20.07.2016, 12:00 Uhr
«Nicht jeder CIO braucht eine IT-Ausbildung»
Der CIO bekommt in Zeiten der Digitalisierung ein neues Profil. Einen Chief Digital Officer anzustellen ist der falsche Ansatz, sagen Claudia Nussberger und Roman Huber von Roy C. Hitchman.
Die Digitalisierung des Geschäfts ist für Schweizer Unternehmen eine Herausforderung – auch eine personelle. Das Problem durch einen alleinverantwortlichen Chief Digital Officer versuchen zu lösen, ist zu kurz gegriffen, sagen Claudia Nussberger und Roman Huber von der Zürcher Executive-Search-Agentur Roy C. Hitchmanim Interview. Die beiden früheren Top-Manager von Schweizer ICT-Firmen beraten heute Anwenderunternehmen bei der Personalauswahl. Welche CIOs werden heute und morgen gesucht? Nussberger: CIO-Profile rangieren heute zwischen den Polen «keep the lights on» respektive dem Aufbau einer agilen, leistungsfähigen und skalierbaren IT-Infrastruktur einerseits und andererseits der Aufgabenstellung, wie Unternehmen intern und mit der Aussenwelt interagieren und Mehrwert schaffen. Ersteres ist eher das klassische Profil, letzteres eher das moderne. Beide haben aber je nach Reifegrad der Unternehmung ihre Berechtigung.
Werden heute noch CIOs gesucht, die sich primär um die Pflege der Infrastruktur kümmern sollen? Huber: Die meisten Soll-Profile verlangen, dass sich die Kandidaten um die Infrastruktur und den Betrieb kümmern, sich aber auch stark in den neuen Themen und der Digitalisierung des Unternehmens einbringen sollen. Wir stellen aber auch fest, dass dann die Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Modernisierung und die Budgets für eine agile und digitalere Unternehmen überschaubar bleiben und der Betrieb zum Hauptthema wird. In so einer Situation hat der CIO drei Alternativen: Wenn ihm «keep the lights on» genügt, kann er den Job machen. Genügt es ihm nicht, kann er immer noch versuchen, die Rolle zu verändern. Die dritte Option ist: Er geht wieder. Dann ist weder für den Kandidaten, Ihren Kunden noch für Sie etwas gewonnen. Huber: Richtig. Deshalb ist es entscheidend, welchen Stellenwert die Modernisierung und Digitalisierung bei Geschäftsleitung sowie Verwaltungsrat haben und wie die Programme im Unternehmen verankert sind. Nächste Seite: «Digitalisierungskompetenz tendiert gegen Null» Wie steht es denn um die ICT/Digitalisierungskompetenz in den Verwaltungsräten bei den hiesigen Unternehmen? Huber: Sehr bescheiden. Ich vermute, dass in den Boards der SMI-Unternehmen die ICT/Digitalisierungskompetenz gegen Null tendiert. Sie haben unlängst eine Studie unter Führungskräften zu den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Firmenkultur und die Leadership erhoben. Was war die Haupterkenntnis? Huber: Die befragten Schweizer Führungskräfte erachten die Digitalisierung als etwas sehr Positives – auch für sich persönlich. Allerdings wird die Wucht, mit der die Wirtschaft getroffen wird, meiner Meinung nach massiv unterschätzt. Wir gehen von einer exponentiellen Entwicklung aus: Wir stehen heute kurz vor dem Knick. Irgendwann in naher Zukunft, wenn sich die Robotik, Analytics, künstliche Intelligenz und kognitive Computing-Services verschmelzen, folgt eine exponentielle Entwicklung. Was dann geschieht, können wir uns heute alle noch nicht abschliessend vorstellen.
