim Mittelmass gibt es stärkere Abweichungen zwischen Technologiematurität und Transformationsfortschritt. Bemerkenswert ist weiter, dass einige Unternehmen dank radikalem technologischem Fortschritt den Crash vermieden haben. Beispielsweise hat die frühzeitige Einführung von Microservices prominente Unternehmen gerettet. Technologievorsprung ist also manchmal nicht nur für Start-ups überlebenswichtig. Doch diese Erkenntnis wird auf Führungsebene bei uns totgeschwiegen.
“Wenn wir uns weiterhin damit begnügen, dass die IT mit dem Business intern auf Augenhöhe spricht, dann wird die Schweiz mittel- bis langfristig wirtschaftlich zurückfallen„
Reinhard Riedl
Wenn ein CIO eines etablierten Unternehmens erzählt, dass sein Betrieb dank technologischem Vorsprung ökonomisch besonders erfolgreich ist, handelt es sich häufig um ein Unternehmen aus dem Silicon Valley und fast nie um ein hiesiges. Schweizer CIOs erzählen davon, dass sie es geschafft haben, auf Augenhöhe mit dem Business zu sprechen, oder dass es ihnen gelungen ist, das Mindset der IT-Mitarbeitenden zu ändern. Sie berichten davon, dass sie Technologien eingeführt haben – aber sie sprechen so selten über Technik, wie sie über Sprache sprechen.
Sie kennen Ausnahmen? Ich auch. Interessanterweise sind das zum Teil Persönlichkeiten, über die «richtige Informatiker» negativ urteilen, oder auch Unternehmer, die mit neuen Technologien gescheitert sind und beim zweiten Mal mit etablierten Technologien international Erfolg hatten. Es sind einerseits Persönlichkeiten, die der Informatik ein so grosses Gewicht geben, dass es den Informatikern unheimlich ist. Und andererseits sind es Informatiker, die mindestens einmal im Leben probiert haben, mit technischer Innovation die Welt zu verändern. Leider sind es viel zu wenige! Wenn wir uns weiterhin damit begnügen, dass die IT mit dem Business intern auf Augenhöhe spricht, dann wird die Schweiz mittel- bis langfristig wirtschaftlich zurückfallen. Denn das ist zu wenig!
Die IT muss eine Schlüsselrolle bei den Geschäftsinnovationen spielen. Es stimmt zwar, dass in mittelmässigen Betrieben die IT am Business ausgerichtet wird und CIOs sich dort nicht gross um Technik kümmern müssen. Aber in Top-Unternehmen sollte es genau umgekehrt sein. Dort müssen CIOs die Technik ins Zentrum stellen und auf dieser Basis die Geschäftsinnovationen vorwärtstreiben.
Zum Autor
Reinhard Riedl
beschäftigt sich mit digitalen Ökosystemen und leitet das trans­disziplinäre Forschungs­zentrum «Digital Society» an der Berner Fachhoch­schule.



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