03.09.2009, 11:17 Uhr
Streit um den Glasfaser-Zugang zum Kunden
Der Bau des flächendeckenden Glasfasernetzes verzögert sich. Schuld sind die Provider, die nur auf ihre eigenen Interessen achten. Schaden sie mit ihrem Verhalten dem Wirtschaftsstandort Schweiz?
Mit einem landesweiten Glasfasernetz könnte die Schweiz einen gewaltigen Wettbewerbsvorteil gegenüber dem Ausland herausholen. Zur raschen Umsetzung bräuchte es aber eine unkomplizierte und flexible Zusammenarbeit zwischen Providern und Elektrizitätswerken - und das ist in den kommenden Monaten völlig unrealistisch.
Obwohl sich die Chefs von Schweizer Telekombetrieben, Elektrizitätswerken und Kabelnetzbetreibern seit anderthalb Jahren regelmässig am runden Tisch treffen, wurden sich die Parteien bislang nicht einig. Laut der Regulationsbehörde ComCom, die diese Treffen organisiert, besteht trotzdem eine solide Basis für eine Partnerschaft zwischen den Parteien. Auch der Nationalrat ist mit der Situation scheinbar zufrieden. Nicht so Orange und Sunrise: Die Provider schieben der Swisscom den schwarzen Peter zu.
«Es gibt zwar Fortschritte», meint Sunrise-CEO Christoph Brand. Entwarnung könne er aber nicht geben. Auch für den Glasfaserstrategie-Verantwortlichen bei Orange, Johannes Graf, sind wichtige Punkte noch immer ungeklärt. Cablecom distanziert sich komplett von möglichen Kooperationen. Man sehe keinen Grund, sich an den vorhandenen Projekten zu beteiligen, sagt der fürs Netz verantwortliche Vizepräsident Alfred Seiler. Das Unternehmen zweifelt an deren Wirtschaftlichkeit. Cablecom setzt deshalb aufs eigene Netz, eine Mischung von Glasfaser und Kupferdrähten. Damit sind Downloadraten bis 100 Mbit/s möglich - genug, um in den Anfangsjahren mit der Glasfaser mitzuhalten. Will Cablecom das auch längerfristig, muss sie jedoch komplett auf Glasfaser umstellen.
Für das Verlegen der Glasfaserkabel kommen mehr als 1000 Parteien infrage. Dazu zählen die Swisscom, 247 Schweizer Kabelnetzbetreiber und über 800 Elektrizitätswerke - diese verfügen über die nötigen Zugänge zu den vorhandenen Schächten.
Swisscom blockiert Verhandlungen
Die Swisscom will davon aber nichts wissen und beharrt auf der exklusiven Faser. Diese sei für Swisscom die einzige Möglichkeit, sich von den anderen Anbietern zu differenzieren, so Giovanni Conti, Glasfaserspezialist des Unternehmens. Swisscom will sich die Hoheit über das Netz vorbehalten und selbst bestimmen, wann sie höhere Bandbreiten einführt.
«Dies ist volkswirtschaftlich kompletter Blödsinn», wettert Sunrise-CEO Brand. Mehrere Glasfasern würden den Bau des Glasfasernetzwerks massiv verteuern. «Diesen Aufpreis bezahlen am Schluss die Kunden», meint Brand. Swisscom versuche so, ein neues Monopol zu bilden, das sie vor dem Fall der letzten Meile schon auf dem Kupfer innehatte.
Höhere Kosten für die Kunden
Die Konkurrenz sieht das anders und will dem Netzbetreiber, etwa den EWs, das Bestimmen der Bandbreite überlassen. Der Markt soll stattdessen über das Fernseh-, Internet- und Telefonieangebot bewegt werden.
Nationalrat: kein Handlungsbedarf
ComCom-Präsident Marc Furrer schlägt sich trotz der höheren Baukosten auf die Seite der Swisscom: «Wenn beim Netzaufbau mehrere Glasfasern eingezogen werden, ist dies ein guter Ansatz gegen die Monopolbildung», so der Regulator. Da dies aber trotzdem noch keinen Wettbewerb garantiere, müsse zusätzlich das Fernmeldegesetz (FMG) angepasst werden, erklärt Furrer. Derzeit verbietet das Gesetz die Monopolbildung lediglich auf Basis der Kupfertechnik. Dies sei europaweit einmalig, unterstreicht Sunrise-CEO Christoph Brand. Es müsse dringend eine technologieneutrale Formulierung her. Aber der Präsident der Nationalratskommission für Verkehr und Fernmeldewesen (KVF-NR), Andrea Hämmerle, winkt ab. «Eine Revision kommt derzeit nicht in Frage. Das FMG wurde erst am 1. August 2008 revidiert.» Man müsse zuerst abwarten, wie sich die Revision auswirke und Erfahrungen mit der neuen Technologie sammeln, bevor eine neuerliche Revision angestrebt werde, so SP-Nationalrat Hämmerle. Schon vor einem Jahr war die Diskussion um den Glasfaserbau in vollem Gange. Dass die Parlamentarier bei der damaligen Revision die Glasfaser nicht berücksichtigten, zeigt, wie wenig technisches Verständnis im Rat vorhanden ist.