Können Sie ein Beispiel nennen für einen Betrieb, der einen klassischen CIO sucht? Nussberger: Ich kann keine Namen nennen. Aber im Wirtschaftsmagazin «Bilanz» habe ich jüngst ein Interview mit einem Verwaltungsratspräsidenten einer bekannten Schweizer Warenhauskette gelesen. Er wurde gefragt, was ihm am meisten Angst mache. Seine Antwort war: die Digitalisierung. Ich nahm Kontakt zu dem Unternehmen auf und konnte mit dem CIO sowie dem Marketingleiter sprechen. Sie zeichnen verantwortlich für die Webseite und den rudimentären Online-Shop, den die Marke heute betreibt. Meine Fragen lauteten: Welcher Kunde kommt in 20 Jahren noch in Ihr Warenhaus? Besuchen die Kunden Ihr Haus zum Fühlen und Schmecken der Waren oder kaufen sie tatsächlich auch? Wofür betreiben Sie einen Online-Shop? Die dürftigen Antworten waren, dass das Unternehmen keine Online-Strategie habe. Beide Vertreter waren überzeugt, dass der Online-Kanal auch in Zukunft nicht wichtig sein wird. Dieses Unternehmen braucht einen CIO, der ausschliesslich dafür Sorge trägt, dass das Kassensystem funktioniert. Ein Kandidat mit Digitalisierungskompetenz wäre dort fehl am Platz. Nächste Seite: Digitalisierung von Executive Search Bitte definieren Sie Digitalisierung. Huber: Unter Digitalisierung oder besser gesagt unter «digitaler Transformation» verstehen wir die Kombination der Anpassungen oder Veränderungen in Strategie, Geschäftsmodell, Organisation, Prozessen, Kultur und Leadership in Unternehmen durch Einsatz digitaler Technologien. Dies mit Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten oder zu steigern.
Die Plattform digital.swiss zeigt sehr deutlich auf: Digitalisierung ist sehr spezifisch für jede Branche und dann auch noch jeden Bereich. Die Auswirkungen und auch Möglichkeiten sind mannigfaltig. In unserer Umfrage unter Schweizer Führungskräften wollten wir auch wissen, was die Erfolgsfaktoren der Digitalisierung sind. Eine der häufigsten Antworten war: Anpassung des Geschäftsmodells und der Ertragsmechanik. Die Führungskräfte müssen sich Gedanken darüber machen, wie sie den Fortbestand ihres Unternehmens sichern können vor dem Hintergrund, dass ausserhalb der Firmenräume Technologie unterwegs ist, die durchaus zu disruptiven Veränderungen führen kann. Diese Frage ist für jede Branche anders zu beantworten. Was haben Sie als Executive-Search-Boutique getan, um Ihr Geschäft zu digitalisieren? Huber: Das Thema beschäftigt uns seit Jahren und wir haben fünf Massnahmen ergriffen. Erstens haben wir unsere Kostenstruktur laufend variabilisiert. Was immer von extern und über skalierbare Plattformen beziehbar ist, haben wir sorgfältig geprüft und vielfach auch zu Gunsten einer eigenen Infrastruktur/Dienstleistung genutzt. Zweitens nutzen wir vermehrt Partnerschaften mit Spezialisten und pflegen ein für uns relevanten Geschäfts-Ökosystem. So haben das Konzept des «Knowledge-Partners» implementiert. Dabei werden wir unsere eigenen Brachen und Funktionskompetenzen durch spezifisches Wissen assoziierter Partner verstärken. Den Start hierbei haben mit bei den Life Sciences gemacht.
