17.06.2014, 13:24 Uhr

Zwei von drei Arbeitnehmern handeln unethisch

Ethisches Fehlverhalten am Arbeitsplatz ist auch in Schweizer Unternehmen ein Problem. Die Palette der Vergehen ist breit.
Martijn de Kiewit, Leiter Ethics & Compliance Management, KPMG Schweiz / Foto: KPMG
Unethisches Verhalten am Arbeitsplatz ist auch in der Schweiz ein ernst zu nehmendes Thema. Dabei bilden die Fälle von aufgedeckter und vor Gericht gebrachter Wirtschaftskriminalität nur die Spitze des Eisbergs. Daneben gibt es eine breite Palette an unethischen Vergehen, die nicht immer leicht identifizierbar sind.

Um herauszufinden, wie stark unethisches Verhalten in Schweizer Firmen verbreitet ist, hat der Wirtschaftsprüfer KPMG im Rahmen seiner Studie «Fehlverhalten und Ethik am Arbeitsplatz» zusammen mit der Erasmus-Universität Rotterdam 428 Studienteilnehmer aus der Deutschschweiz anonym befragt. 83 Prozent gaben an, in den letzten 12 Monaten mindestens eine der 37 aufgeführten Formen unethischen Verhaltens beobachtet zu haben. 64 Prozent gaben zu, selbst unethisch gehandelt zu haben. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Verstösse auf allen Ebenen

Verstösse auf allen Ebenen

Das Kriterium «Verschwendung und Missbrauch von Ressourcen» wurde dabei sowohl am häufigsten beobachtet (54,6%) als auch begangen (36,4%). Zudem wurden Tätigkeiten, die einen Interessenkonflikt darstellen, wie zum Beispiel Nebentätigkeiten, Bevorzugung von Familie und Freunden oder Nutzung der Arbeitszeit für private Zwecke, von 40 Prozent der Teilnehmer beobachtet und 24,8 Prozent auch selbst begangen. Gefolgt von Verstössen gegen Vorschriften des Arbeitsschutzes, gegen Lohn- und Überstundenregelungen, gegen die Privatsphäre der Mitarbeitenden sowie von Diskriminierung aufgrund von Alter, Geschlecht, sexueller Orientierung oder Glauben. Auch Fälle von sexueller Belästigung wurden beobachtet, Zeit- und Spesenerfassungen gefälscht, Sicherheitskontrollen umgangen und Vermögenswerte gestohlen oder veruntreut.

Gefragt wurde jedoch nicht nur nach unethischem Verhalten gegenüber der Organisation und Arbeitskollegen, sondern auch gegenüber Kunden (z.B. unrealistische Erwartungen wecken), Lieferanten (z.B. unangemessene Geschenke annehmen) und der Allgemeinheit (z.B. Verletzung von Umweltvorschriften oder falsche/irreführende Angaben an die Öffentlichkeit oder die Medien), um nur einige Beispiele zu nennen.

Nachahmer und Gruppendynamik

Ein weiterer Teil der Studie, in den Daten aus dem «Schweizer HR-Barometer» (1500 Teilnehmer) der ETH Zürich einbezogen wurden, zeigt auf, dass sowohl Atmosphäre und die Kultur im Unternehmen, als auch der Wohlfühlfaktor am Arbeitsplatz einen starken Einfluss auf das abweichende Verhalten der Angestellten haben. Je öfter ein Mitarbeiter unethisches Verhalten bei Kollegen oder dem Management beobachtet, um so häufiger handelt er auch selbst unethisch. «Wer beim Top-Management ein Fehlverhalten beobachtet, hat weniger Probleme damit, denselben Verstoss auch selbst zu begehen und fühlt sich zudem auch für andere Arten unethischen Verhaltens motiviert», sagt Anne van Heerden, Head of Forensic, KPMG Schweiz. Verhält sich also ein Mitarbeiter unethisch und wird dieses beobachtet, besteht ein höheres Risiko, dass dieses Beispiel Nachahmer findet.  Lesen Sie auf der nächsten Seite: Täter meistens Männer

Psychologischer Vertragsbruch

Als Ursachen für unethisches Verhalten wurden beispielsweise implizierte Erwartungen an den Arbeitgeber genannt, etwa mit Blick auf die eigene Weiterentwicklung, interessantere Arbeitsinhalte, Arbeitsplatzsicherheit und ein höheres Gehalt. Werden diese Erwartungen dann nicht erfüllt, entsteht ein sogenannter psychologischer Vertragsbruch. Wenn das Vertrauen in den Arbeitgeber schwindet, nimmt das Fehlverhalten am Arbeitsplatz zu. Wer zudem grosse Angst davor hat, den Arbeitsplatz zu verlieren, legt bedeutend häufiger Fehlverhalten an den Tag als Mitarbeiter mit einer tiefen Arbeitsplatzunsicherheit. Und: Je höher das Vertrauen in die Unternehmensführung, umso ethischer handelt der Einzelne.

Schwere Verstösse, die sich auch in den erwähnten Wirtschaftskriminalitätsfällen widerspiegeln, werden mit grosser Mehrheit vom Management begangen. Auch, weil diese leichter Regeln umgehen können. Aber auch bei allen anderen Arten von Verstössen gegen die Ethik ist die Geschäftsetage munter dabei. Bei jeder Art von Fehlverhalten, auf allen Unternehmensebenen, sind Männer überrepräsentiert. «85 Prozent der Täter sind Männer», bestätigt Martijn de Kiewit, Leiter Ethics & Compliance Management bei KPMG Schweiz. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Whistleblowing hilft aufdecken

Möglichkeit Whistleblowing

Ein 4-Augen-Prinzip, strengere Vorschriften und mehr Kontrollen reichen nicht aus, um unethisches Handeln zu identifizieren und zu verhindern. Wer tolle Regeln hat, diese aber schlecht implementiert, läuft Gefahr, dass die Mitarbeiter diese Regeln brechen. Zudem gilt: Je mehr Regeln, um so konfuser und unübersichtlicher wird die Sache und umso weniger werden diese Regeln beachtet.

Um potentielles unethisches Verhalten frühzeitig erkennen zu können, müssen Unternehmen die Einflussfaktoren verstehen. «Die Unternehmen müssen die Erwartungen der Mitarbeitenden detailliert kennen», sagt de Kiewit, «erst dann können sie mittels Kommunikation und Schulungen Klarheit schaffen und die Einzelheiten aus dem Verhaltenscodex der Unternehmung erläutern.» Vertrauenspersonen und Whistleblowing-Hotlines sollte es in jeder Firma geben, um Mitarbeitenden zu ermöglichen, unethisches Verhalten anonym zu melden. Denn mit über 40 Prozent sind anonyme Tipps die gängigste Methode Fehlverhalten aufzudecken.

Mehr zum Thema Business-Ethik lesen Sie im grossen Schwerpunkt in der Printausgabe 12 vom 18. Juli 2014.


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