Unvorbereitete Elektrizitätswerke
Weitere wichtige Player sind die Elektrizitätswerke - allen voran das EW Zürich. Eineinhalb Jahre vor der Gesetzesrevision stimmte das Zürcher Stimmvolk dem Bau eines Glasfasernetzes durch das Elektrizitätswerk zu. Seitdem investierte das EWZ 200 Millionen Franken in das Projekt und erreicht damit bis Ende diesen Jahres etwa 17000 Haushalte. Das Netz vermietet das EWZ zu gleichen Preisen an derzeit 10 Provider, darunter Orange und Sunrise. Auch bei diesem Modell will die Swisscom eine eigene Leitung. Damit ist das EWZ aber bislang nicht einverstanden. Mit einer Einigung ist dieses Jahr nicht mehr zu rechnen. Der frisch gestartete Feldversuch in Zürich-Enge soll erste Erkenntnisse bringen, so Swisscom und das EWZ unisono.
Andere E-Werke verpassen die so wichtige Entwicklung: Selbst ein grosses Werk wie die Berner BKW denkt laut Mediensprecher Antonio Sommavilla derzeit nicht konkret über den Bau nach, sondern beobachtet lediglich den Markt. Dies ist verheerend. Wer diesen Trend jetzt verschläft, ist in ein paar Jahren im Hintertreffen.
Die Swisscom verlegt in Zürich aber weiterhin eigene Glasfasern, obwohl das Unternehmen von einer Einigung mit dem EWZ ausgeht. Dies lässt die Investitionen wiederum unnötig ansteigen. Auf den von Swisscom verlegten Glasfasern dürfen weder Orange noch Sunrise ihre Dienste anbieten - eine Zusammenarbeit kam nicht zustande. Diese sei nur möglich, wenn die Swisscom faire, transparente und nicht diskriminierende Zugangsbedingungen anbiete, betonten beide Provider. Für Swisscom kommt eine Partnerschaft allerdings nicht infrage. Man habe allen Anbietern die Beteiligung an den Baukosten und am Profit angeboten. Diejenigen, die nicht darauf eingetreten sind, müssten andere Partnerschaften eingehen, so Giovanni Conti von Swisscom. Weiter sei es zu früh, um überhaupt Diskussionen mit Konkurrenten zu führen. Swisscom müsse erst den Bau mit ihren Partnern planen. Conti erläutert: «Wenn die Konkurrenz unsere Glasfasern mietet, tragen wir das Leerstandsrisiko.» Zudem sei es möglich, dass die Mieter der Swisscom wertvolle Kunden wegschnappen, ohne einen Rappen in den Bau zu investieren.
Ball beim Bundesrat
Die Verhandlungen der Provider gehen bis Mitte 2010 wohl ergebnislos weiter. Bis dahin arbeitet der Bundesrat an einem Bericht zur Entwicklung im Fernmeldemarkt. Die Regierung wurde im Januar 2009 vom Ständerat aufgefordert, zu beurteilen, ob das Fernmeldegesetz technologieneutral formuliert werden soll, ob eine Trennung zwischen Netz und Diensten sinnvoll wäre und ob die ComCom von Amts wegen intervenieren darf.
Beantwortet der Bundesrat diese Fragen mit Ja, wird das vor allem die Open-Access-Provider Orange und Sunrise freuen. Umgekehrt macht wohl Swisscom ein Fass auf. Klar ist, dass alle Provider im Bundeshaus kräftig lobbyieren und für ihre Interessen werben.
Bis die Schweiz flächendeckend mit Glasfasern erschlossen ist, vergehen noch viele Jahre. Swisscom will bis Ende 2009 rund 100'000 Wohnungen mit Glasfasern erschliessen. Das sind 3 Prozent der Schweizer Haushalte. In den nächsten sechs Jahren investiert das Unternehmen insgesamt zwischen 2 und 3 Milliarden Franken in den Glasfaserbau und erreicht damit bis 2015 nach eigenen Angaben ein Drittel der Bevölkerung. Auch Orange rechnet mit einer umfassenden Erschliessung der privaten Haushalte nicht vor 2013. Bis die meisten Kunden dann tatsächlich zu Glasfaser wechseln, vergehen nochmals drei bis fünf Jahre, schätzt Johannes Graf basierend auf ausländischen Marktzahlen.
Dennoch werden die andauernden Diskussionen dem Wirtschaftsstandort Schweiz nicht schaden. Vielmehr schaut das europäische Ausland eifersüchtig auf die offene Entwicklung in der Schweiz. Denn der Wille zum Investieren ist vorhanden. Dieser fehlt in weiten Teilen Europas. Dies bestätigt der aktuelle Welttechnologiebericht: Die Schweiz rangiert weltweit auf Platz fünf und ist in Europa dritter hinter Dänemark und Schweden.