Drittens haben wir die Kandidatenbeurteilung und Diagnostik verstärkt. Das ist eines unserer Markenzeichen. In Zukunft wird die Herausforderung weniger sein, die gesuchten Spezialisten aufzuspüren. Dafür gibt es Social-Tools wie LinkedIn oder Xing. Der Mehrwert einer Executive Search Dienstleistung wird sich vermehrt in die Bereiche Attraktion der Talente und deren Beurteilung verschieben. Viertens konzentrieren wir unseren Marktauftritt noch gezielter auf unsere Branchen- und Themenberatungskompetenzen. So gehen wir den Markt für Führungskräfte und Fachspezialisten in der ICT/Digitalisierung noch aktiver an. Das haben wir als Generalisten früher weniger ausgeprägt gemacht. Und fünftens haben wir unsere Firma, welche seit 30 Jahren erfolgreich am Markt operiert, als Plattform für neue unternehmerische Beraterpersönlichkeiten selektiv geöffnet und weiterentwickelt. Dabei ist uns wichtig, progressiv denkende Kollegen ins Team zu bringen, welche unseren professionellen Standards entsprechen. Unser Kerngeschäft wird sich durch die digitale Transformation voraussichtlich nicht so rasch und fundamental verändern wie es die Musikindustrie, die Medien oder die Taxi-Unternehmen erleben. Aber auch uns ist klar, der rasante Wandel der Technologie sowie veränderte Kundenanforderungen erlauben kein Ausruhen auf dem Erreichten. Nächste Seite: Chief Digital Officer gesucht Was treibt Unternehmen um, wenn sie einen Chief Digital Officer haben wollen? Nussberger: Vor drei Jahren hatte ich tatsächlich so eine Anfrage. Natürlich war damals die Entwicklung noch in den Anfängen, die Konsequenzen nicht unbedingt schon absehbar. Der Kunde hatte aber erkannt, dass er zu wenig aktiv und agil war. Das neue Profil sollte den Einfluss von Technologie auf das Geschäft und die Kundenbeziehungen evaluieren sowie notwendige Massnahmen vorantreiben. Letztendlich wurde aber doch keine neue Führungskraft rekrutiert. Stattdessen wurde das CIO-Profil geschärft, was zu einem Wechsel an dieser Position führte. Der «keep the lights on»-CIO passte nicht mehr zu dem neuen Anforderungsprofil.
Die Einstellung eines CDO hätte bedeutet, lediglich eine neue Rolle zu schaffen. Damit ist kein internes Kommunikations- und Prozessproblem gelöst. Die Digitalisierung ist keine Aufgabe, die sich einfach delegieren lässt, sondern ein Thema, bei welchem die Geschäftsleitung und der Verwaltungsrat die Strategie vorgeben und die gesamte Organisation eingebunden sein muss. Wenn ein Unternehmen eine digital affine Führungskraft sucht, wie ermitteln Sie, ob die Kandidaten die Auswirkungen der Digitalisierung antizipieren? Huber: Unser Ansatzpunkt für die Diagnostik ist industriespezifisch aber meist prüfen wir die generelle «Fitness» auf den neuen Technologien und den Megatrends. Zusätzlich nehmen wir «Arbeitsproben» zu strategischen Initiativen, zu wesentlichen Transformationserfolgen, zum Führungsstil, zum Mut zur Veränderung und zum Umgang mit Unsicherheit. Das sind die Ingredienzen einer Führungskraft in der digitalen Welt. Nehmen wir ein aktuelles Beispiel: Das Gesundheitswesen ist noch nicht so stark von der Digitalisierung betroffen wie vielleicht die Medien. Allerdings ist der technologische Fortschritt geeignet, einige Berufsbilder obsolet zu machen und Prozesse nachhaltig zu verändern. Ein viel zitiertes Beispiel ist die Radiologie. Hier werden durch die neuen bildgebenden Verfahren Arbeitsplätze direkt betroffen. Ähnliche Einflüsse haben Operations-Roboter, die elektronische Patientenakte, die Telemedizin, sowie kognitive Services (IBM Watson) und etliche Bereiche mehr. Diese Entwicklung hat Auswirkungen auf die Strategie und den Betrieb eines Spitals – vielleicht noch nicht in den nächsten zwei Jahren, wohl aber in fünf bis zehn Jahren. Zurück zum Beispiel: Der Verwaltungsratspräsident eines Spitals sucht mit unserer Hilfe ein Board-Mitglied, das die Opportunitäten durch Technologie antizipieren kann und somit die Weichen für die Strategie von Morgen stellt. Dabei geht es explizit nicht um einen Zukunftsforscher, sondern eine Persönlichkeit, die nachhaltige operative ICT-Erfahrung mitbringt und weiss, was im Betrieb umsetzbar und sinnvoll ist.
Müssen CIOs heute zwingend eine Informatik-Ausbildung haben? Nussberger: In einem Grosskonzern mit ausreichend Ressourcen für die wichtigsten IT-Bereiche benötigt der CIO nicht zwingend eine Informatik-Ausbildung. Mit einem CIO mit betriebswirtschaftlichen Hintergrund und mit einem profunden Geschäftsprozessverständnis fahren die Unternehmen ebenfalls gut. Huber: Allerdings fehlt oftmals den Schweizer Unternehmen noch der Mut, einen IT-Leiter ohne Informatik-Hintergrund zu rekrutieren. Man vermutet ein Kompetenzdefizit. Braucht ein Unternehmen mit grösstenteils ausgelagerter IT einen CIO? Nussberger: Dieser Unternehmenstyp benötigt sicherlich keinen Betriebs-Profi mehr. Wenn die Gesamt-IT von einem Outsourcing-Provider geliefert wird und eventuell nur noch die Kernapplikationen inhouse gemanaged werden, braucht es neben den internen Applikations-Skills ganz andere Kompetenzen. Der IT-Verantwortliche einer «retained Organisation» benötigt eine robusten (Technologie)-Vision und muss die Supplier hinsichtlich IT-Innovation kompetent herausfordern können. Zusätzlich braucht es Know-how in Betriebswirtschaft, in Technologie, im Sourcing- und Supplier-Management, in Verhandlungstaktik und Vertragsgestaltung sowie im Service Management. Er muss dann hauptsächlich die Supplier mit KPIs und SLAs an angemessenen Zügeln führen und die notwendige Weiterentwicklung einfordern. Nächste Seite: Wert der Graphologie Welche Rolle spielt das Alter von Kandidaten für Digitalisierungsposten? Gibt es zum Beispiel Anfragen nach Personen unter 40? Huber: Unter 40 Jahren habe ich jetzt noch nicht gehört, Kandidaten über 50 Jahren haben in der Schweiz in der Regel keinen Vorteil. Aktuell haben wir allerdings drei Mandate, bei denen den Kunden das Alter der Kandidaten vollkommen gleichgültig ist.
Die Schweiz ist weltweit führend in der Graphologie. Verwenden Sie und Ihre Kunden die Technik für die Rekrutierung? Huber: Ich habe in den zehn Jahren meiner Tätigkeit keine einzige Anfrage nach Graphologie gehabt. Allerdings habe ich vor Jahren selbst einen Test gemacht. Anschliessend hatte ich das Gefühl, dass nicht eine Graphologin vor mir sitzt, sondern meine Mutter. Seitdem bin ich erstaunt, dass die Graphologie als mächtige diagnostische Methode nicht häufiger verwendet wird. Ein Grund ist sicher, dass die Diagnostik bei den Kunden generell nicht so hoch im Kurs steht. Ich kenne Grossunternehmen, welche Führungskräfte im Range eines Managing Directors ohne Assessments einstellen. Anderseits gibt es Kunden von uns, welche die finalen Kader-Kandidaten konsequent durch ein tägiges Assessment detailliert prüfen lassen. Nussberger: Ich halte es für unklug, bei der Rekrutierung zu sparen! Jede personelle Fehlentscheidung kostet Unternehmen mehr als das Geld, als was zum Beispiel für eine gezielte externe Suche und professionelle Beurteilung aufgewendet werden muss.
Claudia Nussberger
ist seit Anfang Jahr Partner bei der Roy C. Hitchman AG. Zuvor war sie vier Jahre ebenfalls Partner beim Führungsberatungsunternehmen Heidrick & Struggles. Vor 2012 sammelte Nussberger über 20 Jahre lang Berufserfahrung im ICT-Bereich. Stationen waren unter anderem Alcatel Lucent, Swisscom, Deutsche Telekom und Atlantic Telecom. Als Führungskraft leitete sie Teams mit bis zu 1000 Mitarbeitern.
Roman Huber
amtet heute als Chairman und Managing Partner bei der Roy C. Hitchman AG. Er schloss sich Mitte 2006 der Zürcher Executive-Search-Boutique an. Zuvor leitete Huber vier Jahre lang die Geschicke von CA Technologies in der Schweiz und in Osteuropa. Weitere 18 Jahre arbeitete er in leitenden Positionen für Hewlett-Packard, unter anderem im Medical Marketing Management für elf europäische Länder, im District Management für die Finanz- und Transportindustrie sowie als Solutions Sales Director für das Schweizer Lösungsgeschäft.